Autor Thema: Bericht eines Radfahrers  (Gelesen 2529 mal)

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Bericht eines Radfahrers
« am: Sa, 18. Oktober 2008, 11:50 »
ZWEI   TAGE   BEI   UNSEREN   RADFAHRERKOMPAGNIEN

Als Lehrer einer Militär- Erziehungs- und Bildungsanstalt Wiens pflegte ich nach der Ausmusterung der Zöglinge meinen Urlaub zur Bereisung der verschiedenen Gebiete unserer weiten, schönen Monarchie zu verwenden. Bei meinen teils per Eisenbahn, hauptsächlich jedoch zu Rade, vollführten Streifzügen kam ich heuer nach dem Süden, wo ich Gelegenheit hatte, eine unserer erst kürzlich aufgestellten Radfahrerkompagnien kennen zu lernen. Selbst schon seit langen Jahren dem Radfahrsporte huldigend, erfasste mich das Verlangen, die Tätigkeit unserer Radfahrer-kompagnien einmal näher kennen zu lernen und bereitwilligst folgte ich daher der Einladung des Kompagniekommandanten,  einer zweitägigen Übung beizuwohnen.
Wir “radelten” um 5 Uhr früh an einem herrlichen Augusttage aus der Garnison weg. Zu zweien schlängelte sich die Radfahrerkompagnie,  über 100 Mann stark, durch die engen Gassen der kleinen Stadt, still und geräuschlos ging es durch die herrliche,  einem grossen Garten gleichende Ebene am Isonzo auf einer Chaussee, die sich von einer Rennbahn kaum unterscheidet, der interessanten Stadt Görz zu, die bald erreicht wurde und noch ihr Morgenschläfchen schlief.
Einige Obstwagen vom Lande, Fabriksarbeiter zu Rade und das fleissige Militär waren die einzigen, denen wir begegneten. Flott ging es dem Gebirge zu. Die Eisenbahnbrücke bei Salcano lassen wir links liegen und betreten das majestätisch melancholische Tal des grünen Isonzo. Ein angenehmer kühler Luftzug weht uns entgegen. Während der Fahrt wird fast nichts gesprochen. Durch einfache Zeichen mit Arm und Finger lenkt der Kompagniekommandant die lange Kolonne, die bald zu zweien, bald einzeln fährt, das Tempo verkürzt oder verstärkt, je nachdem dies die Beschaffenheit der Strassen gebietet.
Bergauf, bergab, an niedlichen Städtchen vorbei,  links begleitet von dem zwischen Felsen rauschenden Isonzo,  erreichen wir um 7 Uhr füh Canale. Ein schriller Pfiff der Signalpfeife, ein Geräusch,  als wenn viele Menschen von einer Mauer springen würden,  und als ich vom Rade absitzend mich umdrehe, steht die ganze Kompagnie in strammer Körperhaltung still. Auf weitere Kommandos werden je zwei Räder aneinendergelehnt, die Stutzen auf die Lenk-stangen gehängt und die Mannschaft darf die Einteilung verlassen. 35 Kilometer hatten wir in zwei Stunden zurückgelegt, und ich hoffte, das schön gelegene Städtchen Canale besichtigen zu können,  doch nach 15 Minuten Rast ging es weiter.  “Aufsitzen!  Marsch!” lautete das scharfe Kommando,  und wie ein Mann fuhr die ganze Kompagnie gleichzeitig an.
Nachdem wir bei Canale Ufer gewechselt hatten, ging es zuerst sanft, dann immer steiler bergan. Nach einundeinhalbstündiger anstrengender Fahrt war gegen 9 Uhr vormittags der Sattel nördlich St.Luzia erklommen. Ein enges, landschaftlich schönes, von eigenartig geformten hohen Bergen eingeschlossenes Talbecken eschloss sich unseren Blicken und in kurzer flotter Fahrt war die Eisenbahnstation St.Lucia-Tolmein erreicht,  wo wir eine halbe Stunde rasteten. Bei Besichtigung der aneinander gelehnten Räder fielen mir die zur Rast zusammengestellten Maschinengewehre auf. Auf mein Befragen,  wer die hergebnracht hat,  erhielt ich von zwei stämmigen, breitschultrigen Jägern die stolze Antwort:  “Die hab`n wir zwoa auf die Radln her´bracht!” Nachdem mir die Offiziere in der bereitwilligsten Weise die Befestigung der Maschinengewehre an den Fahrrädern erklärten,  konnte ich die selbstbewusste, stolze Antwort der beiden Jäger voll begreifen, denn es ist keine Kleinigkeit,  die Last auf einem Rade in flottem Tempo fortzubringen.
Doch unsere Rast sollte nicht lange dauern. Rasch sammelten sich die rastenden Jäger,  die Maschinengewehre wurden aufgepackt und im langsamen Tempo ging es, unter einem Eisenbahnviaduktr durch, auf schottriger, elender Strasse steil bergauf. Gerade im richtigen Augenblick ertönte das Kommando: “Absitzen!  Schieben!” Die Augustsonne stand schon hoch am Himmel und mächtig beschien sie die steile, nur von spärlichen Gebüschen bewachsene Berglehne. Über 300 Meter stiegen wir auf der neuen, kaum fertig gewordenen und frisch geschotterten Strasse zum `Cepovan-Tale hinan, die Räder schiebend. Immer tiefer floss die indigoblaue Idria, immer heisser brannte die südliche Sonne am blauen und wolkenlosen Himmel des Südens und dunkel färbten sich die Blusen am Rücken der Jäger vom Schweiss. Nach kurzen Ruhepausen von wenigen Minuten, im Stillen den Erbauer der Strasse verwünschend, erreichten wir nach anstrengendem Marsche den Sattel am Nordende des Cepovan-Hochtales. Eine halbe Stunde platt am Boden liegend wurde gerastet, um Herz und Lunge zu beruhigen. Mein Mund war trocken, die Zunge klebte am Gaumen, ein quälendes Durstgefühl stellte sich ein, doch angesichts der grauen Karstfelsen ringsumher schwand jede Hoffnung auf einen kühlen Trunk.
Die Jäger zogen ihre Feldflaschen aus dem Brotsacke und taten einen kräftigen Zug. Vielleicht las mir ein Jäger dies Verlangen an den Augen ab, denn stramm salutierend reichte er mir seine Feldflasche zu. Noch niemals im Leben schmeckte mir der lauwarme,  schwarze Kaffee so gut,  wie dort oben im `Cepovan-Tale.
Doch nicht lange durfte ich meinen Gedanklen nachhängen. “Zugskommandanten und Chargen zur Dispositionsausgabe!” lautete das Kommando des wortkargen Kompagniekommandanten. “Von Görz soll ein Gegner im `Cepovan-Tale gegen die südliche Flanke unserer eigenen, von Tolmein-Idria aufwärts marschierenden Brigade vorrücken.  Wir sollen bei derOrtschaft `Cepovan DI, den Gegner bis 2 Uhr nachmittags aufhalten.” Es war fast Mittag und wir hatten eine scharfe Leistung hinter uns, doch erst jetzt begann die eigentliche Gefechtstätigkeit. Patrouillen wurden gegen Görz und über Lokve gegen Ternova entsendet und die Kompgnie fuhr unter Vorsendung eines Zuges nach  Cepovan bis Drage. Hier wurden die Räder zusdammengeklappt, auf den Rücken genommen wie ein Rucksack, rechts und links stieg  je ein Zug auf die um ca. 200 m höher gelegenen Talbegleitungshöhen,  während die Maschinengewehre im Tale postiert wurden. Schon bisher hatte ich genug Gelegenheit, die Zähigkeit und Ausdauer unserer Radfahrer zu beobachten,  aber jetzt bewunderte ich sie. Mühsam erkletterten sie einzeln hintereinander die steilen Karsthöhen bei einer entsetzlichen Hitze ohne zu ermüden,  mit frohem Mut. Ich postierte mich mit dem Kompagniekommandanten auf dem Kirchturme von `Cepovan.
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:07 von Adjutant »
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Re: Bericht eines Radfahrers
« Antwort #1 am: Sa, 18. Oktober 2008, 11:51 »
Kaum waren die  Höhen erklommen,  als auch schon die erste Salve krachte,  talab weiter rollend und eine Schar Tauben von den Häusern der Ortschaft scheuchend. Alsbald sahen wir eine Infanteriekolonne sich der Ortschaft nähern und beiderseits der Strasse ausschwärmen. Der nach `Cepovan vorgeschobene Zug musste auf die kleine Kuppe zu den Maschinengewehren zurück,  wohin auch wir vom Kirchturm uns flüchteten, denn schon hatte der Gegner das Südende der Ortschaft erreicht. Auf einmal krachte es von beiden Höhen rechts und links; unsere dorthin entsendeten Züge hatten den Gegner von der Flanke angeschossen. Wir sahen, wie die feindlichen Abteilungen sich gegen diese, hoch oben in den Steinen eingenisteten Radfahrer wandten und die Vorrückung auf diesen Höhen vornahmen, ein willkommenes Ziel für unsere zentral postierten Maschinengewehre. Neue feindliche Reserven tauchten auf, die sich immer näher und näher an unsere Schwarmlinien auf den Höhen heranarbeiteten, als auf ein Hornsignal die Übung eingestellt wurde.
Es war 2 Uhr nachmittags. Freund und Feind sammelte sich in der Ortschaft `Cepovan, wo der gestrenge, aber fürsorgliche Battaillonskommandant das Mittagessen vorbereiten liess. Die Stille aus den Reihen war gewichen, fröhliches Lachen,  deutsche und ungarische Weisen erfüllten das sonst so stille, entlegene Tal. In malerischen Gruppen rastete das ganze Bataillon und einen unvergesslichen Anblick boten mir die in eine Reihe hintereinander gelegten grauen Räder der Radfahrerkompagnie. Wohl habe ich noch nie so viel Fahrräder in einem engen Raum auf einmal gesehen, doch die scharf ausgerichteten Räderreihen und die tadellose Ordnung bei Gruppierung des ganzen Rädermaterials hätte jeder Fahrradniederlage als Muster dienen können. In der improvisierten Offiziersmesse, der ich beigezogen wurde, erfuhr ich, dass abends noch eine Nachtübung sei und die Radfahrerkompagnie um 7 Uhr abends aufbrechen werde, wohin ? war vorerst  geheimzuhalten. Die Nachtruhe,  auf die ich mich schon aufrichtig freute,  war zunächst illusorisch geworden.
Um 7 Uhr abends fuhren wir von `Cepovan, begleitet von den besten Wünschen des ganzen Bataillons, gegen Görz ab. Wir folgten, der minder guten Strasse, einzeln abgefallen in flottem Tempo bergab und ohne Anstrengung hatten wir um 7 Uhr 40 Minuten abends Britof erreicht. 11 Kilometer hatten wir, wie die Jäger sagten “ohne Fahrlkarte” zurückgelegt, das heisst ohne “Anstrengung”, indem auf 11 Kilometer 300 Meter Gefälle war. Aber sehr bald mussten wir sehr teure Fahrkarten lösen, denn von Britof stieg die Strasse ziemlich steil zum Sattel von Salcano hinan,  um jenseits noch steiler auf eine kurze Strecke von kaum 3 Kilometer zu fallen. Es dämmerte schon stark, vom Fahren war keine Rede, da sich bei den Serpentinen leicht Unglücksfälle ereignet hätten. Wir schoben daher unsere Räder und erst nach 8 Uhr ward Salcano mit müden rechten Armen erreicht, da das Schieben bergab, besser gesagt das Aufhalten des bergab rollenden Rades nicht nur die Füsse  sondern  noch mehr die Arme angreift. Nach einer halbstündigen Rast in Salcano ging es in langsamem Tempo durch das hell bleuchtete Görz, zwischen Autos, Tramways und Wagen der uns schon bekannten Ebene zu und um 10 Uhr nachts war Mainizza erreicht. Wir fuhren ohne Lichter,  eng aufge-schlossen,  ohne dass auch nur ein Radfahrer gestürzt wäre!
Bei Mainizza wurde ein Hauptposten bezogen und abermals musste ich, die Findigkeit und Geschicklichkeit unserer Radfahrer bewundern, die nicht nur auf Strassen, Wegen und Feldrainen, sondern auch im Terrain auf Wiesen und Stoppelfeldern zu Rade vorwärts kommen. Schon beim Rückmarsche  aus `Cepovan wurde angenommen, dass eigene Kräfte aus Görz westlich des Isonzo im Rückmarsche  nach Süden begriffen seien und wir mit der Radfahrer-kompagnie  den nachdrängenden Gegner aufzuhalten und dessen Vormarsch zu verzögern hätten. Sternenhell und herrlich schön war die Nacht und wäre der Mond am Himmel gewesen, so hätten wir leichteren Dienst gehabt. Doch man sah kaum auf 20 Schritte, wir mussten unsere Aufmerksamkeit verdoppeln, auf jedes Geräusch achten, um den Anmarsch des Gegners  zeitgerecht zu entdecken. Die einzelnen vorgeschobenen Posten gaben mit kleinen Laternen untereinander und zurück zum Hauptposten Morsezeichen ab und bis gegen 12 Uhr nachts war alles in fieberhafter Tätigkeit.
War es die Müdigkeit nach den körperlichen Leistungen des Tages oder war es eine Finte nur zur Täuschung des Gegners, als nach Mitternacht die Signallichter erloschen und auf der ganzen Linie Mäuschenstille herrschte ich weiss es nicht denn ich schlief ein und träumte von Wien mit all seinen Herrlichkeiten von Theater und Konzert,  Parkett und belebten Gassen, von Wohlleben und Bequemlichkeit, von meinem Stammtische im Ringcafe als ein hundertstimmiges Hurra mich jählings weckte und geisterhaft erscheinende Gestalten gegen mich stürzten. Es war 3 Uhr morgens, ober dem Ternovaner Wald lichtete sich schon der Himmel, eine nasse Kälte lag in meinen Gliedern und als ich all diese abgespannten und dennoch energischen Gesichter unserer braven Soldaten um mich herum sah, wusste ich,  dass nur bei ihnen Selbstverleugnung,  Mannesmut und uneigennütziger Idealismus, gepaart mit Energie zu suchen ist und dass man sie nicht im gewöhnlichen Leben, sondern in Gottes freier Natur, im Felde, erst richtig kennenlernt. Um 11 Uhr vormittags rückten wir in die Garnison ein. Seit jener Zeit denke ich oft an unsere Militärradfahrer zurück, denen ich wünsche, dass sie sich weiter entwickeln und ausgestalten mögen, damit auch wir in Österreich-Ungarn auch in dieser Beziehung anderen Staaten nicht nachstehen, sondern vorangehen.

Auszug aus dem Buch " Die Wehrmacht der Monarchie "
" Tradition ist die Flamme hüten und nicht die Asche bewahren "
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Re: Bericht eines Radfahrers
« Antwort #2 am: Di, 21. Oktober 2008, 07:46 »
Bilder:

Bild 1  " Ein mühsamer Aufstieg "

Bild 2  " Dispositionsausgabe "

Bild 3  " Die Radfahrkompagnie während der Fahrt "
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:09 von Adjutant »
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