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Gedenktafeln/-stätten, Soldatenfriedhöfe, Museen, Beratungsstellen, Personensuche => Gedenkstätten und Museen => Tschechien> => Thema gestartet von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 18:10

Titel: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 18:10
Hier mal die Seite über die Gedenkstätte in Lidice.

In der Nacht vom 9.auf den 10.Juni 1942 machen sich die Nazis auf,einen Namen für immer von der Landkarte zu löschen:das Dorf Lidice in Böhmen wird dem Erdboden gleichgemacht.Die Männer von Lidice sterben in dieser Nacht,die Frauen kommen in ein KZ,die Kinder werden verschleppt und die meisten von ihnen später vergast.

Nach dem Krieg wurde Lidice 300 m vom alten Ort entfernt neu aufgebaut. An der Stelle des früheren Lidice befindet sich heute ein Denkmal und Museum.

http://www.lidice-memorial.cz/default_de.aspx (http://www.lidice-memorial.cz/default_de.aspx)


Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: six.darkness am Sa, 30. Juni 2007, 18:15
hallo Josef,

hat es nach dem Krieg einen Prozess gegen die Verantwortlichen gegeben?
Ich habe gerade mich mit der Geschichte von Ouradur und Tule vertraut gemacht und da war einiges zu Tage gekommen was in den öffentlichen Puplikationen nicht vorkommt.

Roman
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 18:22
Hallo Roman,
ja es gab ein Prozess.Hab dazu Material auch und werde bischen die Geschichte,Augenzeugenberichte und den Prozess hier noch reinschreiben.
Danke für Dein Interesse für dieses Thema.

Grüße
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: six.darkness am Sa, 30. Juni 2007, 18:38
nichts zu danken,

ich bin stutzig geworden nachdem ich die publikationen über Ouradur gelesen habe. Franzosen haben noch in den 60 jahren gegen über ehemaligen deutschen soldaten erzählt wie es wirklich war.
leider hat die britische und französische presse nach dem krieg ein schauermärchen erfunden welches bis heute nicht wirklich aufgeklärt wurde.

über Lidice habe ich nichts gefunden und ich denke eine meinung darf man sich nur bilden nachdem alle seiten gehört worden sind. gibt es stellungsnahmen von deutscher seite? oder augenzeugen?

danke für deine suche

Roman
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 20:36
Ich fang mal an mit der Geschichte hier zum Thema!

Am 27. Mai 1942 wurde SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts und stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, auf dem Weg zu seinem Dienstsitz auf dem Hradschin in Prag durch ein Attentat tschechischer Widerstandskämpfer schwer verletzt. Acht Tage später, am 4. Juni 1942 erlag Heydrich seinen Verletzungen. Daraufhin leiteten die Nationalsozialisten massive Vergeltungsmaßnahmen gegen die tschechische Zivilbevölkerung ein. Die Behauptung, die Dorfbewohner hätten die Attentäter beherbergt, stellte sich später als falsch heraus.

Am 9. Juni 1942 zählte das Dorf Lidice 102 Häuser mit 503 Einwohnern. Das Leben und auch die Struktur der Gemeinde war der anderer tschechischer Dörfer ähnlich. Die Männer arbeiteten meist in den Stahlwerken und Kohlebergwerken im 7 km entfernten Kladno, die Frauen sorgten für den Haushalt und halfen bei Feldarbeiten aus. Es gab 14 Höfe, eine Mühle, drei Lebensmittelläden, drei Wirtshäuser, zwei Metzgereien und die Dorfkirche.

Am Abend dieses 9. Juni umstellten deutsche Polizeikräfte (Angehörige der Gestapo, des SD und der Schutzpolizei unter dem Kommando von SS-Offizieren einer Sonderkommission und des Befehlshabers der Sipo in Prag) mit Unterstützung der tschechischen Gendarmerie Lidice und blockierten alle Zufahrtswege, da dort Beteiligte bei dem Attentat vermutet wurden. In der folgenden Nacht wurden die Dorfbewohner zusammengetrieben. Alle 172 Männer älter als 15 Jahre wurden in den Hof der Familie Horák gebracht, wo sie tags darauf erschossen wurden. Weitere neun Männer, die zur Nachtschicht in einem Kohlebergwerk arbeiteten, und sieben schwangere Frauen wurden nach Prag gebracht. Die Männer wurden dort erschossen, während die Frauen ihre Kinder gebären konnten. Die verbleibenden 195 Frauen wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo 52 von ihnen ermordet wurden. Nachdem die sieben schwangeren Frauen ihre Kinder geboren hatten, wurden diese von ihren Müttern getrennt, während die Mütter ebenfalls nach Ravensbrück deportiert wurden.

Die 98 Kinder des Dorfes wurden in das Jugendkonzentrationslager in der Gneisenaustraße in Lodz (damals „Litzmannstadt“) deportiert und nach rassischen Kriterien ausgesondert. 12 Kinder aus Lidice, die zur Germanisierung vorgesehen waren, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern wieder aufgefunden, ebenso 6 von den 7, die nach dem 10. Juni 1942 geboren wurden; das siebte war verstorben. Ein Kind aus Lidice, Marta Hronikova, ist Anfang der fünfziger Jahre unter ungeklärten Umständen in einem Flüchtlingslager aufgefunden worden. Nach jahrzehntelanger Odyssee durch psychiatrische Anstalten der kommunistischen Tschechoslowakei wurde sie nach der Wende als verschollenes Kind aus Lidice anerkannt und erhielt eine Entschädigung. Diejenigen 82 Kinder, die nicht zur Germanisierung vorgesehen waren, wurden zusammen mit 11 Kindern aus Lezaky ins Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort vergast.

Der Ort Lidice wurde in Brand gesteckt, gesprengt und schließlich durch Züge des Reichsarbeitsdienstes eingeebnet, um die Gemeinde vollständig von der Landkarte zu tilgen.

Die Anordnung zur Räumung des Dorfes erfolgte durch den SS-und Polizeiführer Karl Hermann Frank. Das gleiche Schicksal musste auch der Ort Lezaky erdulden.

Titel: Re: Frauen aus Lidice erinnern sich
Beitrag von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 21:12
Emilie Chvalova, geb. Frejova:

Ich war achteinhalb Jahre alt, als das alles geschah. Zu uns kam die Gestapo mit einem Zivilisten. Man hat uns gesagt, daß wir uns warm anziehen sollen, besonders die Kinder, und zur Schule begeben sollen. Als wir dort hin kamen, konnte man schon Kinder und Mütter weinen hören.

Am nächsten Morgen wurden wir in Lastwagen geladen und nach Kladno gebracht. In der Stadt haben wir in der Turnhalle auf Stroh geschlafen. Am dritten Tag kam die Gestapo und sagte, daß die Kinder von den Müttern getrennt werden. Es wurde geschrien, die Kinder haben geweint, die Mütter haben geweint. Die Gestapo hat geschossen.

Wir wurden von den Müttern weggeschleppt in den 1. Stock des Gebäudes, und da war die Gestapo und fing an, unsere Köpfe zu messen. Sie haben uns dann Zettel um den Hals gehängt mit Namen und unseren Daten. An dem Tag abends wurden wir dann nach Lodz gebracht. Damals hieß es Litzmannstadt.

Wir kamen in eine große Fabrik, da waren Männer, Frauen, Kinder zusammen. Wie ich später erfahren habe, handelte es sich um ein Sammellager. Dort kamen wir Kinder aus Lidice alle zusammen in den 1. Stock, wo wir für uns waren. Wir haben auf dem Fußboden geschlafen, Kinder im Alter von einem Jahr bis fünfzehn. Das Schlimmste war, daß die kleinsten Kinder weinten, die waren hungrig, und man konnte sie nicht sauberhalten. Wir größeren Kinder haben Kleidungsstücke ausgezogen und den Kleinen als Windeln gegeben. Aber später hatten wir selbst nichts mehr.

Morgens kriegten wir schwarzen Kaffee und ein Stück Brot. Zum Mittagessen bekamen wir nur Wassersuppe, in der Ungeziefer und solche Sachen drin schwammen. Zum Abendessen wieder schwarzen Kaffee mit einem Stück Brot und entweder Margarine oder Marmelade. Wir waren in einem schlechten Zustand. Hatten Läuse und Hunger und waren schmutzig. Ein Mädchen von uns wurde krank und wollte aus dem Fenster springen. In der Mittagspause wurden wir auf den Hof gebracht zu einem kurzen Spaziergang, und wir haben da schlimme Sachen gesehen: wie Leute erschossen wurden.

Später kamen Leute-man hat uns gesagt, daß es Ärzte waren-, die haben einige Kinder ausgesucht. Angeblich nach dem Typ - wer blond war und blaue Augen hatte usw. Sie haben zuerst sieben Kinder ausgesucht; darunter war auch ich. Dann kam später noch , Junge dazu, denn er hatte zwei Schwestern mit, und die Mädchen haben geweint, daß sie den Bruder mithaben wollen. Er kam a erst später zu uns dazu. Wir acht wurden in eine andere Fabrik  bracht, und da hat man sich um uns schon besser gekümmert.Wir bekamen eine polnische Erzieherin, sie hat uns gewaschen und kämmt, und wir haben Essen gekriegt.

Von dort kamen wir in ein Kinderheim nach Puschkau. Das war auch noch in Polen. Wir gingen zusammen mit deutschen Kindern : Schule - wir mußten anfangen mit Deutschunterricht. Wir hat auch gelernt zu nähen und zu sticken. Nach einem Jahr haben festgestellt, daß wir schon Deutsch konnten, und wir wurden in Familien aufgeteilt. Eine von uns, Maruska Hanfova, ist für 50 Mark verkauft worden.

Ich kam in eine SS-Familie, der Mann hieß Otto Kuckuck. Das war Saßnitz auf Rügen. In der Familie ging es mir ganz gut. Sie hat selbst keine Kinder. Ich bin dort weiter zur Schule gegangen. Ich war auch in der Hitler-Jugend. Ich muß sagen, ich hatte alles da in der Familie, was Essen angeht, Spielzeug. Sogar mein eigenes Boot das Meer. Man nannte mich Mirchen Kuckuck. Der Mann war ein großer Gestapo-Mann, der heute immer noch gesucht wird als Kriegsverbrecher.

Vielleicht hört sich das seltsam an. Aber ich war ein Kind damals,, zu jung, und war in der Hitler-Jugend mit dabei. Ich habe das and empfunden als die Frauen von Lidice - für mich war das alles e natürlich. Ich merkte wohl, daß ich von woanders komme, aber habe keinen Haß empfunden. Ich habe das damals einfach nicht verstanden.
Nur die Frau des Mannes-sie hieß Frieda-fing an, mit mir zu sprechen und wollte, daß ich Mutti zu ihr sage. Das wollte ich nicht haben. Aber ich habe sie durchaus gemocht. Auch den Mann. Sie waren beide nett zu mir, er sogar noch netter als sie. Er wußte wohl, daß ich Tschechin bin. Ihr wurde angeblich gesagt, daß ich ein deutsches Waisenkind sei.

Im Lager in Polen war ich geschlagen worden. Ich war hungrig und alles. Nun war ich dankbar, als ich auf einmal Essen kriegte und sich jemand um mich gekümmert hat. Ich kam normal zur Schule. Die anderen Kinder wußten nicht, daß ich keine Deutsche bin. Zu Hause was war das damals für mich? Ich habe mich an das Leben auf Rügen gewöhnt, es ging mir dort gut. Schon als ich von Lidice kam, war ich ein Waisenkind, ich war von meinem Onkel und meiner Tante erzogen worden. Schon als kleines Kind kam ich von einer Familie zur anderen, von einem Platz zum anderen. Und nun auf einmal habe ich ein Zuhause gehabt.

Ich blieb dort bis April 1946. Nach Saßnitz kam die sowjetische Armee, und der Mann, Otto Kuckuck, mußte fliehen. Er kam nach Hannover. Ich bin mit der Frau erst mal allein zurückgeblieben. Der Mann hat dann gefragt, ob wir ihm nachkommen können. Es war schon alles klar, aber mittlerweile kamen tschechische Soldaten an aus Decin. Die kamen damit, daß ich eines der Kinder von L idice bin. Sie haben mir ein Foto von Lidice gezeigt, ein Schulfoto, und ich habe natürlich alle Schüler und Lehrer erkannt. Auf diese Art haben sie festgestellt, daß ich eines der Kinder bin. Daß sie darauf kamen, hat sich so ergeben: ein anderes Mädchen, das mit mir ursprünglich zusammen war, ist bei Frau Strauß in Puschkau geblieben. Das war die Erzieherin von dem Heim. Wir haben uns geschrieben bis 1944. Das andere Mädchen ist allein nach Hause geschickt worden. Ihre Familie hat sie in den Zug gesetzt. Sie hatte meinen Brief dabei, mit der Adresse. Den hat sie dann abgegeben.

Ich habe auch selbst gewußt, daß ich aus Lidice komme. Aber weil sie in Uniform waren, wollte ich nicht mitgehen. Ich habe Angst vor der Uniform gehabt. Aber schließlich habe ich mich doch von Frieda verabschiedet. Ich hatte sie später doch Mutter genannt, und wir hatten uns aneinander gewöhnt. Sie hat natürlich geweint und wollte mich nicht weg lassen. Ich bin auch zur Schule gegangen, um mich zu verabschieden von den Schülern und der Lehrerin. Die hieß Else Schinkel und hat auch geweint, sie hat mich sehr gern gemocht. Ich hatte auch keine große Lust wegzugehen.

In dem Jahr 1946 kam ich zurück nach Kladno, wo meine Tante wohnte. Bei der bin ich dann geblieben. Damals wußte ich noch nicht, was mit den anderen Kindern aus dem Dorf geschehen ist. Das habe ich erst später hier erfahren.

Als ich in das Dorf hierher kam, war es ein schreckliches Gefühl - als ich gesehen habe, daß überhaupt nichts stehengeblieben ist, und als ich erfahren habe, was alles passiert ist. Das kann man schwer erzählen, was man da empfunden hat.

Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: six.darkness am Sa, 30. Juni 2007, 22:37
ich meine mich zu erinnern das die beiden attentäter gefasst worden sind und vom englischen geheimdienst ausgebildet worden sind. es gibt in prag ein museum in dem der waagen von Heydrich ausgestellt ist mit den spuren des attentats.angeblich echt,leider erwiesenermasen eine lüge.
ich frage mich warum die tchechen heute damit geld verdienen.....

R.
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 30. Juni 2007, 22:51
ich hab dazu auch einen Bericht über die beiden Attentäter,muß mal schauen wo ich den überhaupt habe!
Bin mit dem Thema hier noch nicht fertig die fortsetzung folgt noch auch über den Prozess.

Gruß
Josef
Titel: Re: Frauen aus Lidice erinnern sich
Beitrag von: md11 am Mo, 02. Juli 2007, 21:08
Marie Schupickova, geb. Dolezalova:

Damals waren wir Kinder aus Lidice in dem Lager in Lodz versammelt. Ich weiß noch, daß die Gestapo kam, wir mußten uns alle in einem Raum auf den Fußboden setzen, und sie sind zwischen uns hindurch gegangen, haben auf einzelne von uns gezeigt. Warum sie gerade uns ausgesucht haben, wußten wir nicht. Wir kamen dann von diesem Sammellager in der Gneisenaustraße in ein anderes, das auch in Lodz war. Das war ein ehemaliges Kloster. Da waren vor allem erwachsene Leute, die meisten Polen. Wir waren dort ungefähr einen Monat. Da wurden wir fotografiert, ständig wurde etwas unternommen, jemand hat etwas aufgeschrieben usw. Ungefähr nach einem Monat wurden wir in ein Heim gebracht in der Nähe von Poznan. Da haben wir erst erfahren, warum wir ausgesucht wurden. Als wir in Lodz weggebracht worden waren damals, haben wir natürlich gefragt, warum und wohin wir gehen. Es wurde uns gesagt, wir fahren zu den Eltern. Wir haben uns sehr gefreut, haben das geglaubt. Natürlich waren die Tatsachen ganz anders. Das war damals sehr rührend, als die anderen Kinder sich versammelt haben, die nicht ausgesucht wurden, und haben uns gewinkt und gesagt, wir sollen Grüße bestellen und daß sie uns bald wiedersehen.

Das war eigentlich das letzte Mal, daß wir unsere Mitschüler und Freunde gesehen haben. Was mit ihnen passiert ist, haben wir dann erst viel später erfahren, als wir nach Hause zurückgekehrt sind. Als erstes hat man uns verboten, in dem Kinderheim untereinander Tschechisch zu sprechen. Wir wurden bestraft, wenn wir erwischt wurden, wie wir Tschechisch sprachen. Vorher kannte ich nur ein paar Worte Deutsch; das war damals schon Pflicht bei uns in der Schule gewesen. Wir mußten also Deutsch lernen, und langsam kamen einzelne deutsche Familien in das Lager, dadurch haben wir mitbekommen, daß wir wahrscheinlich für etwas anderes bestimmt waren. Was sie sich vorgenommen haben, ging langsam in Erfüllung: wir haben tatsächlich unsere eigene Sprache vergessen. Wir haben nur noch Deutsch gesprochen, gingen auch in eine deutsche Schule, und wir hatten keine tschechischen Bücher. Ich war damals zehn Jahre alt; der jüngste von uns, Vaclav Hanf, war nicht einmal acht, die älteste war zwölf.

Ich war bis 1943 in dem Heim, bis Juni vielleicht. Dann kam ich in eine Familie Alfred Schiller in Poznan. Als Ausrüstung bekam ich zwei Kleider, eine Schürze und ein paar Schuhe. Ich habe meinen Namen verloren und bekam einen neuen: ich hieß dann Ingeborg Schiller.

Die Schillers waren mehrmals in dem Heim gewesen vorher. Die Direktorin hat mich einmal in das Büro gerufen; die Familie war da. Sie haben mit mir kurz gesprochen, und ich mußte vor ihnen ein paar Schritte Iaufen.Vielleicht habe ich ihnen gefallen. Mehrmals sind sie dann noch gekommen, und ich durfte immer mit ihnen spazieren gehen. Dann haben sie alles mit der Direktorin abgesprochen, und ich kam zu ihnen schließlich.

Ich glaube, sie waren keine Faschisten. Sie war in irgendeinem Bund der deutschen Frauen. Er hatte irgendein kleines Abzeichen, ein rundes, schwarzes Zeichen. Aber er gehörte nicht zur NSDAP oder SS. Erwar schon ziemlich alt damals, um die 60. Sie hatten ursprünglich drei Kinder, und alle drei sind gestorben. Sie wollten wahrscheinlich nicht alleine bleiben und haben darum ein Kind aufgenommen. Ich weiß nicht, ob sie wußten, woher ich eigentlich kam. Es hieß immer, daß wir Waisenkinder aus dem Sudetenland seien. Wenn es Kleiderkarten gab, hat man da hingeschrieben: den Namen, Geburtstag, aber nie den Ort, woher man stammt - da stand bei mir nur immer: unbekannt. Das Wort Lidice durfte man nicht erwähnen.

Vielleicht habe ich nachts im Schlaf Tschechisch gesprochen. Die Frau Schiller - sie war ursprünglich Polin, wurde dann Volksdeutsche - hat manchmal gesagt, daß sie mich nicht verstehen konnte, daß ich sehr schnell gesprochen habe. Ich muß sagen, daß sie mich gut behandelt haben. Wir haben vorher so schlimme Sachen erlebt in dem Kinderheim, obwohl wir da zu Essen bekamen und Betten hatten - aber sehr fein behandelt wurden wir da auch nicht. Wir wurden manchmal geschlagen, ohne zu wissen warum. Als wir in die Familien kamen, waren wir schon mal dankbar, daß uns keiner geschlagen hat.

Aber nicht alle Kinder, die in deutsche Familien kamen, hatten es so gut. Einer der Jungs hat es abgelehnt, Deutsch zu lernen, und dem ist es nicht so gut ergangen. Der war zuletzt in verschiedenen Lagern und endete in einem Lager in Ungarn. Ein anderes Mädchen war in drei Familien nacheinander.

Ich muß noch etwas erzählen: als wir Lidice verließen, haben die Nazis Gold und allen Schmuck gesammelt. Meine Mutter hat meine Ohrringe versteckt und sie in die Realschule von Kladno mitgebracht. Die habe ich dann immer mitgehabt, bis in die Familie Schiller. Die Frau - sie hieß Ilse, ich habe sie aber Mutter genannt - hat mir die Ohrringe abgenommen und mir andere gegeben. Erst als ich nach dem Krieg nach Hause kam, hat sie mir die einfachen Korallen wieder abgenommen und mir meine eigenen Ohrringe zurückgegeben. Sie sagte: dann wird Dich Deine eigene Mutter erkennen. Mit den Ohrringen kam ich dann nach Hause zurück später.

Im Januar 1945 war ich mit der Familie Schiller evakuiert worden nach Mecklenburg, in eine kleine Stadt, die hieß Boizenburg und lag an der Elbe. Meine eigene Mutter war im Lager in Ravensbrück. Sie ist dann nach Neubrandenburg gekommen; das war eigentlich nicht weit von dort, wo ich wohnte. Aber wir haben natürlich nichts voneinander gewußt damals...

Dann kam es zu der Suche nach den Kindern von Lidice. Einige waren schon gefunden; sie haben ausgesagt, wo die anderen Kinder vielleicht sein könnten. Die Direktorin des Kinderheims war auch festgehalten worden. Bei ihr waren mehrere Dokumente gefunden worden. Eine große Suchaktion begann. Plakate sind erschienen mit den Namen der Kindervon Lidice und dem Bild einer Mutter, fragend: wo sind unsere Kinder?

Eines Tages hat auch Alfred Schiller ein Plakat gelesen, auf dem stand, daß die Familie Schiller zuletzt in Poznan gewohnt hat und daß man nicht weiß, wo sie sich befindet. Da stand auch, daß jeder, der damals ein Kind adoptiert hat, es im eigenen Interesse melden soll. Die Schillers haben mich genommen und nach Berlin gebracht. Dort war ein Büro für die Opfer des Faschismus, wo deutsche Antifaschisten tätig waren. Meist Leute, die aus den Lagern zurückgekommen waren. Da mußte ich aussagen, und es wurde alles aufgeschrieben. Da habe ich zum ersten Mal erfahren, was mit Lidice passiert ist: daß die Männer erschossen wurden, die Frauen in ein Li kamen. Sie haben mir ein Buch gezeigt, das über Lidice erschienen ist; darin war ein Schulfoto, und ich habe mich darauf erkannt.

Dann ging es sehr schnell. Ich sehe das wie heute: eine Tür ist gemacht worden, und in einer Woche war ich zu Hause!

Ich mußte zuerst einen Ausweis bekommen in Berlin. Die Schi sind noch einmal nach Boizenburg gefahren und kamen nach B mit meinen persönlichen Sachen, den Kleidern. Wir haben damals in einer Villa gewohnt, da war auch ein spanisches Kind, das  Hause geschickt werden sollte. Die Familie Schiller durfte mich dann nicht mehr treffen; ihr wurde gesagt, ich hätte alles, was ich bräuchte. Das hat mir später der Mann erzählt, der uns betreute selben Tag, als mich die Schillers in dem Büro angemeldet haben, hat übrigens eine andere Familie ein Kind angemeldet: Maruska Stulikova, die war aus dem Dorf Lezaky, das auch von den f ausgebrannt worden war. Wir kamen an demselben Tag zurück in die Heimat. Das war am 7. August 1946.

!n Berlin hatte ich auch schon erfahren, daß meine eigene Mutter  zurückgekommen ist, daß sie aber sehr krank ist. Und daß sie hofft, daß ich zurückkomme. Ich ging gleich zu ihr ins Krankenhaus in Prag hatte Tuberkulose. Das war das Schlimmste: wir haben uns erkannt,aber wir konnten nicht mehr zusammen sprechen. Denn sie sprach nur Tschechisch, ich sprach nur Deutsch. Es war sehr schmerzhaft, aber trotzdem schön.

Ich wollte als erstes wissen, was mit meinem Bruder geschehen ist. Ich hatte einen Bruder, der fünf Jahre älter war als ich. Mein Bruder war zusammen mit uns in der Realschule von Kladno. Und als der Transport der Kinder zusammengestellt wurde, hat man festgestellt, daß er zwei Monate älter ist als 15 Jahre, und die Kinder über 15 wurden schon als Männer betrachtet. Er fuhr nicht mit uns nach Polen. Erst nach dem Krieg haben wir Dokumente gefunden, daß er zusammen mit der Familie Horak in Prag hingerichtet wurde 1942.

Meine Mutter ist dann vier Monate nach meiner Rückkehr gestorben. Im Krankenhaus in Prag. Sie hat gar nicht gesehen, wie Lidice dann ausgesehen hat. Sie wußte aber, was passiert ist, und hat Bilder gesehen. Im Oktober 1947 war ich als Zeugin beim Nürnberger Gericht. Noch mit einem anderen Mädchen aus Lidice, Marie Hanfova. Es wurde gefragt, wo ich war, in welchem Kinderheim, wie viele Kinder da waren, was für Kinder. Die Schillers habe ich nie wiedergesehen.Heute leben sie auch wahrscheinlich nicht mehr. 1964 oder 65 war hier einmal eine Familie aus Schwerin, die Frau hat selbst im Krieg in Boizenburg gewohnt und kannte die Frau Schulze, bei der ich mit den Schillers in der Bahnhofstraße zur Untermiete gewohnt hatte. Ich erinnerte mich dann, daß die Frau Schulze eine Tochter namens Inge hatte, die einen kleinen weißen Hund hatte. Diese Frau hat gesagt: jaja, das stimmt alles. Später schrieb sie eine Karte aus Boizenburg, sie hatte die Frau Schulze besucht, die Frau hatte sich auch erinnert. Aber die Schillers seien weg - man wußte nicht, wo sie jetzt wohnten.

Titel: Re: Frauen aus Lidice erinnern sich
Beitrag von: md11 am Mo, 02. Juli 2007, 21:26
1972 haben wir eine organisierte Reise nach Polen gemacht. Wir  waren in Lodz, in Chelmno, in Puschkau -alle Plätze, wo wir damals waren, haben wir besucht. Wir haben das alles wiedererkannt; haben sogar eine Polin gefunden und besucht, die damals in der    Küche gearbeitet hat. Und wir waren in Poznan. Ich habe das Haus gefunden, wo ich mit der Familie Schiller gewohnt habe. Ich saß in dem gleichen Raum, wo ich damals wohnte mit den Schillers; jetzt war da eine polnische Familie. Die polnische Frau hat gesagt, daß sie damals wußte, daß die Familie Schiller dort wohnte und daß die ein   Kind adoptiert hatten, aber daß sie dachte, das wäre vielleicht ein polnisches oder deutsches Kind. Angeblich sollten die Schillers in Hamburg wohnen zu dem Zeitpunkt.   

Andere Kinder haben ihre Adoptiveltern aus Deutschland wiedergesehen. Eine Frau kam hierher und wollte „ihr" Kind sogar am liebsten wieder mitnehmen. Ich kenne die Geschichte nur vom Erzählen. Es war Vaclav Zelenka. Die Adoptivmutter, Frau Wagner, hat ihn hier besucht, vor vielleicht 10, 11 Jahren. Sie hat bei ihm gewohnt. Und hat ihn immer noch mit dem deutschen Namen genannt: Rolf Wagner. Sie konnte nicht verstehen, daß er jetzt ein erwachsener Mensch ist, daß er selbst Kinder hat. Und sie hat immer noch so getan, als ob sie irgendwelche Rechte auf ihn hat. Naja, sie haben sich dann später gegenseitig geschrieben.

Als ich 1946 zurückkam, wohnte ich zuerst woanders. 1949 kam ich nach Ostrau in Mähren. Im Jahre 1955 bekam ich einen Brief vom Nationalausschuß von Lidice, daß mir hier ein Haus zugewiesen würde und daß ich, wenn ich möchte, hier einziehen kann. Anfang Juni kam ich dann hierher. Die ersten waren schon 1949 hier in das neue Dorf eingezogen, das ging stufenweise. 1958 war der Aufbau; was die Wohnhäuser angeht, abgeschlossen.

Für jede Frau, die zurückkam, und jedes Kind, das wiederkam, wurde im neuen Dorf Lidice ein Haus gebaut. Das Dorf wurde auf einen neuen Platz gebaut, wo früher nur Felder waren. Es gibt hier vier Typen von Häusern. Weiter darf nicht gebaut werden; auch kann man die Häuser nicht einfach höher ausbauen. Wir sind unter einer architektonischen Aufsicht. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir den Architekten konsultieren. Der Charakter des Dorfes soll erhalten bleiben. Das Museum und das Gelände, wo das alte Dorf stand, sind Mahnmal, und das neue Dorf ist zwar kein Museum, aber es steht unter Denkmalsschutz. Und das ist richtig so.

Manchmal gab das schon kleine Probleme. Man wollte Garagen bauen. Nachträglich, denn nach dem Krieg gab es kaum Autos zunächst, da brauchte man keine Garagen! Der Architekt mußte also etwas entwerfen und doch den Charakter des Dorfes bewahren...

Heute leben hier 507 Menschen im neuen Lidice. Der jüngste ist jetzt einen Monat alt. Die älteste Frau ist 89 Jahre. Ich weiß das so genau, weil ich Sekretärin bin im Nationalrat von Lidice. Bis 1959 habe ich nicht gearbeitet, sondern war zu Hause mit meiner Tochter Ivanka. Danach arbeitete ich im Verlag des Verbandes der Antifaschistischen Kämpfer, bis 1967. Seit dem 1. Januar 1968 bin ich hier im Nationalkomitee. Und in zwei Jahren gehe ich in Pension.

Die Menschen aus Lidice arbeiten heute hauptsächlich in Kladno, in den Poldi-Hütten; einige auch im Bergwerk. Manche arbeiten auch in Prag oder am Flugplatz, der ist in der Nähe. Es wohnen inzwischen nicht nur Leute hier, die von der Tragödie betroffen waren, sondern auch Bewohner, die sich die Häuser gekauft oder gemietet haben. Die Häuser wurden ja Eigentum der Überlebenden, und die können sie weiterverkaufen oder vermieten. Nur muß der neue Inhaber die Prinzipien des Dorfes einhalten, das gehört zum Vertrag.

Ich selbst würde nie von Lidice wegziehen. Ich habe hier meine ersten zehn Lebensjahre gelebt, und ich bin mit Freude zurückgekommen. Vielleicht scheint es eigenartig, daß jemand, der hier gelitten hat, wieder zurückkommt. Aber wir haben neue Häuser bekommen, haben uns hier angesiedelt und leben ein neues Leben. Nach Lidice kommen viele Besucher. Wir kennen die Geschichte, und wer sonst soll erzählen, was 1942 geschah, daß hier wirklich ein Dorf stand, daß wir dort lebten? Nur wir können das.

Beim Wiederaufbau des Dorfes haben Jugendliche aus vielen Ländern mitgeholfen. 1947 war in Prag das Internationale Festival der Jugend; 400 Teilnehmer davon haben hier gearbeitet in Internationalen Brigaden. Selbstverständlich haben auch viele unserer Jugendlichen hier gearbeitet. Es gab damals eine große Aktion „Lidice-Most-Litvinov". Das sind Städte in Nordböhmen: Most ist bekannt für seinen Kohlen-Tagebau, in Litvinov ist eine große chemische Fabrik zur Erzeugung von synthetischem Benzin. Einige Jungen von der Brigade aus der Slowakei blieben hier, die haben Mädchen aus dem Nachbardorf geheiratet.

Meine Tochter, die ich hier erzogen habe und die jetzt erwachsen ist und selber Mutter, lebt in Kladno. Sie sagt, sie würde sich nie wieder an ein Leben auf dem Dorf gewöhnen. Für sie ist es bequem, dort hat sie eine Wohnung mit Heizung, hat Theater, ein Kulturangebot. Wir dagegen müssen Asche raustragen, weil wir mit Kohle heizen usw. Aber für mich wäre das schrecklich, nur in Wänden zu leben und nicht ins Grüne zu sehen. Wenn ich nach Hause komme, kann ich in den Garten gehen. Ich lebe gern hier. Meine Tochter kommt gern zu Besuch, mit den beiden Enkeln. Die Kinder können hier im Garten mal richtig laufen.

Ich habe keinen Haß auf die Deutschen. Wir wissen, daß der Ursprung des Unglücks der Faschismus war. Auch viele Deutsche sind umgekommen in den KZs, Männer, Frauen, die für fremde Interessen sterben mußten. Es war so viel Leiden in dem Krieg. Wir haben den Faschismus und den Krieg erlebt. Und man müßte uns erschießen und ausrotten, damit kein Zeuge ist, der über die Greueltaten Auskunft geben kann. Wir werden immer den Gedanken des Antifaschismus durchsetzen und für den Frieden kämpfen.

Ein dritter Krieg - jeder kann sich vorstellen, was das bedeuten würde. Heute würde der Krieg nicht auswählen, ob es ein Deutscher ist oder Engländer oder Tscheche, den er trifft. Ich glaube, daß auch in der BRD die Vernunft siegen wird. Daß auch dort der größte Teil der Bevölkerung gegen den Krieg ist. Wir sehen im Fernsehen, daß die Friedensbewegung stark ist. Aber man muß das jeden Tag durchsetzen. Es ist kompliziert. Wir werden diesen Kampf für den Frieden unterstützen, wo wir nur können. Deswegen auch sind wir zurückgekehrt, damit wir als Zeugen den neuen Generationen etwas weitergeben können. Jetzt habt Ihr die Aufgabe, das durchzusetzen.

Quelle-Lidice (U.Naumann,1983)

Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Mo, 02. Juli 2007, 21:46
Bild 1.Die Gedenkstätte,rechts der Eingang zum Museum

Bild 2.Der Rosengarten.Der Rosengarten wurde am 19.6.1955 eröffnet in dem 29.000 Rosensträucher aus aller Welt wachsen.

Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Do, 12. Juli 2007, 18:53
SS-Sturmbannführer verhaftet

Der ehemalige Sturmbannführer Hermann Krumey wurde am 1. April in Haft genommen. Er befindet sich im Frankfurter Untersuchungsgefängnis.
SS-Sturmbannführer Krumey war im September 1948 von einer Spruchkammer als minderbelastet auf freien Fuß gesetzt worden.
(die tat, 6. 4. 57)

Oberlandesgericht Ffm. läßt SS-Krumey frei

Wie,, Die Tat" bereits berichtete, wurde der ehe; malige SS-Obersturmbannführer vom leitenden Stab des ehemaligen Judenvernichtungskommando der SS in Ungarn, Hermann Krumey, auf Anordnung des Frankfurter Oberlandesgerichtes aus der Untersuchungshaft entlassen.

Diese Gerichtsentscheidung ist einfach haarsträubend und kann nur dazu beitragen, die Rechtsunsicherheit in der Bundesrepublik, die sowieso schon durch die zuvorkommende Behandlung ehemaliger NS-Größen stark angeknackst ist, auf das schwerste zu gefährden. SS-Krumey ist ein Massenmörder! Während des Krieges war er Stellvertreter des berüchtigten SS-Führers Eichmann. Er hat aktiv und mit dem Fanatismus eines„ Herrenmenschen" an der Deportation und Vergasung von Hunderttausenden ungarischen Juden mitgewirkt. Es bestehen Dokumente, die die riesengroße Blutschuld Krumeys beweisen. Es waren österreichische Behörden, die vor einigen Monaten die deutsche Öffentlichkeit und die Bundesjustiz darauf aufmerksam machten, um was für eine SS-Figur es sich bei Krumey handelt. Die Veröffentlichung eines Buches, die die furchtbaren Judenvernichtungsaktionen schildert, sowie die Hinweise der österreichischen Behörden waren der Anlaß, Krumey am 1. April d. J. in Untersuchungshaft zu nehmen.

Krumey wurde in dem hessischen Städtchen Korbach verhaftet. Wie so viele NS-Größen hatte er es nach dem Kriege verstanden, sich zu tarnen und den soliden Bürger zu spielen. Krumey, der aus dem Sudetenland stammt, ließ sich in Korbach nieder, mimte hier den Unschuldigen und machte eine Drogerie auf. Als Starthilfe wurde ihm sogar ein staatlicher Kredit in Höhe von 12000 DM gegeben. Außer der Drogerie eröffnete er noch ein Zeltverleihgeschäft. Das war aber noch nicht alles. Krumey betätigte sich auch „demokratisch". Er ließ sich als Abgeordneter des Gesamtdeutschen Blocks BHE in den Waldecker Kreistag wählen. Die „Frankfurter Rundschau" schrieb über diesen „Volksvertreter": „Es mutet geradezu grotesk an, daß der SS-Obersturmbannführer Krumey unter der Maske des Biedermanns völlig unbehelligt im Bundesgebiet lebte". Die Schwere der Schuld Krumeys ist mit Worten kaum zu schildern. Krumeys SS-Karriere begann, als er einmal von Konrad Henlein dem Reichsführer SS Himmler vorgestellt wurde. Himmler erkannte sofort, daß Krumey der „richtige Mann" für ihn war. Im KZ Dachau wird er „ausgebildet", auf Menschenvernichtung gedrillt und dann überall dort eingesetzt, wo es gilt, Menschen kaltblütig auf SS-Art massenweise umzubringen. Wohl am grausamsten wütete Krumey in Ungarn, wo er zum Stellvertreter des Führers eines „Sondereinsatzkommandos", des SS-Obersturmbannführers Eichmann, avancierte. Die Aufgabe des Sondereinsatzkommandos war, die Ermordung der ungarischen Juden planmäßig zu organisieren. Allein von Mitte Mai bis zum 7. Juli 1944 wurden bei einer „Blitzaktion" in den KZ-Lagern Auschwitz und Maidanek etwa460000 ungarische Juden vergast. Der ehemalige Führer der jüdischen Widerstandsbewegung in Ungarn, Joel Brand, schilderte Anfang April d. J. auf einer Pressekonferenz in Frankfurt a. M., daß alle Aufrufe und Verordnungen, die nach dem 19. März 1944 in Ungarn zur Durchführung der Deportationen von Juden erlassen worden seien, die Unterschrift Krumeys trugen. Krumey habe auch damals im Auftrage Himmlers Verhandlungen über ein „Geschäft" geführt, das die Freilassung von 1 Million Juden gegen 10. 000 Lastkraftwagen vorsah.

Joel Brand führte damals mit Eichmann und Krumey Verhandlungen. Die SS-Führer waren bereit, den Menschenhandel auch ratenweise abzuwickeln - 100 Lastkraftwagen für 100.000 freigelassene Juden. Sie waren sogar zu einer Vorschußleistung bereit, indem sie 1700 Juden fürje 1000 Dollarfreiließen. Es gab auch Fälle, in denen einzelne Juden bis zu 200.000 Mark zahlten. Brand erhielt von Eichmann ein Kurierflugzeug und von Krumey einen deutschen Paß, damit er sich über Wien in die Türkei begeben und Kontakte mit englischen Stellen aufnehmen konnte. Über den Menschenhandel, den die SSFührer vorschlugen, wurde damals im englischen Kriegskabinett beraten. SS-Führer verhandelten an der Schweizer Grenze. Auch Roosevelt, der schwedische König und der Papst sollen sich damals eingeschaltet haben.

Aus anderen Dokumenten geht hervor, daß Krumey Deportationen von Polen in Zwangsarbeitsund Konzentrationslager angeordnet hat. Von höchster Stelle wurde ihm bescheinigt, daß er seine verbrecherische Tätigkeit zur vollsten Zufriedenheit der SS-Führung ausgeführt habe. In einem am 21. April 1942 ausgestellten Dienstleistungszeugnis, unterzeichnet von dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Oberführer Damzog, heißt es über Krumeys „Heldentaten" in Polen:

„In unermüdlichem Tag- und Nachteinsatz hat SS-Obersturmbannführer Krumey mit seinen Männern geradezu die Voraussetzungen für die reibungslose Durchführung der Umsiedlung geschaffen."
(die tat, 6. 7. 57)

Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Do, 12. Juli 2007, 19:11
Krumey endlich in Haft

Auf Antrag von Oberstaatsanwalt Wolf hat der Untersuchungsrichter beim Landgericht Frankfurt am 14. August Haftbefehl gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey erlassen. Der Haftbefehl wurde sofort vollstreckt. Krumey sitzt in der Haftanstalt Hammelsgasse in Frankfurt.

Die Verhaftung des einstigen SS-Führers erfolgte auf Grund von Dokumenten, die „Die Tat" als erste Zeitung der Bundesrepublik am 28. Juni dieses Jahres veröffentlichte.

In den von uns veröffentlichten Dokumenten wird Krumey überführt, an der Ermordung von 88 tschechischen Kindern beteiligt gewesen zu sein. Die Kinder stammten aus Lidice. Am 20. Juli teilte Krumey in einem Fernschreiben an das Reichssicherheitshauptamt mit, daß von den 88 Kindern lediglich sieben „rückdeutschungsfähig" seien. „Ich bitte dringend", heißt es in dem Fernschreiben, „über die Weiterverwendung der Kinder zu verfügen". Mit der „Weiterverwendung" war deren Ermordung gemeint.
(die tat, 23.8.1958)

Krumey auf freiem Fuß
- Unter Vorsitz von Landgerichtsrat Dr. Lessing hat
die Zweite Strafkammer des Landgerichts Frankfurt a. M. eine Entscheidung getroffen, die man schlechthin als Skandal ersten Ranges bezeichnen muß: Der erst kürzlich auf Antrag des Oberstaatsanwaltes wieder in Haft genommene ehemalige Leiter der sogenannten Umwanderungszentrale in Lodz, der SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey, wurde nach einem turnusmäßigen Haftprüfungstermin wieder auf freien Fuß gesetzt.

Obwohl das der Staatsanwaltschaft übermittelte Belastungsmaterial ausdrücklich als authentisch bezeichnet wurde, erklärte Landgerichtsrat Dr. Lessing:

„Wir befinden uns in einem Rechtsstaat, und die Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten wird nur aufrechterhalten bei dringendem Tatverdacht." Die Beschuldigungen gegen Krumey seien zwar im wesentlichen in Urkunden enthalten, für eine weitere Inhaftierung sei jedoch der direkte Beweis durch eidliche Zeugen nötig.

Zehn Jahre lang konnte der frühere SS-Obersturmbannführer Hermann Krumey völlig ungeschoren mitten unter uns leben. Schon 1947 wurden vor dem Nürnberger Gericht seine Schandtaten bloßgestellt. Aber niemand kümmerte sich darum.

Es ist unfaßlich, daß niemand es für notwendig hielt, die Protokolle der Nürnberger Prozesse nachzulesen.
Aus diesen Protokollen geht beispielsweise hervor, daß die Krankenschwester Julja Makowski am 16. November 1947 als Zeugin bekundete, daß Krumey unter dem Verdacht der Mitbeteiligung am Mord der Kinder von Lidice steht. Am 13. Juni 1942, neun Tage bevor Krumey in einem Fernschreiben von der Umwandererzentrale Litzmannstadt aus vom Reichssicherheitshauptamt einen Befehl über die „Weiterverwendung" der Kinder anforderte, traf er mit ihnen im Durchgangslager Lezna bei Lodz zusammen. Er unterhielt sich in tschechischer Sprache mit ihnen und veranlaßte in einer Anwandlung von Menschlichkeit, daß die Todgeweihten mit Brot und Margarine beköstigt wurden.

Die von den Eltern weggerissenen Kinder waren, eingeschüchtert und schlecht bekleidet. Mitten in der Nacht wurden zwei Kinder eingeliefert, die vollkommen nackt waren. Unter größter Geheimhaltung wurden die Kinder von Lezna aus auf Lastautos weitertransportiert - in den Tod. Sie wurden nirgendwo registiert - so als ob sie gar nicht mehr existierten.

Den Abtransport leitete ein Gestapoangestellter aus Lodz namens Bromberg. Wo ist er heute? Ferner waren beteiligt: Marta Weick, ein Mann namens Schütz und dervermutliche Gestapochef von Lodz, Bradfisch.

Krumey wurde verhaftet. Krumey wurde freigelassen. Krumey wurde erneut verhaftet und zum zweiten Male freigelassen. Wird Krumey jemals für seine furchtbaren Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden?
(die tat, 20.9.1958)   

Proteste gegen Freilassung Krumeys
Der Verband der tschechoslowakischen Widerstandskämpfer hat bei Bundesjustizminister Schäffer gegen die abermalige Freilassung des SS-Obersturmbannführers Hermann Krumey protestiert.

In seinem Schreiben erklärt der Verband:

„Im Namen der ermordeten Kinder aus Lidice und Lezaky, im Namen ihrer trauernden Mütter, im Namen aller Teilnehmer des antifaschistischen Kampfes protestieren wir gegen die evidente Bevorzugung des nazistischen Verbrechers seitens der gerichtlichen Organe und fordern die Verhaftung und Verurteilung von Hermann Krumey."

Nach den in den NS-Archiven von Litzmannstadt gefundenen Dokumenten, so heißt es in dem Protestschreiben weiter, sei eindeutig festgestellt  worden, daß Krumey aktiv an der Deportierung von fast hundert Kindern aus den Gemeinden Lidice und Lezaky teilgenommen hat. In einem Brief vom 22. Juni 1942 an das Reichssicherheitsamt habe Krumey die Übernahme des Transportes der unglücklichen Kinder bestätigt. Krumey habe gewußt, welches Schicksal den Kindern bevorstand. In seinem eigenhändig unterschriebenen Brief heiße es: „Ich habe IV B 4 des Reichssicherheitsamtes von der Überstellung dieser Kinder in Kenntnis gesetzt, in der Annahme, daß dieselben für eine Sonderbehandlung vorgesehen sind." Der letzte bekannte Aufenthaltsort der Kinder sei das Auffanglager bei Lodz gewesen, das unter Krumeys Leitung gestanden habe. Von hier aus verschwänden alle Spuren der Kinder mit Ausnahme der sieben, die zur „Eindeutschung" vorgesehen gewesen seien.

Krumey habe am 30. September 1947 in Nürnberg seine Teilnahme an der Deportierung der Kinder bekannt und erklärt: „Meines Erachtens habe ich bei diesem Vorgang selbst mitgearbeitet."

„Wir können nicht begreifen", heißt es in dem Brief an Justizminister Schäffer, „wie man einen Menschen, der seine aktive Teilnahme an Verbrechen, die seinerzeit das Gewissen der ganzen Welt erschütterten, nicht einmal leugnet, freilassen kann."
(die tat, 4.10.1958)

Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Do, 12. Juli 2007, 19:43
KZ-Krumey noch immer in Freiheit

Weil das Wort „Sonderbehandlung" ein wohlbekannter Begriff der Naziära für die Ermordung ohne Gerichtsurteil ist, wurde Hermann Krumey mit Recht der Mitschuld an der Ermordung der Kinder aus Lidice beschuldigt.

Durch die Entscheidung des Ersten Strafsenats des Oberlandesgerichtes in Frankfurt am Main wurde Krumey mit der Begründung freigelassen, daß nicht mit Sicherheit festgestellt werden könne, daß Krumey wußte, daß die Kinder ermordet werden sollten.

Es lägen keine sicheren Anhaltspunkte dafür vor, erklärte der Senat, daß der Begriff Sonderbehandlung zur damaligen Zeit bei seiner Anwendung in SS- und SA-Kreisen ganz allgemein die Bedeutung einer Liquidierung, Tötung oder dergleichen hatte-wie die Staatsanwaltschaft meinteund daß auch Krumey diese Bedeutung kannte. Auch das Institut für Zeitgeschichte in München habe einen allgemeinen Gebrauch des Wortes Sonderbehandlung in dem fraglichen Sinn nicht feststellen können. Krumeys Behauptung, ihm sei eine bestimmte Bedeutung des Wortes Sonderbehandlung nicht bekannt gewesen, sei unter : diesen Umständen zwar nicht restlos überzeugend, aber auch nicht völlig unglaubwürdig und vor allem sprachprozessual nicht widerlegbar.

Mit dieser Erklärung wies der Gerichtsrat in Frankfurt am Main die Beschuldigung Krumeys wegen „Beihilfe zum Mord, Beihilfe zur Freiheitsberaubung mit Todesfolge oder wegen Beihilfe zum Menschenraub" ab. Mit bewunderswerter Bereitwilligkeit glaubte das Frankfurter Gericht Krumey,daß er die wahre Bedeutung des Wortes „Sonderbehandlung", das er in seinem Schreiben mit völliger Selbstverständlichkeit benützte, nicht gekannt hatte. Auf das Wort „Sonderbehandlung" stieß die Öffentlichkeit laufend bei Prozessen mit Angehörigen der SS, der SA und der Gestapo,und immer zeigte es sich, daß es die völlig eindeutige Bedeutung „Mord" hatte.

So erklärte zum Beispiel K. H. Frank, der ehemalige Staatsminister für Böhmen und Mähren, der für seine Verbrechen in Prag hingerichtet wurde, bei seiner Einvernahme:

„Sonderbehandlung, das heißt die betreffenden   Personen ohne Gerichtsurteil zu exekutieren auf rund von staatspolizeilichen Feststellungen über en Tatbestand."

Der  ehemalige  Befehlshaber der Kleinen Festung Terezin, Heinrich Jöckel, sagte beim Verhör aus:   
 „Die Befehle zur Durchführung dieser Sonderbehandlung kamen immer von der Leitstelle in Prag und hatten folgenden Wortlaut: ... Der Oberste - SS- und Polizeiführer, SS-Obergruppenführer f K. H. Frank, hat gegen die nachstehende Person
...die Sonderbehandlung angeordnet. Ich bitte,die Exekution durch Erschießen vorzunehmen.Es ist eine beträchtliche Zahl weiterer ähnlicher -Zeugenaussagen und schriftlicher Dokumente bekannt. Sie zeigen eindeutig, daß das Wort „Sonderbehandlung" im Wörterbuch der SS und der Gestapo die Bezeichnung für eine Hinrichtung ohne Gerichtsurteil war; es handelte sich also um den üblichen Decknamen für die physische Liquidierung eines Häftlings. Diese Bedeutung des Wortes war allen Angehörigen der SS ohne Unterschied ihres Ranges genau bekannt. So läßt sich ohne weiteres voraussetzen, daß sie auch einem SS-Obersturmbannführer bekannt war, der unmittelbar auf dem Gebiet der Massenausrottung tätig war.

Auf Grund dieser Feststellungen kann man die Entscheidung des Frankfurter Gerichtes nicht anders bewerten als einen Versuch, den Kindermörder zu schützen. Diese zumindest versöhnliche Einstellung des westdeutschen Gerichtswesens gegenüber Naziverbrechern überrascht nicht; es ist bekannt, daß mehr als 1000 ehemalige Hitlerkapazitäten, die sich während des Nazitums zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht haben, wieder zu Gericht sitzen. Eine Krähe hackt der anderen die Augen nicht aus, sagt ein altes Sprichwort. Es ist geradezu unglaublich: an den Morden in den Konzentrationslagern Lodz und Chelmno zweifelt niemand; aber ein westdeutsches Gericht hegt Zweifel darüber, ob der Lagerkommandant von ihnen wußte!!
(die tat, 23.4.1960)

SS-Mörder Eichmann gefaßt
Der Organisator des Massenmordes an den Juden während des Dritten Reiches, Adolf Eichmann, ist von den israelischen Sicherheitsbehörden nach jahrelanger Verfolgung verhaftet worden.

In der Bundesrepublik - und zwar in aller Öffentlichkeit - lebten auch seine engsten Mitarbeiter: SS-Obersturmbannführer Krumey und der Gesandte der Nazis in Sofia, Beckerle.

Erst jetzt, nach der Verhaftung Eichmanns, sind auch Krumey und Beckerle wieder inhaftiert worden. Wie es heißt, sei Krumey bereits drauf und dran gewesen, zu entfliehen.

Aber Krumey und Beckerle werden nicht die einzigen in der Bundesrepublik sein, die in dem Eichmann-Prozeß eine Rolle spielen werden. Eichmann hat bei seiner ersten Vernehmung bereits angedeutet, daß er höchste Persönlichkeiten aus der Bundesrepublik - in und außerhalb der Regierung-mit in seinen Prozeß hineinziehen werde.

Fortsetzung folgt noch

Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 14. Juli 2007, 16:44
Hermann Krumey als Zeuge im Eichmann-Prozeß

Meine Aufgabe war die Organisation des Eisenbahntransportweges zur Durchführung der Aussiedlung solcher Polen aus dem Warthegau, die durch die Landräte zum Zwecke der Unterbringung von Volksdeutschen von ihren Höfen herausgesetzt worden waren, und nun nach Polen transportiert werden sollten. Mit Polen meine ich das Generalgouvernement.

Als die Aussiedlungen zu Schwierigkeiten und Unerträglichkeiten führten, weil infolge mangelnder Ordnung die von ihren Höfen verdrängten Polen ohne ausreichenden Raum, ohne Arbeit waren im Gebiet des Warthegaues und infolgedessen die Kriminalität zunahm, erfolgte die Bildung einer gesonderten Organisation zur Ordnung der vorgenannten Aktion. Es wurde bei dem Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD in Posen die Umwandererzentralstelle für diesen Zweck gebildet. Unter dieser Zentralstelle wurde eine Dienststelle in Litzmannstadtgebildet. Es war dort vorher eine Außenstelle der Zentralstelle unter der Leitung des Hauptsturmführers Barth. Als diese Außenstelle zur Dienststelle wurde, kam ich als der Leiter dorthin. Das war im Frühjahr 1940.

Zweck der Dienststelle war, die Durchschleusung der durch die Tätigkeit nachgeordneter Dienststellen des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums ausgesiedelten Polen in das Generalgouvernement durchzuführen, wobei in dem Durchgangslager solche Polenfamilien ausgesondert wurden, die sich als eindeutschungsfähig nach der Feststellung des Rasse und Siedlungshauptamtes erwiesen, und die Polen, die das Arbeitsamt als Arbeitskräfte für den Einsatz im Reich herauszog. Die Außenstellen hatten zuvor bereits diejenigen herausgesucht, die von ihren Höfen vertrieben waren, jedoch Volksdeutsche waren oder Polen, die sich zum Deutschtum bekannten. Hierfür bestanden Richtlinien. Der herausgesuchte Personenkreis sowohl seitens der Außenstellen als auch bei der Durchschleusung im Lager blieb dann von dem Abtransport ins Generalgouvernement ausgenommen. Indem Lager wurden auch Vermögensaufstellungen jeder auszusiedelnden Polenfamilie aufgenommen, die dann bei der Haupttreuhandstelle Ost gesammelt wurden und, wie es hieß, Grundlage einer Entschädigung der Ausgesiedelten bilden sollte.

Als Leiter der Dienststelle in Litzmannstadt habe ich meine Anforderung von Zügen immer an die Abteilung IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt gerichtet und nicht mehr mit der Reichsbahn direkt verhandelt. Transportmäßig war vor allem dafür zu sorgen, daß die einwandernden Ansiedler durch rechtzeitigen Abtransport der Aussiedler Platz vorfanden. Dies alles war der Zweck meiner Dienststelle in Litzmannstadt.

Eines morgens erfuhr ich, daß im Lager Gneisenaustraße eine Anzahl von nicht ganz 100 Kindern -wie ich jetzt aus vorgehaltenen Dokumenten ersehen habe, sollen es 88 gewesen sein - aus dem Protektorat angekommen seien. Ich weiß noch, daß ich mir die Kinder angesehen habe. Von wem ich von dem Eintreffen der Kinder informiert wurde, weiß ich heute nicht mehr. Als ich die Kinder sah, waren die Schwestern, die als Begleitpersonal mitgekommen sein sollten, schon wieder verschwunden. Die Anwesenheit der Kinder war für uns etwas außergewöhnliches und bereitete Schwierigkeiten, weil unser Lager nur als Durchgangsstation für Familien eingerichtet war und nicht für die Aufnahme unversorgter elternloser Kinder.

An das mir vorgehaltene Fernschreiben des Rasse- und Siedlungshauptamts vom 12. 6.1942 kann ich mich nicht erinnern. Aus dem handschriftlichen Vermerk unten auf dem Fernschreiben ersehe ich, daß mein Vertreter Püschel dieses Fernschreiben bearbeitet hat.

Der handschriftlich am Ende der Liste vom 11. Juni 1942 aufgeführte Untersturmführer Kanzler ist mir nicht bekannt. Zu meiner Dienststelle gehörte er nicht. Ich weiß noch, daß die Kinder behelfsmäßig versorgt und untergebracht wurden und daß wir wissen wollten, was weiter aus ihnen werden sollte. Es ist möglich, daß ich wegen der Kinder mit dem Referat IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt telefoniert habe, ob mit Eichmann oder mit einem anderen dort Tätigen, weiß ich heute nicht mehr.

Die mir vorgehaltenen Fernschreiben vom 17.Juni 1942 an Fischer in Prag, vom 20. Juni 1942 an Eichmann und vom 22. Juni 1942 an Ehlich sind mir aus meinem eigenen Verfahren bekannt. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich zu ihrer Abfassung und Absendung kam, weil inzwischen zuviel Zeit verflossen ist. Nach den Diktatzeichen habe ich sie diktiert. Ob ich die Anschriften der Stenotypistin wörtlich diktiert habe, weiß ich nicht. Üblich war es bei mir, die jeweilige Dienststelle der Stenotypistin beim Diktieren mit dem Namen des jeweiligen Leiters zu bezeichnen. Fischer kannte ich persönlich nicht, Eichmann und Ehlich kannte ich.

Ich möchte noch bemerken, daß ich für wahrscheinlich halte, zum Zeitpunkt des Eintreffens der Kinder den Vorfall der Niedermachung von Lidice noch nicht gewußt zu haben. Ich habe die Sache nachher aber auf alle Fälle erfahren, und ich habe mich mit Sicherheit darum gekümmert, auf welche Weise die Kinder zu uns kamen, was die Ursache dafür war.

Mir ist vorgehalten worden, daß das Fernschreiben an Eichmann vom 20. 6. 1942 das Wort Sonderbehandlung nicht erwähnt, daß ich aber in meinem Fernschreiben an Ehlich vom 22.6.1942 folgenden Satz diktiert habe: „Ich habe IV B 4 von der Überstellung dieser Kinder in Kenntnis gesetzt in der Annahme, daß dieselben für eine Sonderbehandlung vorgesehen sind." Hierzu möchte ich erklären: Eine genaue Erinnerung an meine Gedanken bei der Abfassung des Fernschreibens habe ich nicht mehr. Ich bin der Ansicht, daß ich das Wort Sonderbehandlung damals nicht im
Sinne von Vernichtung aufgefaßt habe. Ich bin mir sicher, daß mir damals der Begriff Sonderbehandlung in der Bedeutung Vernichtung nicht bekannt und geläufig war. Die Kinder waren eine Sonderangelegenheit innerhalb unseres Lagerbetriebes und erforderten für unsere Verhältnisse eine besondere Behandlung. Mit der Formulierung: ... in der Annahme, daß dieselben für eine Sonderbehandlung vorgesehen sind, habe ich nach meiner Auffassung zum Ausdruck gebracht, daß die Kinder einer besonderen Behandlung bedurften und nicht etwa im gewöhnlichen Gang unserer Aussiedlungsverfahren mitlaufen könnten, sondern zum Beispiel in Heimen untergebracht werden müßten. Daß ich mich in dieser Annahme an Eichmann wandte, erkläre ich damit, daß dessen Referat IV B 4 die Stelle war, die für mich wegen der Transportraumanforderungen zuständig gewesen ist. IV B 4 hat immer bestimmt, wo unsere Transporte hingeleitet wurden. Deshalb fragte ich auch in diesem Falle dort an, weil die Kinder aus unserem Lager ja abtransportiert werden mußten, und ich wollte wissen wohin.

Auf welche Weise die Kinder dann aus dem Lager herauskamen, kann ich aus meiner Erinnerung heraus nicht mehr sagen. Aus mir in meinem Verfahren vorgehaltenen Unterlagen weiß ich, daß sie abgeholt worden sind. Es bestehen Quittungen über die Abgabe der Kinder an die Stapoleitstelle Litzmannstadt, auf der jeweils die Autonummer der abholenden Kraftfahrzeuge vermerkt sind. Einzelheiten sind mir deshalb nicht im Gedächtnis, weil für die gesamte Lagerangelegenheit der Lagerinspekteur Schwarzhuber existierte und außerdem das Lager Gneisenaustraße einen Kommandanten besaß. Wer letzterer damals war, weiß ich nicht mehr. Ich wurde meist nur befaßt mit einer Angelegenheit, wenn sie Schwierigkeiten bereitete. Ich kann auch heute nicht mehr sagen, wer meiner Dienststelle eine Weisung erteilte und ob eine solche als Antwort auf meine Telegramme erteilt worden ist. Ich halte es für möglich, daß die Kinder abgeholt worden sein können, ohne daß meine Dienststelle unmittelbar eine Weisung erhielt. In diesem Fall könnte eine Weisung statt an meine Dienststelle an die Stapoleitstelle direkt ergangen sein, ohne daß ich davon Kenntnis erlangt hätte.

Mir sind nunmehr zu dem Komplex der Kinder aus Lidice ein Fernschreiben RUS Berlin Nummer 313 vom 12.6. 1942 vorgehalten worden, das die Umwandererzentralstelle Litzmannstadt ersucht, 86 nicht eindeutschungsfähige Tschechenkinder zu übernehmen, die Unterkommensfrage zu regeln und entsprechendes Quartier für die 86 Kinder zu schaffen, sowie ein dringendes Geheimfernschreiben des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD- in Prag, 346/42, gezeichnet Fischer, an die Umwandererzentrale Litzmannstadt vom 12. 6. 1942, das die Vorgänge in Lidice einschließlich des Schicksals der Eltern der Kinder, die Herkunft der Kinder mit Angabe der Altersklassen und als Ankunftszeit 13. 6. 1942, 21.30 Uhr, mitteilt und ersucht, daß die Kinder am Bahnhof abgeholt und gleich in entsprechende Lager eingewiesen werden. In diesem Schreiben ist vermerkt, daß die nicht Eindeutschungsfähigen auf dem Wege über dortige Polenlager entsprechend weiter verschickt werden sollen, und weiterhin heißt es: Die Kinder bringen nichts mit, als das was sie auf dem Leibe haben. Eine besondere Fürsorge ist nicht erforderlich. Speziell an die mir vorgelegten Fernschreiben kann ich mich heute nicht mehr erinnern, möchte jedoch bemerken, daß ich entgegen dem Vermerk in dem einen Fernschreiben sehr wohl besondere Fürsorgemaßnahmen im Lager Gneisenaustraße vornehmen lassen mußte und habe vornehmen lassen.

Zeugenaussage vor dem Amtsgericht Frankfurtl Main, 6. Juni 1961 in der Strafsache gegen Adolf Eichmann. Quelle:
Institut für Zeitgeschichte München, Akz. 2904162.

Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 14. Juli 2007, 17:20
In Frankfurt begann der Prozeß gegen Krumey und Hunsche

Im Gallushaus in Frankfurt am Main, in dem auch der Auschwitz-Prozeß stattfindet, begann am 27. April ein neues Verfahren gegen SS-Schergen. Angeklagt sind der ehemalige Stellvertreter Eichmanns in Ungarn, Hermann Krumey, und der damalige Regierungsrat im Amt IV des SS-Reichssicherheitshauptamtes, Otto Hunsche. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen „gemeinschaftlichen Mord in einer Vielzahl von Fällen" und „räuberische Erpressung" vor.

Hunsche und Krumey sind für die Deportation der ungarischen Juden nach Auschwitz verantwortlich.

Breiten Raum in den Gerichtsverhandlungen wird das makabre Tauschgeschäft „Blut gegen Ware" einnehmen. Eichmann hatte bekanntlich zunächst 100000 Juden die Auswanderung aus Ungarn gegen Zahlung von zwei Millionen Dollar in Aussicht gestellt. In die Verhandlungen waren Krumey und Hunsche eingeschaltet, die sich auf diese Weise gleichzeitig ein Alibi gegenüber den heranrückenden Alliierten zu verschaffen hofften. Später verlangte die SS für eine Million Juden 200 Tonnen Tee, 800 Tonnen Kaffee, 2 Millionen Stück Seife und 10 000 Lastkraftwagen. Während kleinere Gruppen von Juden durch derartige Leistungen gerettet werden konnten, wurde die Deportation der überwiegenden Mehrheit forciert.
(die tat, 2.5.1964)


Eichmann-Helfer leugnen vor Gericht jede Schuld
Wie die SS-Schergen von Auschwitz wollen auch Hunsche und Krumey nichts mit den Mordaktionen zu tun gehabt haben. Feige lehnen sie jede Verantwortung für das, was damals unter ihrer aktivsten Mitwirkung geschah, ab.Der ehemalige Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt der SS, Hunsche, beschwerte sich, darüber, daß ihm nicht genügend Zeit zum Studium der Beschuldigungen gelassen worden sei, worauf der Gerichtsvorsitzende fragte, ob denn die vergangenen zehn Monate nicht für dieses Studium ausgereicht hätten. „Mein Leben ist zugrunde gerichtet", jammerte der Angeklagte, der seinerzeit keine Skrupel hatte, Hunderttausende Menschen der Vernichtung preiszugeben.

Krumey benimmt sich nicht weniger widerlich. Mitieidheischend brach der ehemalige SS-Obersturmbannführer am zweiten Verhandlungstag immer wieder in Tränen aus, wobei er weiszumachen versuchte, er sei schon im Juni 1944 als Stellvertreter Eichmanns in Ungarn entlassen und „über Nacht" nach Wien versetzt worden. Auf die Frage, wieso er einen verantwortlichen Posten bei der Wiener Außenstelle des „Sonderkommandos Eichmann" bekommen habe, wenn er doch, wie er behaupte, angeblich nicht tragbar gewesen sei, blieb Krumey allerdings die Antwort schuldig. Als Abgeordneter des BHE im Korbacher Kreistag, dem er trotz seiner Vergangenheit mehrere Jahre angehörte, trat Krumey wesentlich forscher auf. Die Korbacher erinnern sich an zündende Ansprachen des ehemaligen SS-Führers, in denen allerdings nie von der Schuld der Nazis die Rede war, dafür um so mehr von dem „Unrecht, das den Deutschen zugefügt wurde".
(die tat, 9.5.1964)


Kritische Bemerkungen zu einem Prozeß
Krumey und Hunsche schufen durch ihre Tätigkeit einen großen Teil der Voraussetzungen für all das, was sich mit dem Namen Auschwitz verbindet Sie saßen an den Druckknöpfen des gewaltigen Vernichtungsapparates und stellten vom Schreibtisch aus die Weichen für die Todestransporte. Mit ihnen sitzt die Mordmaschinerie des Nazistaates auf der Anklagebank. Der Prozeß gegen sie bietet somit Gelegenheit, in die verborgenen Kammern dieser Maschinerie zu leuchten und den politischen und „ideologischen" Hintergrund der geschichtlich einmaligen Menschenschlächterei deutlich zu machen - der Nachwelt zur ewigen Mahnung.

Der bisherige Verhandlungsverlauf hat leider gezeigt, daß das Gericht diese Gelegenheit nicht wahrzunehmen gedenkt. Der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor Schmidt, wurde deshalb schon heftig kritisiert. Der kürzlich verstorbene Joel Brand warf ihm vor, den Prozeß bewußt so zu führen, „daß vieles für die Dokumentation und die Zeitgeschichte verloren geht". Auch der ehemalige Ankläger im Nürnberger Prozeß, Kempner, bezeichnete den Prozeß als höchst unbefriedigend. Verschiedene Zeitungen schlossen sich der Kritik an, so daß der Vorsitzende sich schließlich genötigt sah, in einer Erklärung, die im Gerichtssaal verlesen wurde, zu den Angriffen Stellung zu nehmen. Das ist ein einmaliger Vorgang. Aber Schmidt ließ die Kritik an sich abgleiten. Das Gericht sei nicht berufen, Geschichtsforschung zu betreiben, erwiderte er, sondern könne nur die strafrechtliche Schuld der Angeklagten feststellen.

Die strafrechtliche Schuld läßt sich im vorliegenden Fall aber nur dann restlos aufhellen, wenn die geschichtlichen Hintergründe in Betracht gezogen werden. Hier gilt dasselbe wie im AuschwitzProzeß.

Leider hat die Staatsanwaltschaft im Krumey-Hunsche-Verfahren von sich aus bisher wenig dazu beigetragen, die Unlust bei der Behandlung der Hintergründe zu überwinden. Ihre Aufgabe wäre es, durch Benennung entsprechender Sachverständiger die Lücke zu schließen. Offenbar mangelt es auf seiten des Gerichts und auf seiten der Staatsanwaltschaft an der Bereitschaft, ein umfassendes Bild über den Ungarn-Komplex zu vermitteln.

Dabei spielt möglicherweise auch mangelnde Sachkenntnis eine Rolle. Nur so läßt sich erklären, daß beispielsweise der ehemalige Reichsbevollmächtigte Hitlers in Budapest, Veesenmayer, als Zeuge frech behaupten konnte, er wisse nicht mehr, weshalb er in Nürnberg verurteilt wurde. Weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft sahen sich in der Lage, der „Vergeßlichkeit" des Zeugen nachzuhelfen.
Im Gegensatz zur nachsichtigen Behandlung der Zeugen, die damals in die Verbrechen verstrickt waren, werden die überlebenden Opfer oft hart und rüde angefaßt. Die Frau Joel Brands fragte als Zeugin empört, ob sie etwa die Angeklagte sei.Von seiten der Staatsanwaltschaft werden diese Zeugen nicht genügend in Schutz genommen. (die tat, 72.9.7964)


Lebensfang Zuchthaus im Krumey-Prozeß gefordert
Im Schwurgerichtsprozeß gegen die Mitarbeiter Adolf Eichmanns in Budapest, Hermann Krumey und Otto Hunsche, hat Oberstaatsanwalt Großmann die Strafanträge gestellt. Er beantragte für beide lebenslange Zuchthausstrafen. Der Anklagevertreter erklärte, der frühere SS-Obersturmführer Krumey aus Korbach in Hessen und der ehemalige Regierungsrat im Reichssicherheitshauptamt Hunsche aus Datteln in Westfalen seien   i der Mittäterschaft beim Massenmord an mindestens 300000 ungarischen Juden überführt. Ein   i Befehlsnotstand habe nicht vorgelegen. Bei beiden Angeklagten seien „selbständige Entscheidungen möglich, ja die Regel" gewesen.
(die tat, 2.7.7965)

Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 14. Juli 2007, 17:32
Der Richterspruch - ein Hohn
„Dem Wort Stellvertreter wird eine zu große Bedeutung beigemessen. Es muß nicht alles durch Krumeys Hände gegangen sein. Er muß nicht in   i der Zentrale den Schalthebel bedient haben, im Gegenteil..." So trägt Landgerichtsdirektor Arnold Schmidt mit monotoner Stimme die Begründung des Urteils gegen die Eichmann-Mitarbeiter Krumey und Hunsche vor.

Die Pressetribüne im Frankfurter Haus Gallus hat sich wieder weitgehend gelichtet. Bei der Urteilsverkündung war sie noch vollbesetzt. Fassungslos hatten die Kollegen das Urteil mitgeschrieben: „Fünf Jahre Zuchthaus für Krumey wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300 000 Fällen, Anrechnung der fünfjährigen Untersuchungshaft auf das Strafmaß, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für vier Jahre, Freispruch vom Vorwurf der räuberischen Erpressung, Aufhebung des Haftbefehls. Freispruch vom Vorwurf des Mordes und der räuberischen Erpressung für Hunsche,    Aufhebung des Haftbefehls, die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse."

„Ein Skandal" und „Das ist ja nicht zu fassen", stießen einige Journalisten, während sie noch mitschrieben, hervor. Entrüstung auch bei den Zuhörern der Verhandlung. Ein alter Frankfurter Sozialdemokrat sagte mir, noch ganz unter dem Eindruck der Urteilsverkündung: „Ich bin als SPDMann und Naziverfolgter über das milde Urteil erschüttert. Ich verstehe das ebenso wenig wie die beabsichtigte Verjährung der Naziverbrechen. Was soll nur das Ausland von uns denken?" Ein Schweizer Rechtsanwalt nannte das Urteil einen Hohn. „Bei uns in der Schweiz wird man das nicht verstehen."

Weitergeht es in der Urteilsbegründung. Schwurgerichtsvorsitzender Schmidt zählt gerade die „mildernden Umstände", die für Krumey sprächen, auf. Krumey sei „kein eifriger Helfer der Judenvernichtung" gewesen und habe„in seinem Gesamtverhalten noch menschliche Züge gezeigt." Gewiß, Krumey habe sich zwar „zu verwerflichen Handlungen hinreißen lassen", aber seine „innere Einstellung zur Judenvernichtung" habe sich „schon damals gewandelt".

Hunsches Freispruch begründete der Vorsitzende mit „soviel Unklarheiten, Ungereimtheiten, Widersprüchen", mit denen dem Angeklagten ein Tatbeitrag zum Mord nicht nachgewiesen werden könne. Überdies bestünden „erhebliche Bedenken an seinem Wissen und seiner Kenntnis von der Judenvernichtung".

Die Kollegen links und rechts neben mir trauen ihren Ohren nicht. Da haben sie nun neun Monate lang den Prozeß verfolgt, und es gibt für sie wie für die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger nicht den geringsten Zweifel an der Mittäterschaft der beiden Angeklagten an der Deportation von über 400000 ungarischen Juden nach Auschwitz, von denen nur knapp zehn Prozent überlebten. Und nun dieses Urteil!
(die tat, 13.2.1965)


Krumey auf freiem Fuß
Der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Eichmann-Gehilfe Hermann Krumey, der wegen Beihilfe zum Mord in 300000 Fällen durch seine Beteiligung an der Deportation der ungarischen  Juden zu nur 5 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, ist nunmehr auf freien Fuß gesetzt worden. (die tat, 13.2.1965)

Urteil gegen Krumey aufgehoben
Der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs  hat am Mittwoch die Urteile des Schwurgerichts Frankfurt gegen die früheren SS-Offiziere Krumey und Hunsche auf Antrag der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger aufgehoben. Das Frankfurter Gericht wird erneut die Hauptverhandlung eröffnen müssen.
(Frankfurter Rundschau, 23.3.1967)

Krumey zum zweiten Male vor Gericht
Über ein NS-Verbrechen wird seit Dienstag vor dem Frankfurter Schwurgericht zum dritten Male verhandelt. Angeklagt sind zwei Mitarbeiter Adolf Eichmanns, Hermann Krumey (63) und Otto Hunsche (56). Wieder geht es um die Deportation und Ermordung von mehr als 400000 ungarischen Juden.

Hermann Krumey, der Stellvertreter Eichmanns in Budapest, befindet sich nicht in Haft. Die Drogerie im Nordhessischen, die er sich nach dem Krieg aufbaute, wird von Frau und Tochter geführt. Er selbst ist Handelsvertreter für Arzneimittel.

Bis 1938 (da war er 33 Jahre alt) war dieser Mann nicht aus seinem kleinen Heimatort MährischSchönberg in der Tschechoslowakei herausgekommen. Heute ist sein Name zusammen mit dem Hunsches fast zum Inbegriff einer weltweiten Diskussion über die Frage geworden, wie ein auf Einzeltaten ausgerichtetes Strafrecht mit dem „Massenmord aus der Distanz des Schreibtisches" fertig werden soll.
(Die Welt, 12.6.1968)


Den Namen Auschwitz auf eine Karte gekratzt
Im Frankfurter Judenmordprozeß gegen die ehemaligen Eichmann-Mitarbeiter Otto Hunsche und Hermann Krumey hat ein Zeuge gestern die beiden Angeklagten belastet. Die Beschuldigten gehörten zu dem Sonderkommando Eichmanns, das im Frühjahr 1944 mit Hilfe der ungarischen Behörden innerhalb weniger Wochen über vierhunderttausend ungarische Juden in die Gaskammern von Auschwitz verschleppte. Sie bestreiten beide eine Beteiligung an diesem Massenmord.

Krumey vergleicht seine Arbeit in Ungarn mit der eines fünften Rades am Wagen. Nach Ausführungen des heute in Israel lebenden 68 Jahre alten Hofrats Philipp Freudinger, der damals in Budapest dem Judenrat angehörte, war der SS-Obersturmbannführer Krumey jedoch für die Juden„die höchste Instanz". Die ungarischen Juden erkannten damals noch nicht in Eichmann, der sich in der Öffentlichkeit kaum zeigte, den Hauptverantwortlichen für die Verschleppung. Es sei Krumey gewesen, der zusammen mit dem SS-Sturmbannführer Wisliceny die Juden belogen habe, sie kämen nur zum Arbeitseinsatz. Dabei soll Krumey dem Zeugen eines Tages selbst indirekt eingestanden haben, daß die Juden nach Auschwitz verschleppt würden.

Der Zeuge bezeichnete Krumey als den Mann,der vom Judenrat viereinhalb Millionen Pengö in Empfang genommen habe. Sie galten als erste   Rate zum Freikauf der ungarischen Juden. Insgesamt hätten nach dem Vorschlag Wislicenys, den Himmler jedoch nie akzeptiert habe, die ungarischen Juden für einen Betrag von zwei bis drei Millionen Dollar losgekauft werden können. Nachdem Krumey die erste Rate in Empfang genommen habe, habe sich das Sonderkommando Eichmanns nie mehr zu diesem Freikauf dem Judenrat gegenüber geäußert. Das Geld habe jedoch keinem Juden das Leben gerettet, denn „auf Grund dieser Zahlung erfolgte nichts". Er habe, sagte der Zeuge, auch Krumey vergeblich gebeten, für diese Summe wenigstens 600 Kinder, die wegen der Besetzung Ungarns durch die Deutschen im März 1944 nicht mehr wie geplant nach Palästina ausreisen konnten, jetzt doch noch ziehen zu lassen.

„Die ungarischen Behörden hielten auf Befehl der Deutschen die Fiktion aufrecht, die Juden würden nur ausgesiedelt und es passiere ihnen nichts." Als am 15. Mai jedoch mit der Deportierung der ersten dreihunderttausend Juden begonnen worden sei, habe Krumey immer noch behauptet, sie müßten in Deutschland nur arbeiten. Des Zeugen Frage, warum denn auch Greise und Kinder deportiert würden, habe Krumey mit der Lüge beantwortet, die Deutschen hätten gelernt, daß man Familien nicht zerreißen dürfe, wenn man „anständige Arbeit haben will". Sie würderi nach Waldsee in Thüringen gebracht. Als Krumey nach einigen Wochen unter den Juden einige hundert Karten von bereits verschleppten Familienmitgliedern verteilen ließ, entdeckte Freudinger auf einer Karte das eingekratzte Wort Auschwitz. Die Karten sollten angeblich aus Waldsee stammen.

„Ich sagte daraufhin zu Krumey: Sie sind doch in Auschwitz und er antwortete: Freudinger, ich kenne Sie doch als gescheiten Menschen, Sie müssen nicht alles bemerken.
(Frankfurter (Frankfurler Allgemeine Zeitung, 21.7.1969)

Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Sa, 14. Juli 2007, 17:36
Hunsche und Krumey durch EichmannProtokolle belastet
Als rührige Helfer des mit der „Endlösung der Judenfrage" beauftragten Adolf Eichmann erschienen die beiden Angeklagten in den am Dienstag vor dem Schwurgericht verlesenen Protokollen von der Vernehmung Eichmanns in Israel. Die Angeklagten sagten zu den sie belastenden Aussagen ihres ehemaligen Chefs, sie seien nur Befehlsempfänger gewesen und hätten nichts von dem Ausmaß der Judenvernichtung gewußt.

Als der Vorsitzende Krumey vorhielt, nach den verlesenen Dokumenten könne man ihn schon eher als einen „guten Manager der Macht" bezeichnen, sagte der Angeklagte: „Ich war eben ein Deutscher, ich habe vieles als Notwendigkeit angesehen, und ich war natürlich immergehorsam. Das hat man uns ja eingebleut - Befehlen immer zu gehorchen."
(Frankfurter Rundschau, 9. April 1969)


Lebenslanges Zuchthaus für Krumey
Nach über fünfzehnmonatiger Verhandlungsdauer hat das Frankfurter Schwurgericht am Freitag das Urteil gegen die ehemaligen Eichmann-Mitarbeiter Otto Hunsche aus Datteln in Westfalen und Hermann Krumey aus Korbach in Hessen gefällt. Der ehemalige SS-Hauptsturmführer und Regierungsrat aus dem Judenreferat Eichmanns, der 58 Jahre alte Rechtsanwalt Hunsche, wurde der Beihilfe zum Massenmord und der Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge für schuldig befunden und zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Bei dem 64 Jahre alten ehemaligen SS-Obersturmbannführer und heutigen Drogisten Krumey lautete der Schuldspruch auf Mittäterschaft bei Mord und der Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge. Krumey wurde zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Das Gericht stellte fest, daß Krumey in Budapest der Stellvertreter Eichmanns war und aus Rassenhaß mithalf, mindestens dreihunderttausend ungarische Juden nach Auschwitz in den Tod zu schicken.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.8.1969)


Revision verworfen
Den Revisionsantrag des Eichmann-Stellvertreters Krumey gegen das Urteil des Frankfurter Schwurgerichts hat der Bundesgerichtshof verworfen. Damit wird das Urteil, bei dem der ehemalige SSObersturmbannführer Krumey wegen Mittäterschaft zum Massenmord und Freiheitsberaubung im Amt mitTodesfolge zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, rechtskräftig. (AP) (Süddeutsche Zeitung, 22.2.1973)

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gegen Hermann Krumey wurde im April wegen lebensbedrohlichen Krankheitszustandes unterbrochen. Am 27. 11. 1981 ist Krumey verstorben. (Auskünfte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt/Main)

Quelle-Lidice (U.Naumann,1983)

Gruß
Josef
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: md11 am Mo, 16. Juli 2007, 17:18
Krumey Hermann
Veranlasste “Sonderbehandlung”für die Kinder von Lidice.

Heute:
Nach skandalösem Urteil in Frankfurt  a.Main wieder Inhaber einer mit staatlichen Krediten eingerichteten Drogerie in Korbach/Hessen.
Hermann Krumey brachte es bis zum SS-Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt. Unmittelbar nach dem Überfall der Hitlerfaschisten auf Polen, im November 1939, wurde ihm die Leitung der „Umwanderungszentrale, Zweigstelle Lodz", übertragen. Krumey organisierte die zwangsweise Aussiedlung und Vernichtung von 12000 jüdischen Menschen allein aus diesem Gebiet. Im Sommer 1942 veranlaßte er die Einweisung von 88 nach Lodz verschleppten Kindern aus Lidice in ein Konzentrationslager; hier wurden sie ermordet.

Im März 1944 beauftragte ihn Eichmann mit der Deportation aller in Ungarn lebenden Juden. In enger Zusammenarbeit mit dem juristischen Berater Eichmanns im Amt IV des RSHA, Otto Hunsche, organisierte Krumey den Transport von 400000 Männern, Frauen und Kindern in die Vernichtungslager. In Auschwitz wurden innerhalb weniger Monate 300 000 dieser unglücklichen Menschen ermordet.

Krumey war der Initiator des Tauschgeschäftes „Blut gegen Ware"; er bot dem Mittelsmann Joel Brand das Leben von einer Million Juden gegen die Lieferung von 10 000 Lastwagen aus dem Ausland an. Krumey drängte auf die Beschleunigung der Verhandlungen mit dem Argument: „Jeder Tag kostet 12000 Menschenleben!"
Diese und andere Tatsachen waren dem Frankfurter Schwurgericht bekannt, als es im Februar 1965 nach neunmonatiger Verhandlung das Urteil verkündete. Krumey wurde zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die sich mit der bis dahin abgesessenen Untersuchungshaft von vier Jahren, neun Monaten fast deckte und demzufolge einem Freispruch gleichkam.

Als Krumey festgenommen wurde, lebte er nicht nur als biederer Geschäftsmann, sondern gehörte auch als Abgeordneter der BHE dem Kreistag in Korbach an.

Quelle-Kriegs-und Naziverbrecher in der Bundesrepublik u.in Westberlin (Berlin 1968)

Gruß
Josef
Titel: Re: Harald Wiesmann im Verhör 1947
Beitrag von: md11 am Mo, 16. Juli 2007, 17:23
Aus den Prozeßakten zur Verfügung gestellt von der Regierungskommission zur Erforschung von Nazi-Verbrechen in der CSSR; übersetzt vom Tschechoslowakischen Verband der Antifaschistischen Kämpfer.
Harald Wiesmann-geboren am 22. 4. 1909. Vor 1945 SS-Haupsturmführer und Kriminalrat Gestapo-Chef von Karlsbad und Kladno. Nach einem Prozeß in Prag 1947 zum Tode verurteilt und im Staatsgefängnis 1947 gehenkt.

Wiesmann:
Ich habe erst am 9. Juni 1942 zum ersten Mal etwas über Lidice zu Ohren bekommen, und zwar aus einem Telephongespräch mit dem Kommandanten der Sicherheitspolizei für Böhmen und Mähren in Prag, Böhme. Er telephonierte mir, daß er mit Dr. Geschke, dem Kommandanten der staatlichen Polizeiamtsstelle in Prag, nach Kladno kommen werde, daß man in unserem Kreis eine Aktion durchführen werde, aber daß er telephonisch keine näheren Angaben durchgeben könne. Das war gegen Mittag. Gegen 15 Uhr kam er dann tatsächlich nach Kladno, und zwar in Begleitung von Dr. Geschke und irgendeines Adjutanten oder Beamten.

Der Vorsitzende:

Als er telephonierte, sagte er Ihnen nicht, von wo er telephoniere? Wiesmann:
Er sagte, er käme von Frank, aber ich kann nicht sagen, ob er von Frank oder von seinem eigenen Büro telephonierte. In Kladno sagte er mir, daß Lidice auf Befehl Franks vernichtet werden müsse, weil Fallschirmspringer in diesem Dorf übernachtet hätten und ihnen die Bewohner Unterstützung haben zuteil kommen lassen. Ob dies dieselben Worte sind, die Böhme tatsächlich benützt hatte, kann ich nicht genau sagen, aber sinngemäß lauteten sie so. Dann erhielt ich den Befehl, Vorbereitungen für diese Aktion zu treffen. Ich selbst war über einen solchen Befehl und diese Maßnahmen sehr erstaunt, da ich niemals erwartet hätte, daß nur diese zufälligen Spuren, die bei uns in Kladno gemeldet wurden, unbedingt richtig seien. Mir war bekannt, daß sich hier ständig Agenten der Amtsstellen der Sicherheitspolizei herumtrieben, die man als Agenten-Provokateure bezeichnen kann, so daß sicher ist, daß diese Agenten die Aussagen der Verhafteten oder anderer Agenten überprüften. Laut Befehl benachrichtigte ich die Schutzpolizei, damit sie die Aktion unterstütze, und Böhme trat noch mit dem Bevollmächtigten des Befehlshabers der Wehrmacht in Verbindung, um von ihm auch Militäreinheiten zur Umzingelung zu bekommen, was ohne Empfehlung des Bevollmächtigten der Wehrmacht nicht möglich war. Diese Militäreinheiten kamen dann aus Slany, es waren etwa zwei Rotten, die die Einkreisung durchführten. Bei uns war ein Lastkraftwagen vorbereitet, mit Treibstoff beladen, und zwar mit 400 I Benzin und 120 I Petroleum.

Dann wurden Belege von irgendeiner landwirtschaftlichen Amtsstelle beschafft, aus denen hervorging, wieviel Vieh und Getreide es in Lidice überhaupt gab. Der Leiter der landwirtschaftlichen Amtsstelle wurde verständigt, an dieser Aktion teilzunehmen, um nämlich das Vieh und die übrigen Bodenerzeugnisse aus der Gemeinde Lidice zu übernehmen. Dann wurde die Protektoratsgendarmerie benachrichtigt, und zwar Oberstleutnant Vit von der Abteilung Kladno, der informiert wurde, daß in Lidice eine gewisse Aktion durchgeführt werden wird. Was in Lidice geschehen sollte, wurde Vit vorerst nicht gesagt, sondern erst später. Böhme telephonierte an diesem Nachmittag nochmals mit Prag, unter anderem auch mit der Amtsstelle Franks. Mit wem er dort sprach, weiß ich nicht. Er telephonierte auch mit der Schutzpolizei und mit der Wehrmacht. An diesem Nachmittag wurde eine große Anzahl von Telephongesprächen geführt, aber an ein Gespräch erinnere ich mich noch ganz gut, weil Böhme ungeduldig wurde, da die Verbindung zu lange dauerte. Das war das Telephongespräch mit dem damaligen Gruppenführer Frank persönlich. Dieses Gespräch wurde etwa zwischen 17 und 18 Uhr geführt, aber es kann sein, daß es etwas später war. Jetzt kann ich mich an die genaue Zeit nicht erinnern. Das Zustandekommen dieses Gespräches dauerte etwa 10 bis 15 Minuten, und Böhme war nach 10 bis 15 Minuten sehr ungeduldig und befahl, die Verbindungsdienststelle anzurufen. Es handelte sich um die Verbindungszentrale beim Oberlandrat. Böhme schrie, daß er die Fernsprechbeamtin einsperren lasse, falls die Verbindung nicht sofort zustande käme. Es sei ihm egal, ob jemand anderer telephoniere, wenn er ein Blitzgespräch mit Frank angemeldet hatte. Dann kam diese Verbindung tatsächlich zustande, ohne Rücksicht auf andere Gespräche. Etwa nach 20 Minuten sprach also Böhme tatsächlich mit Frank. Ich weiß bestimmt, daß er mit Frank sprach, weil meine Vermittlungsstelle mir sagte, daß das
Gespräch mit Frank endlich da sei. Ich selbst war während dieses ganzen Gesprächs abwesend, ich kam gegen Ende des Gesprächs ins Büro,um Böhme irgendetwas zu melden.Als ich eintrat,gab mir Böhme zu verstehen,still zu sein,da er abhöre.Dann hörte ich seine Worte:“Jawohl,Gruppenführer,es wird alles so ausgeführt, wie besprochen". Nach diesem Gespräch machte ich Böhme meine Meldung, und dann führte ich weitere Weisungen durch, an die ich mich nicht mehr erinnere. Etwa gegen 19 oder 20 Uhr kamen Offiziere der Schutzpolizei und der Wehrmacht, um von Böhme Befehle entgegenzunehmen, was sie eigentlich ausführen sollten. Gleichzeitig wurde der SD-Kommandant benachrichtigt, daß Böhme auf Befehl des Gruppenführers Frank, der auf Befehl des Führers handle, das Dorf Lidice vernichten solle. Die Schutzpolizei und die Wehrmacht hätten laut Befehl zu helfen und alle Befehle Böhmes auszuführen.

Der Vorsitzende:
Wurde gesagt, was mit der Bevölkerung geschehen solle?

Wiesmann:
Die Bevölkerung sollte erschossen und das Dorf dem Erdboden gleichgemacht werden. Ich habe noch vergessen zu sagen, daß vor dem Gespräch, das Böhme mit Frank führte, es noch zu einem kleinen Konflikt zwischen mir und Böhme kam, weil ich selbst von der absoluten Notwendigkeit dieser Maßnahme nicht überzeugt war. Böhme sagte nämlich, daß die Einwohner erschossen würden. Darauf fragte ich: „Auch Frauen und Kinder?" Da fuhr Böhme auf und sagte mir: „Sie stellen Fragen wie irgendein Anfänger." Dann kam es zu jenem Telephongespräch. Bei der Beratung mit der Sicherheitspolizei und der Wehrmacht sagte Böhme, daß männliche Personen zwischen 16 und 60 Jahren erschossen und die Frauen in ein Konzentrationslager transportiert werden sollen. Was mit den Kindern geschehen soll, wurde bei dieser Gelegenheit nicht gesagt.

Der Vorsitzende:
Ihr habt auch ältere Leute erschossen, wie zum Beispiel den Pfarrer, der älter als 60 Jahre war, und einen Rentner, der im Jahre 1852 geboren wurde?

Wiesmann:
Das ist möglich, weil Böhme auf Grund des Bewohnerverzeichnisses von Lidice diejenigen Personen suchte, die nicht erschossen werden sollten, und zwar wurden sie, sofern ich mich erinnere, von einem Beamten meiner Kanzlei verlesen.

Der Vorsitzende:
Aber es wurden doch alle erschossen! Wieso? Wiesmann:
Das gebe ich zu, aber Böhme ging wohl über diesen Befehl hinaus. Ob ihm diese Sechzigjährigen vorgeschrieben wurden, weiß ich nicht, er selbst suchte diejenigen Personen aus, die nicht erschossen werden sollten.

Titel: Re: Harald Wiesmann im Verhör 1947
Beitrag von: md11 am Mo, 16. Juli 2007, 17:29
Der Vorsitzende:
Und wer war das? Es wurden doch alle Personen männlichen Geschlechtes erschossen, außerdem auch ein 14jähriger Junge.

Wiesmann:
Ich weiß nicht, daß dort auch ein 14jähriger erschossen wurde. Ich selbst hatte mit der Schießerei nichts zu tun.

Der Vorsitzende:
Wer führte die Hinrichtung durch?

Wiesmann:
Die Schutzpolizei. Die Gestapo nahm am Schießen nicht teil. Böhme gab den Befehl dem Polizeikommandanten, irgendeinem Leutnant oder Unterleutnant. Im Hinrichtungskommando befanden sich vorerst 20, später mehr Leute. Ich weiß nicht, was befohlen wurde, wohin sie schießen sollen, weil ich nicht dabei war.

Der Vorsitzende:
Zu wievielen wurden sie erschossen?

Wiesmann:
Auf Befehl Böhmes führte die Polizei die Hinrichtungen zu fünf Personen durch, aber dann dauerte es Böhme zu lange, so daß er das Kommando erweiterte und je zehn Personen erschießen ließ.

Der Vorsitzende:
Wo waren diese Leute versammelt?

Wiesmann:
Auf dem Hof.

Der Vorsitzende:
 Waren sie nicht in Horäks Keller?

Wiesmann:
Kann sein. Sie waren dort oder auf dem Hof.

Der Vorsitzende:
Was taten Sie in der Zwischenzeit?

Wiesmann:
Ich mußte wohl bei den ersten beiden Hinrichtungen gewesen sein, weil ich Böhme etwas zu melden hatte, dann befaßte ich mich mit weiteren Aufgaben, und zwar mit der Räumung des Dorfes.

Der Vorsitzende:
Wie war das mit Frank?

Wiesmann:
Ich beschäftigte mich mit der Räumung der Mühle, wo es eine große Menge Getreide gab, dessen Verladung ich überwachen mußte, als Frank gerade anreiste, was mir ein Beamter so meldete, daß Frank Lidice besichtigen wolle. Ich muß noch hinzufügen, daß gleich zu Beginn der Hinrichtungen von Böhme verordnet wurde, den südlichen Teil des Dorfes in Brand zu legen. Im Laufe der Erschießungen und im Beisein Franks brannte in Lidice der gesamte südliche Teil des Dorfes.

Der Vorsitzende:
Kannten Sie Frank persönlich?

Wiesmann:
Ja.

Der Vorsitzende:
Was gab's, als Frank ankam?

Wiesmann:
Er kam in seinem Wagen mit Gefolge. In seinem Wagen waren drei oder vier Herren, außer dem Begleitkommando der Schutzpolizei. Dann besichtigte er das Dorf, und bei dieser Besichtigung meldete ich mich, d. h. ich machte einen Höflichkeitsgruß. Böhme sagte ihm, wer ich sei, und ich blieb dann in seinem Gefolge, mit dem ich weiterging. Dann besichtigte er auch die Hinrichtungsstelle - bei der Besichtigung von Lidice - und sah sich auch die Leichen an. Mir wurde gesagt, daß in Lidice photographiert wurde. Dazu möchte ich bemerken, daß Böhme das Photographieren untersagt und mir befohlen hatte, Personen, die Photoapparate haben, ob Soldaten oder Beamte, die Filme abzunehmen und diese zu vernichten. Dies habe ich auch getan, ich habe nur den Befehl ausgeführt. Frank blieb in Lidice nur kurze Zeit, etwa eine halbe Stunde, dann verließ er Lidice.

Der Vorsitzende:
Haben Sie mit Frank gesprochen?

Wiesmann:
Ich habe mich nur gemeldet, ansonsten habe ich nicht mit ihm gesprochen.
Am 11. Juni 1942 kam Frank wiederum mittags mit einem großen Stab nach Lidice, im Stab gab es Repräsentanten der Wehrmacht und des Arbeitsdienstes. Der Arbeitsdienst sollte nämlich das ganze Gebiet dem Erdboden gleichmachen, und die Wehrmacht sollte die Sprengungen vornehmen. An diesem Tage dauerte Franks Aufenthalt etwa eineinhalb oder zwei Stunden. Frank sagte damals unter anderem, er wünsche, daß spätestens binnen sechs Monaten es hier nur Feld gäbe und auf ihm Getreide wachse.

Quelle-Lidice (U.Naumann) 1983
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: Hubert am Fr, 29. Mai 2009, 08:13
Hallo Forum

Habe bei einer Rundreise in Tschechien auch die Gedenkstätte in Lidice besucht.Ich habe ein paar Fotos gemacht insbesondere von der Bronzeplastik für die 82 vergasten Kinder aus Lidice.Die Plastik wurde von Marie Uchytilova begonnen und nach ihrem Tod von Jiri Hampel beendet.
  
  Alles andere wurde ja schon niedergeschrieben von den unermüdlichen Schreibern des Forums,anbei meine Fotos.


Grüße Hubert
Titel: Re: Gedenkstätte Lidice
Beitrag von: Hubert am Fr, 29. Mai 2009, 08:15
Nachtrag Bilder
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