Autor Thema: Der sinnlose Untergang Neumarkts  (Gelesen 129 mal)

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Offline Hubert

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Der sinnlose Untergang Neumarkts
« am: Di, 14. April 2015, 14:43 »
Eine Serie in der MZ vom 11.04.2015

Grüße Hubert


Der sinnlose Untergang Neumarkts

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vor 70 Jahren erreichte die Zerstörung ihren Höhepunkt. Sie hätte verhindert werden können.

Neumarkt. Der 23. April 1945 ist ein Montag. Es ist der Tag, an dem Hermann Göring, der Stellvertreter Adolf Hitlers, aus dem von den Russen umzingelten Berlin Richtung Alpen türmt. In Neumarkt geht an diesem Tag der Zweite Weltkrieg zu Ende. Die Stadt liegt in Trümmern. Ein sieben Tage dauernder Kampf der Alliierten gegen die Nazis liegt hinter ihr – ein unnötiger Kampf. In der Bahnhofstraße liefern sich immer noch letzte Uneinsichtige Scharmützel mit den Amerikanern. Doch diese haben die Stadt längst im Griff.

Zu diesem Zeitpunkt war den Einwohnern Neumarkts die unausweichliche Niederlage schon lange bewusst. Bereits am 3. April 1945 hatte die NSDAP-Ortsgruppe die Einwohner Neumarkts mit Flugblättern dazu aufgefordert, ihr Notgepäck für eine bevorstehende Evakuierung zu schnüren und die Stadt zu verlassen. Das Flugblatt sollte demonstrieren, dass die Partei Herr der Lage ist, doch die Neumarkter reagierten beunruhigt. Sie rechneten aufgrund der Maßnahme mit Toten und Verletzten, gerieten in Panik.

Neumarkt unter Beschuss
Wie die ganze Altstadt wurde auch die Glasergasse schwer getroffen.

Wenige Tage später, am 11. April 1945, zerstörte ein Bombenangriff der Amerikaner Teile der Altstadt. Die Erschütterungen waren so stark, dass sie die Glocken der St. Johanneskirche zum Läuten brachten. Am Ende des Tages waren mehrere Gebäude schwer beschädigt und etwa 100 Menschen tot. Viele flüchteten. In den Tagen zuvor hatten amerikanische Aufklärungsflugzeuge ihre Runden über Neumarkt gedreht: Das waren die Vorboten der Katastrophe.

Doch das war nicht der erste Angriff der Alliierten auf Neumarkt. Die Oberpfalz war zwar eigentlich kein militärisches Ziel, sondern ein Durchmarschgebiet in Richtung der angeblichen „Alpenfestung“ der deutschen Wehrmacht. Neumarkt und Regensburg litten aber trotzdem als zwei der wenigen Städte der Region schon vor Kriegsende unter Bombardierungen. Die erste traf Neumarkt am 23. Februar 1945. Der 22-minütige Angriff machte den Bahnhofskomplex dem Erdboden gleich und forderte allein im Bahnhofsbunker 100 Tote. Das Fazit der Amerikaner in ihrem Rechenschaftsbericht des Bomberkommandos: „Very good results.“

Verheerende Sturheit der Nazis
Die Angriffe zerstörten die historische Bausubstanz zu großen Teilen.

Nicht nur wegen der ungewöhnlich starken Bombardierung wurde Neumarkt gegen Kriegsende zum Sonderfall. Auch der Widerstand der Neumarkter war außerordentlich „entschieden“ und „organisiert“, wie die 3. US-Armee in ihrem After-Action-Report resümiert. Am 19. April unterbreiteten die Amerikaner der Stadt per Flugblatt ihr letztes Kapitulationsangebot: „Entweder Kapitulation oder totale Zerstörung.“ Doch auch dieses lehnten die Nazis trotz der immer aussichtsloseren Lage ab. Damit besiegelten sie den Untergang Neumarkts.

Besonders hartnäckig war eine Gruppe ungarischer SS-Männer, die zusammen mit deutschen Soldaten bis zuletzt unsinnigen Widerstand leisteten. Nach Schätzungen der Amerikaner bestand die fanatisch kämpfende Truppe aus etwa 300 bis 400 Männern. Den an Zahl und Ausstattung überlegenen Amerikanern hatten diese Verteidiger Neumarkts jedoch nur wenig entgegenzusetzen. So kam es, dass die Amerikaner die Stadt durch Bombardierungen und schweren Artilleriebeschuss Stück für Stück zerstörten und nach und nach einnahmen. Nach siebentägigem Dauerbeschuss hatten die Alliierten Neumarkt am 23. April schließlich ganz in ihrer Hand. Es war endlich vorbei.

Am Ende der Tragödie stand eine vollkommen zerstörte Stadt, die zum Grab Hunderter geworden war. Ihre Leichen lagen zum Teil noch immer zwischen den Trümmern. Den heimkehrenden Neumarktern bot sich ein Bild des Grauens. Dass die Verteidiger der Stadt bis zuletzt nicht zur Vernunft gekommen waren, machte die Situation für die Neumarkter nur noch schlimmer. Wütend über die erlittenen Verluste gaben sich die Amerikaner den Einwohnern gegenüber ungewöhnlich geizig. Doch sie verzichteten nicht nur darauf, Schokolade zu verteilen: Am 23. April gaben die Amerikaner die Stadt zur Plünderung frei und versetzten ihr damit den Todesstoß. Nicht nur ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter raubten den Neumarktern daraufhin ihre Existenz, sondern auch Einwohner und Bauern aus der Umgebung.
Der Untere Markt war eines der Ziele der Bombardierung am 11. April.

Jetzt standen die Heimkehrer endgültig vor dem Nichts. Wohnraum, Industrie, historische Bausubstanz, kulturelle Schätze: alles vernichtet. Von 573 Anwesen innerhalb der Stadtmauern waren nur 52 verschont geblieben. Auch die Nahrungsmittelversorgung war zusammengebrochen. Übrig blieben Ruinen, durchlöcherte Fassaden und tonnenweise Trümmer. Letztere nutzten die Amerikaner neben den üblichen Sanktionen für eine pädagogische Maßnahme: Sie ließen ausschließlich aktive NSDAP-Mitglieder 200 000 Kubikmeter Schutt beseitigen. Schließlich waren sie es, die letztendlich für die Zerstörung Neumarkts verantwortlich waren.

Adolf Hitler hatte den Deutschen einmal versprochen, dass sie ihre Städte nicht wiedererkennen werden können. Diese Prophezeiung hat sich für die Neumarkter auf makabre Weise erfüllt.


« Letzte Änderung: Di, 14. April 2015, 15:37 von Hubert »
MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"

 


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