Autor Thema: Leben und Schicksal  (Gelesen 1106 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline md11

  • Global Moderator
  • Dauerschreiber
  • *****
  • Beiträge: 4.743
  • Country: 00
  • Geschlecht: Männlich
Leben und Schicksal
« am: Fr, 03. Oktober 2008, 22:15 »
Titel:Leben und Schicksal
Herausgeber:Wassili Grossmann
Verlag:Claassen
Erscheinungsdatum:08.August 2007
Seitenzahl:1084
ISBN:
Sonstiges:Wassili Grossmans Momumentalwerk "Leben und Schicksal" über die Schlacht von Stalingrad wurde wieder aufgelegt.
Die Wiederentdeckung eines Jahrhundert-Romans: Wassili Grossmans „Leben und Schicksal" über die Katastrophe von Stalingrad wurde von der Sowjet-Führung vor Erscheinen vernichtet. Ein Abschrift blieb erhalten und ist jetzt - um die bisher fehlenden Kapitel erweitert - neu erschienen.

Siebzehn Jahre, von 1943 bis 1960, arbeitete der Autor Wassili Grossman an seinem epochalen Roman über Stalingrad und die Wende des Krieges. Dabei hielt er sich nicht an die Gebote des „sozialistischen Realismus", sondern orientierte sich an der Tradition des kritischen Realismus, der die russische Literatur im 19. Jahrhundert zur Weltliteratur erhoben hatte.

Sein großes Vorbild war Leo Tolstois „Krieg und Frieden". Bewusst wählte er einen ähnlich lautenden Titel: „Leben und Schicksal". Der erste Teil erschien nach vielen zensierenden Eingriffen schon 1952, also zu Lebzeiten Stalins. Als Grossman 1958 das Manuskript des zweiten, hier vorliegenden Teils bei einer Zeitschrift einreichte und es von dort aus automatisch auch andere Stellen (wie zum Beispiel den KGB) erreichte, standen die Genossen Kopf.

Manuskript unschädlich gemacht
Gerade eben war der PasternakSkandal überstanden. Der „Doktor Schiwago" war im Westen erschienen und hatte dem Autor den Nobelpreis eingebracht. Etwas Ähnliches musste unbedingt verhindert werden. Man verfiel auf die Idee, nicht den Autor selber, sondern das Manuskript von „Leben und Schicksal" zu verhaften.

Jegliche Spuren sollten getilgt werden - nicht nur die im Umlauf befindlichen Exemplare des Manuskriptes wurden konfisziert, sondern auch das zum Tippen verwendete Durchschlagpapier und die Farbbänder der Schreibmaschinen. Man wollte sich in dem Glauben wiegen, ein solches Buch habe es niemals gegeben: ein probates sowjet-russisches Mittel im Umgang mit Wahrheit und Wirklichkeit. Wassili Grossman ging daran zugrunde. Er starb gebrochen 1964 im Alter von 59 Jahren.

Aber die Wirklichkeit lässt sich nicht auf Dauer ausrotten. 1974, als der Fall Grossman längst begraben schien, tauchte plötzlich eine Abschrift von „Leben und Schicksal" auf. Jetzt trat der Satiriker Wladimir Woinowitsch auf den Plan, der mit seinen Tschonkin-Romanen gerade Weltruhm erlangte und kurz vor der Ausbürgerung stand. In einem Nachwort schildert er die abenteuerliche Groteske, wie er den Roman vor dem Zugriff des KGB rettete, sodass er 1980 im Westen erscheinen konnte (auf deutsch 1984).

Was ist nun so brisant an dem Roman, dass der Apparat des kommunistischen Riesenlandes hyperaktiv wurde? Grossmans Werk ist ein Epos, fast alle Seiten des sowjetischen Lebens sind darin beschrieben. Die Handlung spielt in Moskau, in der Provinz, in den Hauptquartieren Stalins und Hitlers, an der Front - und in den Lagern auf beiden Seiten.

Dabei macht Grossman deutlich, dass zwischen den NS-Konzentrationslagern und den sowjetischen Arbeitslagern kein wesenhafter Unterschied bestand. Er schildert, wie eine Romanheldin in die Gaskammer eines KZs geschickt wird und wie man auf sowjetischer Seite einen Protagonisten in der Lubjanka mit unmenschlichen Foltermethoden verhörte.

Himmel aus Blei
Das alles vor Alexander Solschenizyn, mit dem dann eine ganz neue Zeitrechnung in der Vergangenheitsbewältigung des halben Jahrhunderts Sowjetherrschaft einsetzte Mit Recht kann man Grossmans Stalingrad-Roman als „Krieg und Frieden" des 20.Jahrhunderts bezeichnen. Allerdings: „Leben und Schicksal" misst sich an Tolstois Werk, aber mit ihm messen kann es sich nicht.

Der Geist ist ein ganz anderer. Eine fast paradox anmutende, lebensbejahende Heiterkeit liegt über „Krieg und Frieden". Bei Grossman ist der Himmel aus Blei. Seine Darstellung ist expressiv-düster und tragisch. Ihr fehlt der 50jährige Abstand zum Dargestellten, den Tolstoi nutzen konnte, um wirklich große Kunst daraus zu gestalten. Bei Grossman ist der Leser fast unmittelbar dabei. Und die Stalin-Zeit war unendlich hoffnungsloser und verzweifelter.
Trotzdem ist „Leben und Schicksal" eine unumgängliche Lektüre zur Entschlüsselung der Kriegsjahre, vor allem auf russischer Seite. Grossman fragt nach dem Humanum und das hat bleibende Aktualität.

Wassili Grossman: Leben und Schicksal. Roman. A.d.Russ. v. Madeleine von Ballestrem, Arkadi Dorfmann u.a. Mit je einem Nachwort von Wladimir Woinowitsch und Jochen Hellbeck. Claassen, Berlin. 1084 Seiten, 24,90 Euro

Bild:Deutsche Soldaten ziehen nach Ende der Kämpfe um Stalingrad am 31.Januar 1943 in eisiger Kälte durch die Ruinen der Stadt
« Letzte Änderung: Fr, 03. Oktober 2008, 22:18 von md11 »

 


SimplePortal 2.3.2 © 2008-2010, SimplePortal