Massaker in No Gun Ri/Korea

Begonnen von md11, Mo, 24. Dezember 2007, 11:39

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md11

Hunderte Flüchtlinge starben Ende Juli 1950 in der koreanischen Stadt No Gun Ri im amerikanischen Kugelhagel. Ein Versehen, hieß es stets von Seiten der US-Armee dazu. Nun sind Dokumente aufgetaucht, die zeigen: Das Massaker, eins der schlimmsten des 20. Jahrhunderts, war angeordnet.


Washington - "Innerhalb weniger Minuten wurde die Welt zur Hölle; Menschen fielen, und überall spritzte Blut", erinnert sich Chung Goo Ho, 69, an das Massaker, das er als Kind erlebte. Es begann am 26. Juli 1950 in der Nähe des südkoreanischen Dorfs No Gun Ri und sollte drei Tage dauern. "Ich höre immer noch die letzten Schreie meiner Mutter", sagt Chung Goo Ho, "und ich weiß bis heute nicht, weshalb amerikanische Soldaten Hunderte von Zivilisten töten mussten."


Auch Chung Choon Ja, 68, damals ein zwölfjähriges Mädchen, überlebte das Blutbad. "Die amerikanischen Soldaten spielten mit unserem Leben wie kleine Jungen mit Fliegen." Inzwischen hat die US-Armee ihre lange geleugnete Verantwortung für das blutige Ereignis aus den ersten Wochen des Koreakriegs zugegeben. Wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit im Januar 2001 brachte US-Präsident Bill Clinton sein Bedauern über den Tod unbewaffneter Zivilisten bei No Gun Ri zum Ausdruck. Nur förmlich entschuldigen mochte er sich nicht, denn nach Auffassung der US-Armee hatten die GIs die koreanischen Zivilisten nicht vorsätzlich getötet. Dies wäre ein Verstoß gegen das Kriegsrecht gewesen, also ein Kriegsverbrechen.

Doch die offizielle US-Darstellung, die wegen entgegenstehender Zeugenaussagen und zeitgenössischer Quellen schon vor fünf Jahren nur wenig glaubwürdig klang, wird jetzt durch ein neu aufgefundenes Dokument endgültig erschüttert - durch einen Brief des damaligen US-Botschafters in Südkorea, John J. Muccio, vom 26. Juli 1950. Darin unterrichtete er das Außenministerium in Washington über eine "notwendige" Entscheidung der 8. US-Armee in Korea, die in den USA zu negativen Reaktionen führen könnte: Unter bestimmten Voraussetzungen sollten GIs auf Zivilisten schießen.

US-Truppen in Angst und Schrecken

Das Drama begann am 25. Juni 1950, als die nordkoreanische Volksarmee den 38. Breitengrad überschritt und innerhalb weniger Tage die südkoreanische Hauptstadt Seoul einnahm. Mit Billigung der Vereinten Nationen entsandte US-Präsident Harry S. Truman rasch ein amerikanisches Hilfskontingent. Es bestand aus zunächst 13.000 schlecht ausgebildeten und unzureichend bewaffneten Besatzungstruppen aus Japan, die in kurzer Zeit schwerste Verluste erlitten. Nach einer Woche waren 3000 GIs gefallen, verwundet, gefangen oder verschollen.

Die herannahende nordkoreanische Armee versetzte die unerfahrenen US-Truppen in Angst und Schrecken. Fluchtartig traten sie den Rückzug zur Hafenstadt Pusan an. Warnungen kursierten vor feindlichen Guerrillas. Getarnt als Bauern, so hieß es, mischten sie sich unter die Zehntausenden südkoreanischen Flüchtlingen, um die US-Linien zu infiltrieren. Die US-Armeeführung sah darin ein Problem "ernster, wenn nicht kritischer militärischer Natur".

Ein versprengtes Bataillon des 7. US-Kavallerieregiments grub sich am 26. Juli 1950 bei No Gun Ri auf einem mehrere hundert Meter langen Frontabschnitt ein. Ihm näherte sich am selben Tag eine Kolonne von 500 bis 600 Bewohnern umliegender Dörfer auf der Flucht vor den anrückenden Nordkoreanern. Die GIs wiesen sie von der Straße, die sie für US-Militärfahrzeuge freihalten wollten, auf einen angrenzenden Bahndamm. Als die Flüchtlinge dort rasteten, wurden sie plötzlich von US-Kampfflugzeugen unter Maschinengewehrfeuer genommen und bombardiert. Etwa hundert Menschen kamen nach koreanischen Augenzeugenberichten bei dem Angriff ums Leben.

"Drei Tage und Nächte wurde immer wieder auf uns geschossen"

Die meisten andern flüchteten sich in zwei Tunnel unter einer nahegelegenen Eisenbahnbrücke. Doch auch dort waren sie nicht sicher. "US-Soldaten in den umliegenden Schützengräben erschossen einige Leute, die weglaufen wollten", berichtet Chung Goo Ho. "Als es dunkel wurde, richteten die Soldaten Scheinwerfer auf uns. Dann begannen sie, in die Menge zu schießen. An die hundert Leute, die schnell laufen konnten, darunter auch mein Vater, flohen. Aber die meisten Frauen und Kinder mussten zurückbleiben. Drei Tage und Nächte wurde immer wieder auf uns geschossen. Ich dachte, ich würde sterben. Als sich die GIs am dritten Tag zurückzogen, gehörten meine jüngere Schwester und ich zu den nur ungefähr 20 Überlebenden." Die Gesamtzahl der Opfer bei No Gun Ri wird von koreanischen Zeugen auf etwa 400 beziffert. Damit wäre es nach My Lai das zweitgrößte Massaker, das US-Truppen im 20. Jahrhundert unter Zivilisten anrichteten.

Unter den autoritären Regimen Südkoreas, die alle auf US-Unterstützung angewiesen waren, hatten die Überlebenden keine Chance auf Gehör oder irgendeine Form von Wiedergutmachung. Außerdem leugnete die US-Armee, dass sich das 7. Kavallerieregiment zum besagten Zeitpunkt überhaupt in der Umgebung von No Gun Ri aufgehalten habe.

Erst ein Artikel der US-Nachrichtenagentur AP vom September 1999, der weltweit für Schlagzeilen sorgte und mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde, schuf die Voraussetzung für eine gründliche Untersuchung des Massakers durch den Generalinspekteur der US-Armee. Denn in dem AP-Bericht kamen erstmals auch ein gutes halbes Dutzend US-Veteranen des Koreakriegs zu Wort, die entweder selbst zu den Todesschützen bei No Gun Ri gehört hatten oder den Vorfall bezeugen konnten.

"Es war Massenmord", sagte der ehemalige Gefreite Herman Patterson. "Wir haben sie einfach umgelegt", bestätigte der frühere MG-Schütze Norman Tinkler, und auch der damalige Leutnant Robert M. Carroll erinnerte sich, dass US-Soldaten aus ihren Erdlöchern das Feuer auf die Flüchtlinge eröffneten.

Bomben statt Warnzetteln

Zwei Tage vor dem Massaker hatte das Hauptquartier der 1. US-Kavalleriedivision, zu der das 7. Kavallerieregiment gehörte, durchgegeben: "Flüchtlinge haben die Front nicht zu überqueren. Es wird auf jeden geschossen, der versucht, die Linien zu überschreiten. Im Fall von Frauen und Kindern ist Besonnenheit zu bewahren." Und der Kommandeur der angrenzend in Stellung gegangenen 25. US-Infanteriedivision hatte angeordnet: "Alle Zivilisten, die in diesem Bereich gesehen werden, sind als Feinde zu betrachten und werden entsprechend behandelt." Doch der Generalinspekteur der US-Armee maß den Zeugenaussagen und vage formulierten Funksprüchen wenig Bedeutung bei. Nach 14-monatiger Untersuchung kam er zu einem Ergebnis, das die koreanischen Überlebenden als "Schönfärberei " bezeichneten: Bei dem Vorfall habe es sich um eine "unglückliche Tragödie" gehandelt, nicht aber um "vorsätzliche Tötung", und einen Befehl, auf Zivilisten zu schießen, habe es nicht gegeben.

Diese Auffassung wird jetzt durch das Dokument, das der Archivar und Historiker Sahr Conway-Lanz kürzlich im US-Nationalarchiv entdeckte, endgültig widerlegt. Der Bericht des Botschafters John J. Muccio vom 26. Juli 1950 zeigt, dass die GIs der ausdrücklichen Anweisung der US-Armeeführung in Korea folgten.

Die hatte am Tag zuvor einen kriegsrechtswidrigen Beschluss gefasst. "Nördlich der US-Linien sollen Flugblätter abgeworfen werden, in denen die Bevölkerung davor gewarnt wird, sich weiter nach Süden zu bewegen, und dass sie Gefahr läuft, beschossen zu werden, wenn dies trotzdem geschieht", berichtete Muccio. "Wenn Flüchtlinge nördlich der US-Front auftauchen, werden Warnschüsse abgegeben, und wenn sie sich weiter nähern, werden sie erschossen."

Am Morgen des 26. Juli funkte die Führung der 8. US-Armee den Befehl an alle Truppen im Kampfgebiet. Kurz darauf warfen Flugzeuge anstelle von Warnzetteln Bomben auf die Flüchtlinge, die GIs eröffneten befehlsgemäß das Feuer, und Hunderte Zivilisten, hauptsächlich alte Männer, Frauen und Kinder, starben. Und das Massaker von No Gun Ri war kein Einzelfall. Zahllose weitere Flüchtlinge, behaupten US-Veteranen und koreanische Überlebende, wurden später in ähnlichen Situationen getötet.

Quelle:Der Spiegel (Bericht von A.Frohn) 25.07.2006

mfg
Josef