Autor Thema: Der Fall Redl  (Gelesen 2647 mal)

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Der Fall Redl
« am: Di, 17. April 2007, 17:00 »
Der Fall Alfred Redl

Die Geschichte des militärischen Kundschaftsdienstes beginnt  mit der Geschichte der Planung militärischer Bewegung durch den Feldherrn des Wehrpflichtheeres und seinen Stab, durch Napoleon Bonaparte. Die Bewegungen wurden zu Lande durch moderne Transportmittel beschleunigt, vornehmlich durch die Eisenbahn, durch Nachrichtenmittel wie Telegrafie und Telefon, raschere Briefzustellung, jedoch erschwert durch Kryptografie und Täuschung.

Aller dieser Mittel bediente sich die Tätigkeit der Generalstabsoffiziere, die etwa in Österreich, Preußen und Bayern ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auf (höheren) Kriegsakademien oder Kriegsschulen gelehrt, geprüft  und trainiert wurden. Zum Mittelpunkt ihres Denkens wurde neben der Verbesserung der militärischen Taktik die militärischen Optionen, die Bewegung von Truppenkörpern im Krieg – und daher auch das Denken über das Erkennen der Gegenmaßnahmen der Truppenkörper des mögliche militärischen Gegners. Seit dem Auftreten des genialen preußischen Chef des Generalstabes des Feldheeres, Hellmuth von Moltke, der das „getrennt marschieren – vereint schlagen“ in den deutschen Einigungskriegen 1866 und 1870 fast zur Perfektion erhob und sich nur schwer einer politischen Führung nach dem Ausbruch eines Krieges beugte, wurden Mobilisierungsmaßnahmen geprobt und Aufmarschpläne per Bahn geplant.

Etwa seit der Zeit des Wiener Kongresses wurden zunächst unter Verbündeten, dann zwischen allen Staaten Militärattachès ausgetauscht, die sich mehr oder weniger offen für das Militärwesen des Freundes interessieren sollten. Spätestens seit der Verfestigung von Militärbündnissen, wie z.B. dem Zweibund von 1879, kamen andere Institutionen dazu: Um den „Chef“ reihten sich seit 1850 die Operationsbüros des Generalstabes, die Eisenbahnbüros und die Büros für die Führung oder die Abwehr von Kundschaftsoffizieren. Die sich jenseits der Staatsgrenze militärische, geographische und technische Kenntnisse für den „Aufmarsch“ und die Operation
verschaffen sollten – in Österreich das Evidenzbüro des Generalstabes  für den offensiven und den defensiven Kundschaftsdienst, gemeinhin auch Spionage und Gegenspionage genannt – und den Außenstellen bei den Korpskommanden der Donaumonarchie.

Der Offizier Alfred Ledl, Geburtsjahrgang 1864, war ukrainischer Abstammung. Er ergriff die Generalstabslaufbahn, war zeitweise zu Sprachstudien in Russland und wurde von 1899 bis 1911 im Evidenzbüro eingeteilt. Er stieg bis zum Oberst im Generalstabskorps auf und war schließlich stellvertretender Bürochef und Leiter der Gegenspionage. Er war 1912/1913 Generalstabschef des VIII. (Prager) Korps.

Ab Herbst 1906 scheint der russische Militärattachè Oberstleutnant Martchenko für Major Redl den russischen Militärnachrichtendienst gedungen zu haben.  Es ist unklar, ob er infolge seiner nachweisbaren  homophilen Neigungen erpresst wurde, oder ob sein Drang zu einem höchst aufwendigen Lebenswandel ihn zu Verratshandlungen gegen hohe Geldzuwendungen trieb. Diese bestanden mit großer Wahrscheinlichkeit in erster Linie im „Auffliegen-lassen“ einer großen Zahl eigener Kundschafter, die im Ausland gegen Russland arbeiteten, sodaß der österreichische Nachrichtendienst gegen Russland um 1912 weitgehend blind und lahmgelegt war. Unter jenen zugunsten Österreichs agierenden Persönlichkeiten befanden sich auch solche des baltischen Adels, wie der in den Aufzeichnungen des k. u. k. Militärattachès in St. Petersburg Lelio Graf Spannocchi erwähnte Graf von Ungern-Sternberg. Jener Militärattachè war es auch, der schon vorzeitig aufgrund von Informationen von Attachèkollegen dem Chef des Evidenzbüros Warnungen über einen Verräter im eigenen Büro zukommen ließ. Sie wurden zu wenig beachtet. Es scheint sicher zu sein, dass er den Aufmarschplan von 1911 gegen Russland, zumindest den Aufmarsch „seines“ Korps – und damit ein wesentliches Element -, neben dienstlichen Behelfen und Mobilisierungsinstruktionen fotografisch übermittelt hat. Mit Hilfe des deutschen militärischen Nachrichtendienstes, einem eigens gebildeten Stab unter Major i.G. Maximilian Ronge, dem auch der Hauptmann Hermann Zerzawy angehörte, und mit Hilfe von Detektiven der Staatspolizei unter Regierungsrat Gayer und Regierungsrat Schober konnte Redl gefasst werden.
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:15 von Adjutant »
" Tradition ist die Flamme hüten und nicht die Asche bewahren "
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Der Fall Redl
« Antwort #1 am: Di, 17. April 2007, 17:03 »
Anfang April 1913 war an das Hauptpostamt Berlin ein Brief zurückgesendet worden, der am Wiener Hauptpostamt wochenlang nicht behoben worden war. Wie sich herausstellte, waren die sich darin befindlichen Geldscheine für Spionagetätigkeiten zugunsten Russlands bestimmt. Ein Mann, der den Brief nach längerer Zeit abholte, entkam zunächst per Taxi. Die Detektive konnten aber das Taxi ausfindig machen und entdeckten auf dem Boden des Autos ein Messerfutteral. Der Taxichauffeur erinnerte sich der Verwendung eines Taschenmessers als Brieföffner und wusste noch, dass er den Fahrgast ins Hotel Klomser in der Bankgasse im 1. Bezirk geführt hatte. Beim Portier des Hotels legte sich ein Detektiv auf die Lauer. Ein Generalstabsoffizier kam, reagierte mit dem Ausruf, dies sei sein Futteral und war damit als Briefempfänger und Brieföffner identifiziert. Es war der dem Detektiv wohlbekannte Oberst Alfred Redl. Redl sah sich ertappt und versuchte den ihn verfolgenden Polizisten abzuschütteln, kehrte aber schließlich ins Hotel zurück. Mittlerweile konnte der Polizeipräsident den Chef des Evidenzbüros von der Tatsache des dringenden Verdachts informieren, der auf dem damaligen Chef des Stabes des XXVIII. (Prager) Korps (Redl) ruhte, und dieser teilte dem k. u. k. Chef des Generalstabes für die Gesamte Bewaffnete Macht, General Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf die Umstände der Überführung mit. Der Generalstab befahl sogleich ein Verhör ohne Aufsehen und dann sollte sogleich dem mutmaßlichen Verräter die Möglichkeit zum Selbstmord mittels Schusswaffe angeboten werden. Noch in der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1913 wurde ein Verhör durch den Generalstabshauptmann Maximillian Ronge durchgeführt und anschließend auf den Schuß aus dem überbrachten Revolver gewartet.

Obwohl sodann ein „normales“ Begräbnis arrangiert wurde, kam die Presse hinter die Affäre. Der Skandal war da – nicht nur wegen der angeblich entscheidenden Berichterstattung durch den Prager Journalisten Egon Erwin Kisch.  

Neben dem ungeheuren und Aufsehen erregenden Verlust des Ansehens, dem das Generalstabskorps bis hinauf  zum Erzherzog-Thronfolger und Generalinspektor für die Gesamte Bewaffnete Macht Erzherzog Franz Ferdinand in der Öffentlichkeit ausgesetzt war, muß der Einfluß auf die Kriegführung von 1914, ja der Einfluß auf die Operation bis 1916 bedacht werden.

Wenn auch der österreichische Aufmarschplan 1913 – vielleicht auch aus Vorsicht nach dem Verratsfall – nunmehr eine Rückverlegung nach Westen, hinter den Fluß San, vorsah, scheint dennoch festzustehen:   Es wurde österreichischerseits  das schnelle und frühzeitige Auftreten auch sibirischer Truppen in größerer Zahl nicht erkannt. So war es überraschend, dass sich die „russische Dampfwalze“ aus dem Raum Warschau so rasch gegen die Flankenbedrohung aus dem Süden wenden konnte, also der Fall A (= Austria) rasch Anwendung fand. Vor allem wurde die 3. k. u. k. Armee (General der Kavallerie Brudermann) durch 2 russische Armeen, die weder in ihrer Stärke noch in ihrer Angriffsrichtung aus dem Raum Rowno her genügend aufgeklärt worden waren, in schweren Kämpfen in der sogenannten Ersten Schlacht bei Lemberg (am dem 1. September 1914) geschlagen. Die Verluste der Österreicher an Berufsoffizieren und –soldaten waren blutig und erheblich. Die russischen Armeen konnten erst im Dezember 1914 in der Schlacht bei Limanowa-Lepanov gestoppt werden. Bis heute ist der Anteil an der Affäre Redl an jenen Mißerfolgen und dem jahrelangen Verlust Lembergs mit seinen politischen Auswirkungen umstritten.

Quelle: Edition Österreich
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:14 von Adjutant »
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Grüße aus Wien

 


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