Autor Thema: Unternehmen Silberlanze  (Gelesen 1193 mal)

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Unternehmen Silberlanze
« am: Mo, 01. Januar 2007, 01:25 »
Der General, Chef der amerikanischen Militärberater in dem vom Bürgerkrieg zerfetzten Land, sah keinen an
deren Ausweg mehr: Von allen Seiten drangen die roten Partisanen vor, besetzten ein Dorf nach dem anderen, trieben die Regierungstruppen vor sich her.


Da lief im Hauptquartier des Generals die Meldung ein, die Partisanen hätten den US-Botschafter aus der Hauptstadt entführt. Der General traf eine Entscheidung. Er ließ zum Verteidigungsministerium in Washington das verabredete Codewort funken.


Und dann kamen sie: Am Horizont des türkisfarbenen Meeres machte der Feldstecher des Generals die Invasions Armada aus: 60 Schiffe, darunter drei Flugzeugträger, 520 Flugzeuge und Hubschrauber, 3200 Motorfahrzeuge, 66 Panzer, 96 Geschütze, 20 000 Matrosen und 25 000 „Ledernacken", Soldaten von Amerikas gefürchteter Marine-Infanterie.


Amerikas martialischer Aufmarsch in der ersten Märzwoche, das größte Lande
Unternehmen der USA seit dem Zweiten Weltkrieg, galt freilich nicht dem Bürgerkrieg in Südvietnam.


„Unternehmen Silberlanze" (so der Tarnname der Operation) spielte nicht an der Küste Südvietnams, sondern an der Küste Südkaliforniens, unweit des
Truppenübungsplatzes der US-MarineInfanterie bei Camp Pendleton.


Dennoch stand das seit Monaten vorbereitete Kriegsspiel mit dem VietnamKrieg in ursächlichem Zusammenhang. Ein Teil der 60 000 Übungs-Soldaten wurde in letzter Minute von dem Unternehmen befreit, um jederzeit im Eilflug nach Südvietnam verlegt werden zu können.


Mehr noch: Einen Tag nach der Übung in Südkalifornien sprangen amerikanische Froschmänner an der Nordküste Südvietnams an Land und zogen 3500 Ledernacken unter dem Befehl des Brigadegenerals Frederick J. Karch nach. Ihr Auftrag: Schutz des US-Stützpunkts Da Nang vor Partisanen.


Mit beiden Lande-Unternehmen demonstrierte Amerikas Staatschef Lyndon B. Johnson, daß seine Politik im Vietnam-Krieg eine entscheidende Wendung genommen hat: Zum erstenmal deutet Washington die Möglichkeit an, notfalls auch mit Bodenstreitkräften in den Dschungelkrieg einzugreifen.


Jahrelang galt in Washington die Doktrin, Amerika müsse unter allen Umständen den Einsatz von US-Bodentruppen in Vietnam vermeiden. Das Franzosen-Beispiel von Dien-Bien-Phu und die Lehren des Korea-Krieges schreckten ab.


Washington legte sich die These zurecht, die USA führten in Südvietnam keinen Krieg, sondern hülfen nur der legalen Regierung in Saigon, einen Aufstand kommunistischer Rebellen niederzuschlagen. Folgerichtig hießen die 23 000 US-Soldaten in Südvietnam Berater, der Feldzug wurde Bürgerkrieg genannt.


Diese Doktrin war so lange glaubwürdig, als Südvietnams Regierungstruppen die Oberhand über die Rebellen behielten. Je stärker sich aber das Kriegsglück auf die Seite der roten Partisanen neigte und je mehr die USA ihre Vietnam-Hilfe erhöhten, desto größer wurde die Gefahr, daß Amerikas Weltmacht-Prestige an ein paar Tausend siegreicher KP-Partisanen zerschellen könnte.


Anfang dieses Jahres beschlossen Washingtons Polit-Strategen, die amerikanische Militärmacht nun so geballt einzusetzen,dass Nordvietnam und  mit ihm verbündeten Partisanen im Süden das Spiel aufgeben müßten.
Während die US-Diplomaten darangingen, Amerikas neue These - der Konflikt in Südvietnam sei kein Bürgerkrieg, sondern eine von außen, nämlich von Nordvietnam, vorgetragene Invasion - durch ein Weißbuch zu erhärten, arbeiteten die -Militärs ein Programm begrenzter Eskalation mit drei Stufen aus:


- Erste Stufe: Amerikanische Bomber zerstören die in Nordvietnam gelegenen Versorgungslager und Ausbildungsanlagen der südvietnamesischen Partisanen.


- Zweite Stufe: US-Bomber zerschlagen Kohlengruben, Stahlwerke und vor allem Kraftstromanlagen, die 'Nordvietnams Industrie versorgen.


- Dritte Stufe: Die US-Luftwaffe bombardiert die Nordvietnam-Metropole Hanoi und das dichtbevölkerte Mündungsgsebiet des Roten Flusses.


Einflußreiche Politiker und Publizisten wandten jedoch ein, Johnsons kontrollierte Eskalation berge die Gefahr in sich, daß ein derart hinaufgeschraubter Krieg außer Kontrolle gerate - Rotchina und Sowjetrußland würden die US-Angriffe auf Nordvietnam nicht tatenlos hinnehmen.


Als der Präsident Anfang März die ersten schweren Bombenangriffe gegen Nordvietnam befahl, versuchte er zugleich seine Kritiker zu überzeugen. Er lud Senatoren und Parteiführer ins Weiße Haus und erläuterte ihnen, warum er glaubt, Amerika brauche nicht eine Intervention Pekings und Moskaus zu befürchten. Grund: Die beiden kommunistischen Großmächte wollen zur Zeit einen Zusammenprall  mit Amerika vereiden.
Johnson legte seinen Besuchern zwei Meldungen des amerikanischen Geheimdienstes vor:


- Die Sowjet-Union zögert zur Zeit, die von Sowjetpremier Kossygin Ende Februar den Nordvietnamesen versprochenen Flakraketen des Typs SAM zu liefern. Moskaus Kompromißvorschlag: Einladung zu einer sechsmonatigen Ausbildung an SAMRaketen in der Sowjet-Union.


- Rotchina hat seine Düsenjäger-Piloten aus Nordvietnam zurückgezogen, die Beobachtungsflüge entlang der vietnamesisch - chinesischen Grenze und im Raum der Insel Hainan eingestellt.


Dann nahm sich Johnson, der virtuose Künstler politischer Menschenbehandlung, den demokratischen Senator aus Idaho, Frank Church, vor, der sich in einer Rede als scharfer Gegner der Eskalationspolitik bekannt hatte.


Johnson erinnerte den Senator: „Als Sie mal in Ihrem Heimatstaat politischen Ärger hatten, da kam ich raus und half Ihnen - das war doch so, nicht wahr?"


Church: „Aber ich sage doch kaum etwas anderes, als was Walter Lippmann schreibt."


Da lächelte der Präsident: „Walter Lippmann ist ein kluger Mann. Ich bewundere ihn. Wenn Sie mal wieder 1n Idaho in Schwierigkeiten sind, dann rufen Sie doch Lippmann zu Hilfe."


Frank Church und die anderen Gäste Lyndon B. Johnsons verließen tief beeindruckt das Weiße Haus. Denn der Präsident hatte vorsichtig angedeutet, er werde notfalls auch amerikanische Bodendtruppen nach Südvietnam entsenden. falls_Nordvietnam sich nicht zu bedingungslosen Friedensverhmdlungun entschließe.


Tatsächlich liegen im Pentagon bereits Pläne, die ähnliche Aktionen vursehen. wie sie im .,Unternehmen Silberlanze" schon durchexerziert wurden: Im Falle stärkerer Angriffe gegen den USStützpunkt Da Nang, soll eine kriegsstarke US-Division den 3500 Ledernacken des Brigadegenerals Karch folgen und sollen notfalls sogar weitere Truppen das gesamte Gebiet zwischen Da Nang und der laotischen Grenze besetzen.
Bericht vom 17.03.1965/Der Spiegel


Gruß
Josef


 


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