Der Beobachtungsposten von Lang Vei wurde am 7. Februar kurz nach Mitternacht durch eine herunterschwebende Leuchtkugel erhellt. Als der Feldwebel Nikolas Fragas in das gleißende Licht blinzelte, war die Überraschung perfekt: Hinter den zwei Nordvietnamesen, die seelenruhig den Zaun des Verteidigungsringes durchschnitten, wälzten sich zwei olivgrünne Kolosse heran - Panzer! Fragas funkte seinem Abteilungskommandeur: „Bei uns sind Panzer im Drahtverhau!" Wenn die Stimme des 24jährigen Hilfsfachsanitäters etwas schrill klang, dann war das verständlich - zwei nordvietnamesische Panzer würden ihn bald überrollen. Das war einem amerikanischen Soldaten in Südvietnam noch nie passiert; zum ersten Male setzte die NVA Panzer ein.
Es geschah nur wenige Tage nach Eröffnung der Tet-Offensive, die ganz Südvietnam erschüttert hatte. Dieses kleine Lager der Special Forces war auf vieles vorbereitet, aber nicht auf Panzer. Am Vortag waren 50 Schuß schweren Artilleriefeuers eingeschlagen. Sie hatten das Lager mit Kratern übersät, zwei Bunker zertrümmert und dem Sanitätsdienst eine Reihe Verwundeter gebracht. Dem Feuer war eine gefährliche Mischung von Leuchtspurmunition und fremdartiger rumpelnder Geräusche gefolgt. Die Soldaten hatten das dem alten scheppernden Lagergenerator zugeschrieben, aber jetzt waren die tatsächlichen Quellen des Lärms identifiziert.
Lang Vei sollte die Kommunisten mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen. Es lag in einer dicht bewaldeten und schroffen Landschaft, 35 Kilometer südlich der Entmilitarisierten Zone und acht Kilometer südwestlich des Stützpunktes Khe Sanh. Es war als Basislager für Aufklärungsunternehmen entlang des Ho-Chi-Minh-Pfades und für grenzüberschreitende Guerillaaktionen gedacht und v gebaut; es eignete sich daher weniger als Verteidigungsstellung. Dazu fehlte es an eigener Artillerie oder schnell verfügbaren Kampfbombern.
Wallende Leuchtspurbänder
Im Lager waren 22 Green Berets und 400 Freiwillige untergebracht. Lang Vei lag in einer gefährdeten Position. Rund 40.000 NVA Soldaten waren im Raum Khe Sanh zusammengezogen worden. Es war nur durch die schwere Artillerie der Marines in Khe Sanh und die Kampfbomber in Da Nang zu halten. Als dann die Leuchtspurmunition die Nacht erhellte und Feuerstößen aus automatischen Waffen explodierten, da hofften die Verteidiger von Lang Vei auf rechtzeitiges Eintreffen dieser Feuerkraft.
Die NVA-Panzer zerpflügten das Stacheldrahtsystem des Stützpunktes und drangen in den Verteidigungsring ein. Im Leuchtspurfeuer konnte Fragas zwei Infanteriezüge in ihrem Kielwasser entdecken, die die Panzer als Schutz nutzten. Die wach geschossenen Verteidiger versuchten erfolglos, die Eindringlinge aufzuhalten. Das Handwaffenfeuer beeindruckte die sowjetischen PT-76 trotz nur leichter Panzerung wenig. Sie rumpelten weiter.
Als zwei PT-76 in die Südostecke des Lagers einbrachen, drehte sich Feldwebel James Holt mit einem der beiden Leichtgeschützen herum. Mit einer Leuchtgranate konnte er beide Panzer aus weniger als 350 Meter Entfernung ausschalten. Während die Besatzungen, darunter drei Frauen, aus den brennenden Todesfallen herauskamen, schwenkte ein dritter PT-76er um seine Vorgänger herum und begann, drei Bunker zu zerstören. Holt schwenkte die Waffe herum, feuerte erneut und erzielte einen dritten Treffer. Und das war auch sein letzter Schuß gewesen, denn hinter den drei zerstörten PT-76 kamen zwei weitere grüne Monster.
Spooky gibt Unterstützung
Oben wurde gekämpft, und unten in der Operationszentrale im Bunker saß Hauptmann Frank C. Willoughby, Chef der Special Forces Abteilung A-101. Er funkte nach Artillerieunterstützung von der Marinebasis in Khe Sanh. Die ersten Salven kamen 15 Minuten später nach Beginn der Kämpfe außerhalb des Verteidigungsringes nieder. Willoughby gab Zielkorrekturen an die Marines durch und dirigierte weitere Salven auf die Angreifer. Zehn Minuten kamen ein Spooky Kampfhubschrauber, ein Scheinwerferhubschrauber und ein Fliegerleitoffizier der Luftwaffe zur Unterstützung.
Dennoch stießen die nordvietnamesischen Soldaten mit der Feuerkraft ihrer Panzer weiter vor. Die Verteidiger versuchten, diese Kolosse wenigstens mit Handfeuerwaffen, Granaten und leichten Sturmwaffen aufzuhalten, doch die PT-76er überranten die Südostecke des Stützpunktes und richteten ihr Feuer nach innen. An der anderen Seite des Lagers wurde diese Taktik von drei Panzern wiederholt.
Während die Verteidiger am äußeren Ring von Lang Vei noch verzweifelt mit den Invasoren rangen, geschah das Unvermeidliche: Um 2.45 Uhr rollte ein Panzer durch den inneren Verteidigungsring, schwenkte seinen Turm und beschoß den Erste-Hilfe-Bunker. Ein zweiter Panzer drang in den innersten Bereich vor, hob eine Mörserstellung aus und bewegte sich unerbittlich auf das Nervenzentrum des Stützpunkts zu. Willoughbys Kommandozentrum lag jetzt wie eine Nuß da, die jeden Moment vom Nußknacker mit Panzerketten geknackt werden würde.
Doch das Ende wurde vertagt. Oberstleutnant Daniel F. Schungel hatte aus dem Stegreif Panzerknacker-Teams gebildet, die die Panzerbesatzungen aber bisher wenig beeindruckt hatten. Nun wendete sich das Blatt. Schungel setzte nach vorn und plazierte zwei Granaten unter der Wanne des Panzers. Sekunden später schlug eine LAW-Rakete hinten im Panzer ein. Die Luke des Panzers sprang auf, zuerst schlugen nur Flammen heraus und dann kroch die Besatzung aus dem zerstörten Fahrzeug. Wir nahmen einen nach dem anderen fest. Schungel verschwand in der Dunkelheit.
Angriff auf den Bunker
Doch die Nordvietnamesen waren de facto schon die Herren des Stützpunktes, obwohl die Verteidiger Lang Vei noch nicht aufgegeben hatten. Willoughby, Fragas, sechs weitere Green Berets, der südvietnamesische Stützpunktkommandant und 22 südvietnamesische Helfer waren in der Tiefe des Kommandobunkers isoliert, wollten sich jedoch nicht ergeben. Die NVA versuchte zuerst, den Bunker mit einem Panzer einzudrücken, dann feuerten sie in das Innere mit Sprengstoff, Granaten, Tränengas und Handfeuerwaffen.
Die Verteidiger wurden fast alle verwundet und litten unter Atemnot. Sie nahmen an, daß die Zerstörung des Bunkers bevorstand und vernichteten wichtige Unterlagen. Dann rief eine Stimme in vietnamesischer Sprache in den Bunker hinein: „Wir sprengen den Bunker. Also gebt jetzt auf."
Nach kurzer heftiger Diskussion folgten die Südvietnamesen der Drohung, draußen wurden sie von einem Hagel aus Maschinengewehrfeuer empfangen. So blieben nur acht Amerikaner zurück, von denen sechs verwundet waren. Sie waren fest entschlossen, bis zum bitteren Ende auszuharren.
Die Green Berets standen der NVA in Mut und Entschlossenheit nicht nach. Staubwolken und eine einstürzende Wand zeigten, daß die NVA erfolgreich gegraben hatte und nun in den Bunker eindrang. Aber im letzten Moment kam Hilfe. Drei Amerikaner, die Feldwebel Richard Allen und Eugene Ashley sowie Gefreiter Joel Johnson, waren mit 100 bewaffneten Laoten vom ursprünglichen Lager Lang Vei aus aufgebrochen, das einen Kilometer ostwärts vom neuen entfernt lag. Sie hatten beim FAC einige Tiefflugdurchgänge über das Lager der Besetzten angefordert und nun stieß die Truppe von Osten her vor. Sie wurde mit Maschinengewehr- und Mörserfeuer empfangen, mußte sich zurückziehen und forderten dann weitere Luftunterstützung an. Die Männer unternahmen zwei weitere Vorstöße und schickten dann einen Läufer zurück ins alte Lager, um ein 51mmLeichtgeschütz zu holen und es noch einmal zu versuchen. Diese zusätzliche Feuerkraft erlaubte es ihnen, bis an die Bunkerlinie vorzudringen, um abermals zurückgeworfen zu werden. Dann fielen Ashley und Johnson im feindlichen Artilleriefeuer, und jede weitere Rettungsaktion wurde vereitelt.
Im Kommandobunker wußte Willoughby, daß ihre Chancen schwanden. Die Zeit lief ihnen davon. Seit 18 Stunden waren sie ohne Verpflegung und Wasser. Der junge Chef der Green Berets wußte, daß ihre Situation hoffnungslos war, und handelte entsprechend. Er funkte überall nach Luftunterstützung und hoffte, in dem entstehenden Durcheinander entkommen zu können. Eine Maschine nach der anderen entlud ihre Fracht über dem Lager. Die vom Tageslicht geblendeten Überlebenden entstiegen im Schutz unzähliger Scheinangriffe dem Bunker. Das Bombardement hatte seine Aufgabe offensichtlich erfüllt - sie konnten aus dem Lager fliehen - nur aus einem Bunker wurden sie beschossen.
Als die Gruppe das alte Lager erreichte, traf sie dort auf den dreifach verwundeten Oberstleutnant Schungel, der gerade eine weitere Rettungsmannschaft zusammenzustellen begann. Willoughby erklärte ihm, das sei nicht nötig. Statt dessen wurde der FAC noch einmal angefunkt, und ein letzter Feuerhagel ging auf das Lager nieder. Die Schlacht um Lang Vei war vorbei.
Bild:Überreste eines PT-76
mfg
Josef