SZ vom 22.Mai 2004
Artikel von Thomas Riemer
"Der Tod hat Leben gebracht"
56 Gräber von Kriegsgefangenen werden in Zeithain umgebettet / Suche war nach über vier Jahren erfolgreich
Vorsichtig kratzt Erwin Kowalke den Schmutz von einer Marke aus Blech. Was er dann darauf lesen kann, hat historischen Wert. Denn E.Kowalke ist Deutschlands einziger hauptamtlicher Umbetter. Nahe des früheren Kriegsgefangenenlagers Zeithain ist er in dieser Woche im Einsatz. Denn nach 60 Jahren wurden hier 56 Gräber ehemaliger Gefangener entdeckt.
44 Polen und zwölf Serben wurden hier beerdigt. In einer schlichten Holzkiste, aber mit allen Ehren.
Bogumil Kosciesza hat den Stein ins Rollen gebracht. Der 78-jährige gebürtige Pole war gleichfalls im Zeithainer Lager und musste 1944 zusehen, wie sein 16-jähriger Bruder Zygmunt nach einem Gehirnbluten starb, und beigesetzt wurde. Das Grab zu finden, machte er sich zur Lebensaufgabe. Inzwischend in Washington lebend, trieb Kosciesza alte englischen Luftbilder auf. Dort waren die Grabstellen deutlich erkennbar. Anhand aktueller Karten des Gebietes konnten sie dann endlich lokalisiert werden.
Seit Montag ist nun Erwin Kowalke am Werk. Rund 1,50 Meter tief muss er baggern, dann stößt er auf die Grabumrisse. Mit Hacke und Schaufel holt er die verbliebenen Körperteile aus dem Sand. "Die Bäume haben sich Leben bei den Toten geholt", sagt er und zeigt auf die Wurzeln, die sich in die Gebeine gebohrt haben. Manchmal hat Kowalke Glück, finden sich im Erdreich Ketten oder sogar die persönlichen Erkennungsmarken. "Dann können wir die Leute ganz genau identifizieren", sagt Jens Nagel von der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain.
305240: Nagel durchforstet eine Liste, in der alle Namen der Verstorbenen enthalten sind. "Das ist Henryk Sikorski, geboren am 8 April 1891, verstorben am 29.Oktober 1944", gibt er dann zu Protokoll. Nach und nach, beinahe im Stundentakt werden die Toten geborgen und in einer schwarzen Kiste verstaut. Jedes Stück kann wichtig sein für die Historiker.
Schon einmal, zu Beginn der 90er Jahre, ist auf dem Areal in Größenordnungen nach verstorbenen Kriegsgefangenen gesucht worden. Während 1991 insgesamt 856 Italiener exhumiert und in ihre heimat überführt wurden, verblieben die Gräber der Serben und Polen auf dem Zeithainer Platz. Die späte Suche hat nun dennoch Erfolg gehabt.
"Grabstelle 28 könnte Zymunt Kosciesza gehören", sagt Jens Nagel nach der Durchsicht seiner Unterlagen. E.Kowalke macht sich schon wieder an die Arbeit, beäugt von sieben neugierigen Männern. Dann die ersten Anzeichen. "Das hier war ein sehr junger Mann, noch keine 20 Jahre alt", sagt er schon nach Begutachtung von zwei drei Knochenteilen. Er sucht weiter, auch nach Erkennungsmarke. Diesmal hat er kein Glück dabei. Aber er ist sich sicher: "Das ist Zygmunt Kosciesza, dafür unterschreibe ich". Kowalke behält letztlich Recht. Im Schädel wird jene Stelle gefunden, wo sich die Granatsplitter hineingebohrt hatte. Beim Versuch, ihn zu entfernen, war der Pole gestorben, hatte der Bruder in den USA berichtet.
Bis Anfang nächster Woche will E.Kowalke alle 56 Grabstellen gefunden haben. Dann sind rund vier Jahre dauernde Recherchen abgeschlossen. Die sterblichen Überreste von Zeithain werden in den nächsten Monaten für den allerletzten Weg vorbereitet. Der führt auf den Soldatenfriedhof Neuburxdorf bei Mühlberg.
Dort soll evtl. am 2.Oktober die feierliche Umbettung erfolgen. Es wäre der 60.Jahrestag des Warschauer Aufstandes, bei dem die meisten der 44 Polen Gefangene wurden.
Ulla