Autor Thema: Mobilmachung und Vormarsch im Westen  (Gelesen 2858 mal)

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Mobilmachung und Vormarsch im Westen
« am: Di, 20. Februar 2007, 18:12 »
Am Nachmittag des 31. Juli 1914 erwarteten dichtgedrängte Menschenmassen Unter den Linden in Berlin den von Potsdam kommenden Kaiser Wilhelm II. Gegen 15 Uhr rollten die gelben kaiserlichen Automobile die Charlottenburger Chaussee entlang. Im ersten Wagen, das ernste Gesicht vom blitzenden, adlergeschmückten Helm der Garde du Corps überschattet, der Kaiser, neben ihm die Kaiserin. Im zweiten Wagen der Kronprinz in Husarenuniform, das Antlitz von der Autobrille verdeckt. Zwischen ihm und der Kronprinzessin der künftige Thronfolger. Dann die Prinzen August Wilhelm, Adalbert und der Kommandierende General des Gardekorps Freiherr v. Plettenberg. Unter brausenden Hurrarufen bahnten sich die Wagen den Weg durch die Massen. Kurz vor 15 Uhr traf der Kaiser im 5chloß ein, und sofort flatterte die Kaiserstandarte hoch. Unverrückbar standen Hunderttausende vor dem Schloß und sangen die Nationalhymne. Ein vieltausendstimmiger Hurraschrei brandete auf, als sich die auf die Balustrade führenden Fenstertüren öffneten und der Kaiser-mit unbeweglichem Gesicht-, die Kaiserin und Prinz Adalbert heraustraten. Mit einer Armbewegung forderte Wilhelm II. Ruhe, und schnell lag atemlose Stille über der Menge.
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Der Kaiser sprach klar und scharf: »Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand ... Jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer! «
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Die patriotische Erregung hielt Berlin in Atem. Auf Extrablättern konnte es jeder lesen, der es nicht schon wußte: »Zustand drohender Kriegsgefahr verkündet!«
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Auf den Straßen wogten Menschenmassen, und spontan sangen einige, dann Tausende: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall: Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein! Wer will des Stromes Hüter sein!« Schließlich sangen die Massen: »Lieb Vaterland magst ruhig sein, fest steht und treu die Wacht, die Wacht am Rhein ... !«
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Abends um 20 Uhr erschien der Kaiser noch einmal auf dem Balkon seines Schlosses und rief unter dem Jubel der Berliner: »... Wenn es zum Kampfe kommt, hört jede Partei auf. Wir sind nur noch deutsche Brüder ...!« Die Menschen sangen bis tief in die Nacht. Sie sangen nicht nur in Berlin, sie sangen im ganzen Reich. Ein Taumel hatte die Deutschen erfaßt, der sich tags darauf - am 1 . August - noch steigerte, als rote Plakate an alle Anschlagsäulen geklebt wurden: Der Kaiser hatte um 17 Uhr die Mobilmachung des gesamten deutschen Heeres und der kaiserlichen Marine befohlen.
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Ein Massenwahn erfaßte die Deutschen, Franzosen, Osterreicher, Engländer und die Russen. Die Deutschen hatten über 40 Jahre im Frieden gelebt. Sie waren allesamt zu Hause und in den Schulen streng national, wenn nicht nationalistisch erzogen worden. Und in diesen Jahrzehnten wuchs ein neues Zeitalter: Die Industrialisierung. Es gab Flugzeuge und Luftschiffe. Autos und Telegraphiergeräte-alle noch im Entwicklungsstadium. Die Menschen hatten durch die Tageszeitungen Sensationen erfahren. Den Verlust des ersten »Zeppelin« bei Echterdingen beispielsweise, den Boxeraufstand in China, den Krieg gegen die Hereros in Deutsch-Südwestafrika, die Marokkokrisen ... Aber nichts von alledem hatte tief in das Leben aller eingegriffen.
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Jetzt aber erschien ihr Land in Gefahr; jeder war davon erfaßt, jeder mußte helfen. Der Glaube an das heilige Vaterland, gestützt noch von der Erinnerung an einen großen, ruhmreichen Krieg, an die Schlachten bei Wörth, Metz, Sedan und Paris 1870-1871, in denen die deutsche Einheit mit Blut erkämpft worden war. Das alles schuf eine prickelnde Erregung, die den Gedanken an Tod auf dem Schlachtfeld-neben echtem Opferwillen - romantisch verklärt aufkommen ließ. Der Massenwahn erfaßte Jung und Alt, die durch die Straßen drängten, vaterländische Lieder sangen und riefen:
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 »Nach Paris, nach Paris!«
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Aber die Franzosen, vom gleichen Fieber gepackt, schrien: »Nach Berlin!« und das riefen auch die Russen in St. Petersburg und in Moskau.
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Selbst die kühlen Engländer gerieten in einen Taumel und freuten sich auf den Krieg, der ein einziges Abenteuer zu werden versprach. Eine unverantwortliche Presse ermutigte sie noch dazu. Journalisten, auch wenn sie von Kriegführung keine Ahnung hatten, schürten die Begeisterung und redeten ihren Lesern ein, daß es sich ohnedies nur um einen kurzen, ehrenvollen Feldzug handeln werde.
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»Le Temps«, die bedeutendste Tageszeitung Frankreichs, schrieb: »Man glaubt, daß in einem modernen Krieg die Verluste außerordentlich hoch seien. Ernste Forschungen beweisen jedoch das Gegenteil. Denn je perfekter die Waffen sind, um so mehr verringert sich die Zahl der Gefallenen.«
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Ohne Ahnung von dem, was ihnen im modernen Krieg bevorstand, meldeten sich in diesen hektischen Tagen in Deutschland 1,3 Millionen Kriegsfreiwillige, in Österreich-Ungarn waren es 460000 und in Frankreich 1,1 Millionen Mann.
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Der jüngste Kriegsfreiwillige Österreichs war der 13jährige Otto Krahanek, der es innerhalb eines Jahres zum Korporal brachte. Der jüngste Unteroffizier der preußischen Armee war Otto Voß aus Gotha. der mit vierzehn Jahren in die Armee eintrat und mit fünfzehn das Eiserne Kreuz 2. Klasse (EK II) und die Unteroffiziertressen trug. Die ältesten deutschen Kriegsfreiwilligen: Der 72jährige Rittmeister a. D. von Schleinitz aus Berlin und der gleichalte Trompeter Karl August Voigt aus Hamburg - beide hatten bereits in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 mitgekämpft.
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Von der allgemeinen Begeisterung nicht angesteckt waren allenfalls die Generalstäbe der demnächst kriegführenden Mächte. Es galt, nach längst ausgearbeiteten minuziösen Plänen die Armeen zu mobilisieren. Erstmals in der Weltgeschichte handelte es sich um Millionenheere. Im Deutsch-Französischen Krieg des Jahres 1870/7I waren anfangs 48400(i Deutsche und 320000 Franzosen aufmarschiert. Diesmal aber wurden innerhalb von zwei Wochen auf allen Seiten_ im Westen wie im Osten, 12 Millionen Mann, 5 Millionen Pferde und 40000 Geschütze in die Bereitstellungsräume geschickt, fast durchweg per Eisenbahn.
« Letzte Änderung: Mo, 21. Juni 2010, 14:27 von Adjutant »

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Mobilmachung und Vormarsch im Westen
« Antwort #1 am: Di, 20. Februar 2007, 18:44 »
Diese Aufmarschpläne waren sozusagen unwiderruflich. Eine Änderung würde ein allgemeines Chaos her vorrufen, und nichts mußten die Generalstäbler meh fürchten als eine solche plötzliche Änderung der politischen Situation. So verschwand der russische Generalstabschef nach Auslösung des Mobilmachungsbefehl für 23 Stunden, um zu verhindern, daß der Zar sich etwa anders entscheiden könnte.

Auch für den legendären deutschen Großen Generalstab kam es auf die Stunde an. Der Aufmarsch de Truppen war auf den Plan abgestimmt, den Graf v Schlieffen - Chef des Generalstabs 1891 bis 1905 - entworfen hatte. Sein Nachfolger, Generaloberst Graf  v.Moltke - der Jüngere -, hatte ihn neueren Gegebenheiten angepaßt und wesentlich verändert. In früherer Kriegen hatte der Feldherr von einem Hügel herab die Shlacht überblickt und aus der Situation heraus seine Befehle gegeben. Dagegen war der Schlieffen-Plan einvorgefertigtes Rezept des Sieges. Aufmarsch und an schließende Truppenbewegungen sollten ablaufen wie vorgeplant, ohne daß noch wesentliche Eingriffe nötigewesen wären.

Praktische Erfahrungen über die Führung von Millionenheeren fehlten allerdings. Von einem Feldherrnhügel aus konnten diese jedenfalls nicht mehr dirigiert werden, sondern nur von einem stationären Hauptquartier aus über die modernen, freilich zum Teil noch irr Anfang der Entwicklung stehenden Nachrichtenmitte; Telegraf, Telefon, Funkgerät, Kraftwagen, Flugzeug und Luftschiff.

Der »jüngere« Moltke war der Neffe des berühmten Generalfeldmarschalls v. Moltke, der die Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 für Preußen gewonnen und dadurch mitgeholfen hatte, den König von Preußen ab Kaiser Wilhelm I. über das Deutsche Reich zu setzen. Am Nachmittag des 1. August nahm er am Kronrat Kaiser Wilhelms II. im Berliner Schloß teil. Danach fuhr er in Richtung Königsplatz, wo sich das Gebäude des Großen Generalstabes befand. Doch unterwegs hielt ihn ein Kurier an: Er solle sofort zum Kaiser zurückkehren. Dort erlebte er das Schlimmste, was ihm widerfahren konnte: Der Kaiser informierte ihn über einen etwas wirren Bericht des deutschen Botschafters in London. Danach sei England bereit, Frankreich vom Krieg abzuhalten, falls Deutschland keine feindseligen Handlungen gegen England unternehme. Der Kaiser hatte bereits Champagner verlangt und sagte freudig erregt zu Moltke: »Nun brauchen wir den Krieg nur gegen Rußland zu führen! Also wir marschieren einfach mit der ganzen Armee im Osten auf!«

Keiner der Anwesenden schien zu ahnen, was es bedeutet, einem bereits mobilmachenden Frankreich gegenüber die Westfront zu entblößen. »Und ich stand ganz allein ...«, schrieb Moltke später nieder. Er versuchte dem Kaiser zu erklären, daß er nicht einfach Millionen Soldaten, Pferde, Geschütze und Nachschubgüter umdirigieren und nach Osten transportieren könne. Nur ein wüster Haufen bewaffneter Menschen ohne Verpflegung käme dort an. »Ihr Onkel würde mir eine andere Antwort gegeben haben«, sagte der Kaiser enttäuscht. Der Generalstabschef aber wies darauf hin, daß der Schlieffen-Plan auf der sofortigen Inbesitznahe der luxemburgischen Eisenbahn basiere. »Unsere Patrouillen, so erklärte er dem Kaiser, »sind schon in Luxemburg eingerückt, und die Division aus Trier folgt deich nach. «

Die Besetzung Luxemburgs wäre eine direkte Bedrohung Frankreichs, entsetzte sich der Reichskanzler v.Bethmann-Hollweg, auf keinen Fall dürfe die 16. Division aus Trier einmarschieren. Der Kaiser, ohne sich weiter um Moltke zu kümmern, befahl seinem Generaladjutanten, die 16. Division telegrafisch zu stoppen. Statt der luxemburgischen könne man ja irgendeine andere Bahn für Truppentransporte benutzen!

Als gebrochener Mann kehrte der Chef des Großen Generalstabes in sein Hauptquartier am Königsplatz zurück, wo ihm der Chef der Operationsabteilung den fertigen Haltebefehl an die 16. Division zur Unterschrift vorlegte. Moltke unterschrieb nicht, sondern blieb erschöpft und tatenlos an seinem Schreibtisch sitzen. Nachts um 23 Uhr erhielt er die neuerliche Aufforderung, sofort beim Kaiser zu erscheinen.

Er wurde in die kaiserlichen Privatgemächer geführt, wo ihn Wilhelm Il. im Nachtgewand erwartete und ihm ein Telegramm des britischen Königs Georg V. hinstreckte. Darin stand, daß der deutsche Botschafter ihn völlig mißverstanden haben müsse. Von der britischen Garantie einer französischen Neutralität könne keine Rede sein. Der Kaiser sagte seinem Generalstabschef lakonisch: »Nun können Sie machen, was Sie wollen. «

Generaloberst v. Moltke, der die Befehlsgewalt über die bisher größte Armee der Geschichte ausübte und vor der größten Schlacht stand, die bis zu diesem Zeitpunkt geschlagen wurde, schrieb: »Ich habe die Eindrücke dieses Erlebnisses nicht überwinden können, es war etwas in mir zerstört, das nicht wieder aufzubauen war, Zuversicht und Vertrauen waren erschüttert. «

Die Armeen marschierten mit der Präzision auf, die bei der Planung vorgesehen worden war. Zwischen Basel und Krefeld entwickelten sich 7 deutsche Armeen und 2 Kavalleriekorps mit 1,6 Millionen Mann, 900000 Pferden und 5400 Geschützen. Ihnen gegenüber zogen 1,9 Millionen Mann - 5 französische Armeen und das britische Expeditionskorps in den Kampf.

Zur Verteidigung gegen die 2,5 Millionen Soldaten starke russische Armee transportierten die Eisenbahnen 750000 österreichische und 450000 deutsche Soldaten in den Osten.

Vom 4. bis zum 8. August 1914 benötigte das deutsche Feldheer 17991 Eisenbahnzüge und brauchte vom 6. bis zum 15. Mobilmachungstag weitere 11000 Züge.

Die Soldaten hatten mit Kreide Sprüche an die Waggons geschrieben: »Zum Schützenfest nach Petersburg«, »Jeder Stoß ein Franzos', jeder Tritt ein Brit', jeder Schuß ein Russ'« und »Auf in den Kampf, mich juckt die Säbelspitze« - frisch-fröhlicher Soldatenulk, geboren aus der Überzeugung, daß dies alles nur ein kurzer Ausflug und man wieder zurück sei, »bevor die Blätter fallen«, wie es der Kaiser bildreich versprochen hatte.

Der 2. August 1914 war ein Sonntag. Überall, von Königsberg bis Straßburg, von Flensburg bis Passau, marschierten die Regimenter mit Musik zu den Bahnhöfen, von jubelnden Menschen begleitet. Die Soldaten trugen Blumen an den Uniformen, und Frauen steckten ihnen Eßwaren zu.

Am Königsplatz in Berlin erhielt dar Generalstabschef v. Moltke die Nachricht, daß die 16. Division aus Trier in Luxemburg die Eisenbahnanlagen besetzt habe. Auch der östereichische Aufmarsch schien reibungslos zu verlaufen. Das gleichfalls mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbündete Italien hatte für den Kriegsfall eine Armee mit drei Armeekorps und zwei Kavalleriedivisionen zugesagt, die unter dem Kommando von General Zuccari am Oberrhein eingesetzt werden sollte. Moltke rechnete jedoch angesichts der politischen Spannungen zwischen Wien und Rom von Anfang an nicht mit italienischer Hilfe, hoffte allerdings, daß Italien neutral bleiben würde.

Um 19.20 Uhr an diesem 2. August überreichte der deutsche Botschafter in Brüssel der belgischen Regierung ein Ultimatum, in dem gefordert wurde, deutschen Truppen freien Durchmarsch durch Belgien zu gewähren. Bedenkzeit: 12 Stunden.

Der König der Belgier wandte sich mit der Bitte um Hilfe an London. England erklärte, daß es die Neutralität Belgiens schützen werde und erhielt so eine moralisch einwandfreie Position. Deutschland - unter dem Druck seiner angelaufenen Mobilmachung - erklärte am 3. August an Frankreich und am 4. August an Belgien den Krieg, nachdem es schon am 1. August der russischen Regierung die Kriegserklärung hatte zukommen lassen. Vor der Weltöffentlichkeit stand Deutschland nun als der alleinige Verursacher des Weltkrieges da, obwohl Rußland schon wesentlich früher und Frankreich kurz vor Deutschland die Mobilmachung angeordnet hatte. England seinerseits erklärte den »Mittelmächten« - Deutschland am 4. August, Österreich-Ungarn am 12. August - den Krieg.

Der deutsche Einmarsch in Belgien aber schien dem Großen Generalstab - ab Kriegsbeginn als »Generalstab des Feldheeres« bezeichnet-zwingend notwendig weil auf ihm der Schlieffen-Plan beruhte.

Daß Belgien ein souveräner Staat war, der es nicht zu dulden brauchte, wenn auf seinem Gebiet Krieg geführ wurde, darüber setzten sich politische und militärische Führung hinweg. Beide gingen davon aus, daß sich der Gegner um diese Souveränität auch nicht scheren werde und es nur darauf ankäme, wer zuerst die besseren Positionen besetzte. Den deutschen Staatsmännern und Militärs waren der Schlieffen-Plan und seine Risiken bekannt. Und was sie als Entschuldigung und Kommentar zum Einfall in Belgien äußerten, nämlich: »Not kennt kein Gebot«, und: die - von Preußen seinerzeit mit unterschriebene Garantieerklärung für den belgischen Staat von 1839 sei »ein Fetzen Papier«, war nicht dazu angetan, Deutschlands Position vor der Weltöffentlichkeit zu verbessern.

Gemäß dem Schlieffen-Plan hatte die Masse des deutschen Feldheeres - 36 Armeekorps - an der französischbelgischen Grenze entlang erst nach Westen, dann nach Südwesten zu marschieren und dann, mit dem rechten Flügel westlich an Paris vorbei, nach Südosten einzuschwenken. Durch diese gewaltige Drehung sollte der linke Flügel des französischen Heeres umfaßt, gegen die Schweizer Grenze gedrückt und dort vernichtet werden. Gegenüber der starken französischen Festungslinie Verdun-Belfort sollten nur schwache deutsche Kräfte hinhaltend kämpfen.

Nach dem Sieg über Frankreich erst hatte dann der Feldzug gegen Rußland zu beginnen.

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Mobilmachung und Vormarsch im Westen
« Antwort #2 am: Di, 20. Februar 2007, 18:52 »
Generaloberst Helmut von Moltke übernahm den Schlieffen-Plan, jedoch mit erheblicher Skepsis. Er erinnerte sich eines Ausspruchs des alten Moltke, seines Onkels, der gesagt hatte, daß kein Plan die Berührung mit dem Feinde überleben würde. Der Schlieffen-Plan war starr und stellte keineswegs alle möglichen Handlungsweisen der Franzosen ins Kalkül. Dem Kaiser hatte der jüngere Moltke noch vor seiner Ernennung zum Generalstabschef zu bedenken gegeben »... ist es in jedem Fall sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sich jetzt auszumalen, welche Form ein moderner Krieg in Europa annehmen wird .. . Wie es, wenn überhaupt, möglich sein wird, die riesigen Armeen, die wir aufstellen werden, als eine Einheit anzuführen, kann, glaube ich, niemand im voraus wissen . . .«

Aus dieser Unsicherheit heraus verwässerte Moltke den Schlieffen-Plan auch noch und nahm ihm damit-falls er das überhaupt jemals gehabt hat - die Aussicht auf Erfolg: Die für Elsaß-Lothringen vorgesehenen schwachen Verteidigungskräfte wurden mehr als verdoppelt, der Angriffsflügel entsprechend geschwächt. Aus dem ursprünglich vorgesehenen Kräfteverhältnis acht zu eins zwischen Angriffs- und Verteidigungsflügel wurde das Verhältnis drei zu eins.

Um sich in der belgischen Ebene zur Schlacht entfalten zu können, mußte Lüttich fallen, das mit einem Ring von betonierten, modernen Sperrforts den Engpaß des Maastales sperrte, den die 320000 Soldaten der I . Armee zu passieren hatten. Moltke hatte befohlen, die Stadt Lüttich am ersten Kriegstag im Überraschungsangriff zu nehmen.

Mehrere deutsche Infanteriebrigaden überschritten die belgische Grenze und standen nach leichteren Gefechten mit belgischen Truppen am Abend des 5. August am Ost- und Südrand des Sperrgürtels der Festung Lüttich. Voraustrabende Kavallerieschwadronen gerieten in den Festungsbereich und wurden aufgerieben. Die Brigaden traten in der Dunkelheit den Vormarsch an und wurden sofort in heftige Gefechte verwickelt. Bei der 14. Infanteriebrigade befand sich der Generalmajor Erich Ludendorff, Oberquartiermeister der 2. Armee. Er hatte einst im Großen Generalstab den Handstreich auf Lüttich bearbeitet.

Die Brigade erhielt starkes Flankenfeuer. Zu den Nachbarbrigaden war die Verbindung abgerissen. Zunehmend griff Unsicherheit und Verwirrung unter den Truppen um sich. Kurz vor dem Morgengrauen fiel General v. Wussow, der Brigadekommandeur, und Ludendorff übernahm das Kommando. Es gelang ihm, die Brigade durch die Fortlinie hindurchzuführen. Die Soldaten stürmten in den Tag hinein, der belgische Widerstand ließ nach. Die Brigade marschierte den ganzen Tag und rastete - vom Feinde unerkannt - bei Einbruch der Dunkelheit. Am frühen Morgen des 7. August aber stiegen von den Höhen die Schützenlinien der 14. Brigade herab, zogen ungehindert in Lüttich ein und besetzten die Maasbrücken. Die belgische Besatzung der Zitadelle streckte die Waffen.

Ganz Deutschland jubelte über den ersten großen deutschen Sieg. Das war der erwartete »frisch-fröhliche« Krieg. Wie die Kölnische Volkszeitung meldete, »hat sich das Zeppelinschiff >Z. 6< an dem Kampf um Lüttich in hervorragender Weise beteiligt ... Aus einer Höhe von 600 Metern wurde die erste Bombe geworfen. Es war ein Versager. Darauf ging das Luftschiff bis auf 300 Meter hinunter und schleuderte weitere zwölf Bomben, die sämtlich sofort explodierten. Alle diese Bomben hat der Reserve-Unteroffizier Trümper aus der hinteren Gondel geworfen. «

Aber noch keines der Lütticher Sperrforts befand sich in deutscher Hand. Um sie zu bezwingen, wurde die Wunderwaffe des Ersten Weltkrieges eingesetzt, der 42-cm-Mörser, volkstümlich die »Dicke Berta« genannt. Die Geschosse mit einem bis dahin unbekannt großen Kaliber durchschlugen die Panzerkuppeln. Eine Granate eines dieser Krupp-Mörser durchbohrte die Kuppel eines Panzerturms und das darunter befindliche fünf Meter dicke Betonwerk und detonierte in der Munitionskammer. Etwa 500 belgische Soldaten wurden getötet. Die Kölnische Zeitung berichtete: »Dort liegen die meisten noch jetzt, ohne daß es möglich ist, ihre Leichen zu bergen . . . Vermutlich wird man die Spalten und Höhlen ausschütten, um auf diese Weise aus dem Fort einen Massengrabhügel zu machen ... «

Die fürchterliche Wirkung der 42-cm-Mörser zerstörte bis zum 15. August 1914 auch das letzte der belgischen Sperrforts um Lüttich und zermalmte später die Forts von Antwerpen.

Nach der Niederkämpfung der Lütticher Forts verlegte Moltke sein Hauptquartier von Berlin nach Koblenz.

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Mobilmachung und Vormarsch im Westen
« Antwort #3 am: Di, 20. Februar 2007, 18:59 »
Das war am 16. August 1914, am gleichen Tag, an dem die Masse des britischen Expeditionskorps in Frankreich zu landen begann. Im Gegensatz zu den deutschen, belgischen und französischen Soldaten hatten die Briten einige Kriegserfahrung, und zwar aus den harten Kämpfen gegen die Buren in Südafrika.

Die deutsche 1. und 2. Armee indes rüstete sich zum Vormarsch nach Frankreich hinein, zu Fuß und zu Pferd, um den Schlieffen-Plan in die Tat umzusetzen. Doch schon seit einigen Tagen zeigte sich, daß der Feind eigene Absichten hegte. So hatten die Franzosen am 7. August bei Mülhausen im Elsaß mit starken Kräften angegriffen, die freilich für eine Großoffensive nicht ausreichten. Es gelang ihnen, Mülhausen zu besetzen. Zwei Tage später eroberten die Deutschen Mülhausen zurück, am 19. August fiel die Stadt zum zweitenmal in Feindeshand. Diese Kämpfe waren jedoch ohne strategische Bedeutung.

Am 14. August überschritten französische Truppen auf breiter Front weiter nördlich bei Metz die deutsche Grenze - offenbar der Beginn einer größeren Offensive. Die 6. Armee des bayerischen Kronprinzen Rupprecht verblieb in ihren weiter zurückliegenden Verteidigungsstellungen und erhielt sogar den Befehl, sich zurückzuziehen. Die Franzosen folgen nur zögernd. Moltke erwog, die Franzosen von beiden Flanken her anzugreifen und sie einzukesseln. Dazu hätte er allerdings weitere Truppen vom rechten Flügel abziehen müssen, was den Schlieffen-Plan noch mehr gefährdet hätte. Da griff Kronprinz Rupprecht mit seinen Bayern an und warf die Franzosen zurück.

Noch mehr Unvorhergesehenes geschah: Mitte August drangen russische Verbände in Ostpreußen ein und besiegten die Deutschen am 17. überraschend bei Stallupönen. So früh und in solchen Massen hatte die Oberste Heeresleitung (OHL), wie der Generalstab des Feldheeres nun bezeichnet wurde, nicht gerechnet. Nervosität breitete sich aus.

Nervosität entstand zusätzlich noch aus einem anderen Grund: Die belgische Zivilbevölkerung griff in den Kampf ein. Deutsche Sanitäts- und Nachschubkolonnen wurden aus dem Hinterhalt überfallen und niedergemacht. Haß und Grausamkeit brachen aus. Die Deutschen übten Vergeltung, Dörfer und Städte, so das mittelalterliche Löwen, wurden niedergebrannt, die belgischen Heckenschützen wüteten um so mehr. Der Landwehrhauptmann Paul Oskar Höcker beschrieb in einer Zeitung, wie er einen sechzehnjährigen belgischen Jungen mit einem geladenen Gewehr entdeckte und befiehlt: » >Er wird erschossen. Drei Mann. Fertig.< Und von den drei Wehrleuten - es sind Familienväter .. . - zuckt auch nicht einer mit der Wimper. Diese Sache ist gerecht. Hier ist ein Schurke gefaßt, der kein Mitleid verdient. Die Salve kracht. Der schlotternde Körper sinkt in sich zusammen und rührt sich nicht mehr . . .«

Bedroht durch Heckenschützen, traten die deutschen Armeen des rechten Flügels am 18. August einen atemberaubenden Vormarsch durch Belgien an. Westlich der Maas zogen die 1. Armee (Generaloberst v, Kluck) und die 2, Armee (Generaloberst v. Bülow) über die Linie Brüssel-Namur. Östlich der Maas marschierten die 3. Armee (Generaloberst v. Hausen), die 4. Armee (Generaloberst Herzog Albrecht von Württemberg) und die 5. Armee (Generalleutnant Kronprinz Wilhelm von Preußen) gegen Dinant, Givet und Verdun.

Über eine Million deutscher Soldaten, die mit feldgrauem Tuch überzogene Pickelhaube auf dem Kopf, marschierten durch Hitze und Staub. Sie drängten sich in den Marschpausen durstig um Brunnen und warfen sich im Schatten der Chausseebäume in das verstaubte Gras des Straßenrandes. Andere Kolonnen schlurften an ihnen vorüber; bespannte Artillerie rasselte vorbei und wirbelte Staubwolken hoch. Die Soldaten rappelten sich fluchend wieder auf, schnallten sich die von gefüllten Patronentaschen, dem Brotbeutel, Spaten und der Feldflasche schweren Koppel um, warfen sich die fellbespannten Tornister, um die Mantel und Wolldecke darum gerollt, auf die Schultern. Eine Mühsal, Kilometer um Kilometer, doch da war ein Ziel, weit, weit irgendwo, und das hieß Paris. Der Sieg stand vor ihnen, und sie stapften ohne Tritt, wurden beschossen, schwärmten aus, Schützenreihe, Schützenkette - fünf Schritt Abstand von Mann zu Mann. Geschoßknall über ihnen, hinlegen, in Sprüngen vorarbeiten. Irgendwo ein langanhaltender, klagender Schrei und der Ruf: »Sanitäter!« Blaue Gestalten mit roten Hosen am Waldrand, Entfernung 300, Feuer frei. Maschinengewehrfeuer. Schrapnellwölkchen am Himmel. »Seitengewehr - pflanzt auf! Hurra, Hurra!« Vormarsch, Tag und Nacht. Marschieren und kämpfen. Staub, Blut, schmerzende Füße, ein Witz, ein Lied -und dann wieder stummes, verbissenes Marschieren. Da vorne lockt der Sieg. Sieg über die Franzosen bei Neufchäteau, bei Longwy, bei Namur.

Begeisterung in der Heimat über die tapferen Feldgrauen. Die Belgier haben sich in die Festung Antwerpen zurückgezogen, hurra! Der »Bote aus dem Riesengebirge« veröffentlichte das »Reiterlied«, gereimt vom Dichter Gerhart Hauptmann: »Es kam wohl ein Franzos daher. Wer da, wer? - Deutschland, wir wollen an deine Ehr! - Nimmermehr! ... Nimmermehr nimmt sie uns irgendwer, dafür sorgt Gott, Kaiser und deutsches Heer. Nimmermehr!«

Quelle-Illusrierte Geschichte des Ersten Weltkrieges (Ch.Zentner)

Mobilmachungsplakate riefen die Franzosen für Sonntag,den 2.August 1914,zu den Waffen.

Grüße
Josef
« Letzte Änderung: Mo, 21. Juni 2010, 14:28 von Adjutant »

 


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