Autor Thema: Wilhelm Adam:Die Armee ißt ihre Pferde  (Gelesen 3008 mal)

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Wilhelm Adam:Die Armee ißt ihre Pferde
« am: Mo, 26. November 2007, 22:07 »
Die Tage nach dem 12. Dezember waren besonders aufregend. Der Armeestab bereitete den Ausbruch vor. Unter dem Stichwort «Wintergewitter» lief die Operation Hoth. Auf «Donnerschlag» sollte die 6. Armee den Ring von innen sprengen und Hoth entgegenmarschieren. Es war vorgesehen, alle Verwundeten auf Lastwagen mitzuführen. Wenn nur die Versorgung etwas besser klappte! An Verpflegung, Treibstoff und Munition waren bis zum 12. Dezember je Tag im Durchschnitt nicht einmal 100 t eingeflogen worden. Auf die unaufhörlichen Hilferufe der Armee hin trat hernach eine geringe Steigerung ein. Auch dann wurde die allein an Verpflegung erforderliche Mindestmenge von 300t bei weitem nicht erreicht. Der Hunger riß und bohrte immer mehr in den Eingeweiden der Eingekesselten. Die Zahl der durch Hunger Entkräfteten übertraf bei manchen Einheiten bereits die Zahl der Verwundeten. In jedem Bunker, in jedem Graben, auf jedem Hauptverbandplatz lagen ausgezehrte Soldaten und Offiziere, die nicht mehr auf die Beine kamen. In dieser Notlage griff die Armee auf die Pferde der rumänischen Kavalleriedivision zurück, die sowieso aus Futtermangel halbtot waren. Der Quartiermeister der Armee, Hauptmann i. G. Toepke, gab 4000 Pferde zur Schlachtung frei. Ihr Fleisch und ihre Knochen ermöglichten wenigstens vorübergehend, die Verpflegung etwas zu verbessern. Viel gewonnen war schon deshalb nicht, weil am 15. Dezember die Brotration auf 100g herabgesetzt werden mußte. Zwei Schnitten Brot am Tag, eine dünne
Pferdefleischsuppe und einige Tassen heißer Kräutertee oder Malzkaffee - damit sollte der Soldat leben und kämpfen, Frost, Schnee und Sturm widerstehen können!

Verständlich, daß die Viertelmillion Eingeschlossener der anrückenden Armee Hoth inbrünstig entgegenhoffte. Mit dem Antreten der 4. Panzerarmee ging eine Welle der Erleichterung, wiederkehrenden Selbstvertrauens und neuen Widerstandswillens durch den Kessel. Das Durchhalten schien wieder einen Sinn zu haben. Wenige Tage noch, und der Ring tödlicher Umklammerung konnte gesprengt sein. Zwei bis drei Tage war geradezu Hochstimmung. Als dann Tag für Tag in vergeblichem Warten verstrich, griffen erschütternde Enttäuschung und bittere Resignation Raum.

General Paulus fuhr jeden Vormittag zu den Divisionen, die an den Brennpunkten des Kampfes standen. Am Morgen des 16. Dezember - das Thermometer zeigte in der Frühe unter minus 30 Grad - weilte er an der hartbedrängten Westfront des Kessels. Als er gegen Mittag zurückkam, sah ich ihm an, daß er Schweres erlebt hatte.

«Sie waren heute bei der 44.Infanteriedivision, Herr General. Nach der gestrigen Abendmeldung hat sie große Verluste gehabt. Hat der Russe wieder angegriffen?» fragte ich.

«Sie wissen, daß es in diesem Abschnitt ständig brodelt. Doch die Ausfälle durch Kampfhandlungen sind nicht die schlimmsten. Divisionskommandeur und Divisionsarzt berichteten, daß in den letzten Tagen immer mehr schwere Erfrierungen auftreten. Ohne ausreichende Winterbekleidung sind die Soldaten in ihren Schneelöchern schutzlos den eiskalten Steppenwinden ausgesetzt. Am Tage können sie die Gräben und Mulden nicht einmal zum Verrichten ihrer Notdurft verlassen. Wer es doch versucht, bezahlt meist mit dem Leben. Da sich keiner in den engen Löchern rühren kann, treten zwangsläufig Erfrierungen auf.»

«Wie können Verwundete und Kranke überhaupt aus der vordersten Linie abtransportiert werden?»

«Das ist ein fast unlösbares Problem. Der Gegner schießt auf jede erkannte Bewegung. Erst mit Eintritt der Dunkelheit können Verwundete geborgen, Erfrierungen behandelt werden. Das bedeutet nur zu oft, daß ärztliche Hilfe zu spät kommt.»

«Gestern traf ich hier im Stab einen Ordonnanzoffizier der 44. Division. Er erzählte, in der Nacht würde auf beiden Seiten die Kampftätigkeit fast ganz eingestellt. Bei uns blieben nur schwache Sicherungen in der Stellung. Sind denn für die ruhenden Truppen wenigstens für diese Zeit Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, Herr General?»

«Die paar Siedlungen in der Steppe sind stark zusammengeschossen worden, im Sommer von uns und jetzt vom Gegner. Zwischen den Ruinen existieren einige Unterstände, meist von unseren rückwärtigen Diensten im Herbst ausgebaut. Teilweise sind sie von Stäben belegt. Sie reichen natürlich bei weitem nicht aus. Während der Nacht drängt sich hier alles um die Feuerstellen und Öfen zusammen. Das Brennholz wird mühsam aus Stalingrad herangeholt.»

«Was soll denn bloß werden, wenn die Kampfkraft der Divisionen weiter in diesem Tempo sinkt? Wer soll denn die Front halten?» «Entscheidend ist, daß wir bald wieder mit der Außenwelt Verbindung bekommen. Überlegen aber auch Sie sich, Adam, welche Vorschläge Sie mir machen können!»

Quelle:Stalingrad eine deutsche Legende (J.Ebert)

mfg
Josef
« Letzte Änderung: So, 04. Juli 2010, 10:09 von Adjutant »

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Re: Wilhelm Adam:Die Armee ißt ihre Pferde
« Antwort #1 am: Sa, 14. März 2009, 20:52 »
Reichweite Pferdefleisch:15.Januar (Auszug)

Das Hauptquartier der Heeresgruppe Don, in dem sich die Kräfte auf die Abwehr eines weiteren Angriffs der sowjetischen Armeen konzentrierten der am Vortage begonnen hatte, verließ am 23. Dezember 1942 ein Fernschreiben an die Operationsabteilung des OKH, in dem der Versorgungsbedarf der 6. Armee dargestellt wurde. Im Abschnitt Verpflegung, der den Kalorienbedarf pro Mann auf 2 500 festsetzte, hieß es: »Pferde vorhanden 7 300 Truppen, 15 700 Panje. Bei völliger Abschlachtung (soweit nicht vorher gefallen) rechnet AOK 6 mit Reichweite Pferdefleisch bis 15. Januar.« Daran wurde die Rechnung geschlossen, wie viele Tonnnen weniger bis dahin in den Kessel geflogen werden müssten, weil der Transport von Fleischkonserven vorerst nicht erforderlich sei.

Am Tage danach begann mit dem »Heiligen Abend« das Weihnachtsfest. Mit ihm breiteten sich unter den Eingeschlossenen Depression, Resignation, Lethargie und Apathie verstärkt aus. »Eine trostlose Weihnacht. Kein Brief, kein Päckchen, nichts«, schrieb ein Unteroffizier Tage später nach Hause, und weiter: »Ich will dir meine augenblickliche Lage nicht schildern. Du würdest weinen.« Die Stimmung verfiel umso tiefer, als durch die Berichte vom Vorstoß der Truppen Mansteins im Kessel auch jene nationalistische Überheblichkeit neu belebt worden war, der Hitler den knappsten Ausdruck in seiner Siegesrede nach der rasch bewerkstelligten Okkupation Jugoslawiens und Griechenlands im Mai 1941 gegeben hatte. Damals prahlte er: »Dem deutschen Soldaten ist nichts unmöglich.« Der »Führer«, so wurde in den Tagen vor Weihnachten geglaubt, würde sie alle durch seinen fähigsten Strategen »heraushauen« lassen, wie er es ihnen doch versprochen hatte. Die durchsickernden Nachrichten vom Scheitern des versuchten Durchbruchs zehrten an den Lebenskräften aller Eingeschlossenen schwer. Jetzt erst setzte und von da an unaufhaltsam ein Ernüchterungsprozess ein. Die Erkenntnisse, die Soldaten und Offizieren aus ihm erwuchsen, führten sehr verschieden weit. Aber im Ganzen, und das wurde für das weitere Geschehen ausschlaggebend, noch nicht zu dem Schluss, den Widerstand gegen das Unausweichliche einzustellen und rechtzeitig das gefürchtete ungewisse Leben in Gefangenschaft dem sicheren sinnlosen Tod vorzuziehen.

Am 28. Dezember 1942 erging ein Operationsbefehl, der die Heeeresgruppe Don, die mit der unter dem Namen A zur Heeresgruppe Süd zusammengeschlossen wurde, verpflichtete, ihre Verteidigungslinie zu halten, damit die Voraussetzungen nicht verloren gingen, die 6. Armee zu erreichen. Davon rnochte die Masse der Soldaten im Kessel schon nicht mehr erfahren haben. Gleiches galt wohl für die baldige Ergänzung dieses Befehls, wonach bis Mitte Februar 1943 eine starke Kräftegruppe von Panzerverbänden zu formieren sei, die dann die »Befreiung der 6. Armee, in Angriff nehmen sollte." Weder diejenigen, die diese Texte ausfertigten, noch jene, unter deren Augen sie in den Stabsquartieren kamen, konnten an die Verwirklichung dieses Plans noch glauben. Er zeugte von Wunschdenken und stellte zudem einen ärmlichen Versuch der Beruhigung für jene dar, denen beim Gedanken daran, was den Eingeschlossenen bevorstand noch Skrupel kamen.

So stand Paulus an der Jahreswende 1942 zu 1943 erneut vor der Entscheidung, sich zu unterwerfen oder nach seiner Lagebeurteilung zu handeln. Die Alternativen für seine Entschlüsse hatten sich gewandelt und erneut verringert. „Auf Entsatz war nicht zu rechnen. Für einen Ausbruch reichten die Kräfte nicht mehr.Die zu entscheidende Frage lautete einzig: Kapitulation und damit wahrscheinliche Errettung von Zehntausenden oder Fortsetzung des Kampfes, der unvermeidlich mehr und mehr erlahmen und für viele seiner Untergebenen eine besondere Art der Hinrichtung bedeuten würde. Nicht plötzlicher, ohnehin seltener Tod im Kampf stand den meisten von ihnen bevor, sondern ein erbarmungswürdiges Ende durch Verhungern, Erfrieren, Krankheit und infolge medizinischer Unversorgtheit. Wer in Stalingrad die Silvesteransprache von Goebbels hörte, konnte sich nur Verhöhnt vorkommen, denn ihm wurde gesagt: »Heute sehen wir in der Ferne schon Licht, das Licht eines neuen Morgens, der auf uns wartet ...«  Manche Erklärungen des wortgewandten Ministers erinnerten in den folgenden Wochen an das sprichwörtliche Pfeifen im Walde. Am 20. Januar, mit lang gehegten Planen zu einer Massenmobilisierung neuen Ausmaßes beschäftigt, erklärte er den Propagandisten während der so genannten Ministerkonferenz, wenn alle Potentiale ausgeschöpft würden, werden »wir im Osten noch in diesem Jahr fertig werden.Und eine Woche später, seine Ratlosigkeit ebenso eingestehend wie seinen-freilich auch nicht mehr Ungetrübten -Optimismus hervorkehrend, hieß es bei Goebbels, man werde »irgendwie Herr der Lage werden.

Wie sich die im Kessel von Stalingrad, wenn auch nicht hei allen Einheiten gleichermaßen, am beginn des neuen Jahres darstellte, darüber geben Briefe in die Heimat Auskunft. Ein Obergefreiter bat am 29. Dezember 1942 seine Eltern, wenngleich ungern, aber weil der Hunger so groß sei: » ... wenn es geht, schickt mir Lebensmittel.In einem Silvester verfassten Brief war zu lesen: »... von den 380 Mann, die so stolz ausrückten, sind noch etwa 100 Gesellen aus Haut und Knochen vorhanden. Wir Überlebenden können kaum noch laufen vor Hunger und Schwäche.« Ein anderer Briefschreiber, der sich in einem Feldlazarett 3 km hinter der Frontlinie befand , schilderte am Silvesterabend die infernalischen Zustände bis in die Einzelheiten: »Es ist ein dunkler Bunker und wir frieren. Es gibt kein Holz hier und die Kameraden reißen die letzte Verschalung von den Wänden, damit wir in unserem Öfchen ein bisschen Temperatur erreichen können. Wir sind vollkommen verlaust und das Ungeziefer lässt uns kaum schlafen. Seit Wochen kaum gewaschen, denn es ist auch kein Wasser hier ... Das Schrecklichste jedoch ist der Hunger, der peinigt. Morgens und abends eine Scheibe Brot, mittags eine dünne Wassersuppe, ein wenig Beikost, das ist alles. Zu Weihnachten haben wir uns bloß ein Brot gewünscht.

Wir haben es nicht bekommen, nur eine Tafel Schokolade.« Der Absender, der nur leicht verletzt war, rechnete nicht damit, ausgeflogen zu werden: »Ich sehe mich schon wieder im Schneeloch stelzen und frieren ... alles wartet darauf, dass der Kessel gesprengt wird, was immer noch Tage dauern soll, aber keiner glaubt daran. Was wird bloß noch werden ...Kein Notschrei drückte die Stimmung vieler Soldaten stärker aus als »Ich will raus aus diesem Wahnsinn«. Wer eine Chance besaß, dem Absehbaren auf dem Luftwege zu entkommen, nutzte sie. Und ebenso wurde von außerhalb versucht, einem »Stalingrader« in einem Flugzeug einen Platz zu verschaffen. Dazu musste man freilich so viel Einfluss besitzen wie Albert Speer, der Erhard Milch ersuchen konnte, seinen Bruder ausfliegen zu lassen.

Am 3. Januar 1943 hieß es im Brief eines Gefreiten: »Wenn ihr mich und auch alle anderen Kameraden sehen würdet. Ihr könntet denken, der Tod steht vor euch.« Sie würden die toten Russen nach Brot absuchen, konnte die Ehefrau eines Gefreiten in einem am 5. Januar geschriebenen Brief lesen. Weitere acht Tage später teilte ein Soldat mit: »Wenn es so weiter geht, werden wir alle verhungern. Ein anderer Briefschreiber klagt: »Manchmal ist mir's zum Verzweifeln. Die Hoffnung auf Befreiung schwindet immer mehr. Als dieser und ähnliche Briefe geschrieben wurden, war der Flughafen Pitomnik noch in deutscher Hand, landeten dort Flugzeuge, brachten Lebensmittel, wenn auch in völlig unzureichenden Mengen

Quelle:Stalingrad und kein zurück (K.Pätzold)

mfg
Josef
« Letzte Änderung: Sa, 14. März 2009, 20:55 von md11 »

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Re:Wilhelm Adam:Die Armee ißt ihre Pferde
« Antwort #2 am: Mi, 09. März 2011, 19:23 »
Wilhelm Adam wurde 1939 Adjutant im XXIII. Armeekorps und 1941 Adjutant der 6. Armee unter den Armeeoberbefehlshabern Walter von Reichenau und später Friedrich Paulus.Adam geriet am 31. Januar 1943 bei Stalingrad in sowjetische Kriegsgefangenschaft. In der Kriegsgefangenschaft besucht er die „Zentrale Antifa-Schule“ in Krasnogorsk und war Mitglied des „Bundes deutscher Offiziere“.

hier ein Auszug aus seinem Buch:"Der schwere Entschluß" von 1965

Görings Lüge von der Luftversorgung


 


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