Die Nürnberger Prozesse 1945-1949

Begonnen von md11, So, 22. Oktober 2006, 08:33

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Nach dieser Zeugenvernehmung folgten Beweisdokumente für Kriegsverbrechen gegen Kriegsgefangene und Zivilisten. Darunter befindet sich ein amtlicher Bericht des französischen Generals Bridoux über das Massaker von Oradour-sur-Glane. Charles Dubost verlaß ihn im Gerichtssaal: "Am Samstag, den 10. Juni (1944) , brach eine Abteilung SS, die wahrscheinlich der in der Gegend anwesenden Division "Das Reich" angehörte, in den vorher gänzlich umstellten Ort ein und befahl der Bevölkerung, sich auf dem Marktplatz zu versammeln. Die Männer wurden aufgefordert, sich in vier oder fünf Gruppen aufzustellen, von denen alsdann jede in eine Scheune eingesperrt wurde. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche geführt und dort eingeschlossen. Bald darauf krachten MG-Salven, und das ganze Dorf sowie die umliegenden Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt. Die Häuser wurden eines nach dem anderen angezündet. Während dieser Zeit lebten die Frauen und Kinder, welche den Lärm der Feuersbrunst und der MG-Salven hörten, in höchster Angst. Um 17.00 Uhr drangen deutsche Soldaten in die Kirche ein und stellten auf der Kommunionbank ein Erstickungsgerät auf, das aus einer Art Kiste bestand, aus der brennende Zündschnüre hervorragten. In kurzer Zeit wurde die Luft nicht mehr atembar; jemandem gelang es jedoch, die Sakristeitür aufzureißen, wodurch es möglich wurde, die von der Erstickung betroffenen Frauen und Kinder wieder zu beleben. Die deutschen Soldaten begannen dann durch die Kirchenfenster zu schießen, sie drangen in die Kirche ein, um die letzten Überlebenden durch Maschinenpistolenschüsse zu erledigen, und schütteten einen leicht entzündbaren Stoff auf den Boden. Eine einzige Frau konnte sich retten. Sie war an einem Kirchenfenster emporgeklettert, um zu fliehen, als die Rufe einer Mutter, die dieser Frau ihr Kind anvertrauen wollte, die Aufmerksamkeit eines Postens auf sie lenkte. Er gab Feuer und verletzte sie schwer. Sie konnte ihr Leben nur dadurch retten, daß sie sich totstellte. Gegen 18.00 Uhr hielten die deutschen Soldaten die in der Nähe vorbeifahrende Lokalbahn an und ließen die nach Oradour fahrenden Reisenden aussteigen. Sie streckten sie durch Maschinenpistolen nieder und warfen die Leichen in die Feuersbrunst." Als nach dem Massaker wieder Menschen den eingeäscherten Ort betraten, bot sich ihnen ein grauenvolles Bild: " In der teilweise eingestürzten Kirche befanden sich noch verkohlte, von Kinderleichen stammende menschliche Überreste. Gebeine waren mit der Asche des Holzgetäfels vermengt. Ein Zeuge konnte am Eingang der Kirche den Leichnam einer Mutter sehen, die ihr Kind in den Armen hielt, sowie vor dem Altar die Leiche eines knienden Kindeleins und bei dem Beichtstuhl die zweier Kinder, die sich noch umschlungen hielten." Dieser Bericht stammte keineswegs von der französischen Regierung des ersten Nachkriegsjahres. Er wurde vielmehr von Bridoux im Auftrag der Vichy-Regierung abgefaßt und dem deutschen Oberbefehlshaber West übergeben. (20) Oradour war nur eine Begebenheit unter vielen hundert. Tagelang wurden im Nürnberger Gerichtssaal die Namen von Städten und Dörfern aufgezählt, die das gleiche und oft ein noch schlimmers Schicksal hatten. Stunde um Stunde der Verhandlung war angefüllt mit den Zeugnissen vom Leid von tausend, zehntausend, hunderttausend namenlosen Menschen. Die Franzosen beendeten ihren Klagevortrag mit Beweisen hinsichtlich der "Germanisierung.der besetzten Gebiete" (Elsaß und Lothringen) und bezüglich der "Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen".

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#41
Nach den Franzosen hielt als letzter der vier Anklagevertreter am 8.2.1946 Roman Rudenko, Hauptankläger für die Sowjetunion, seine Eröffnungsrede. Der Gerichtssaal war zum erstenmal seit Wochen wieder voll besetzt. Die Pressevertreter waren vollzählig anwesend. Rudenko schilderte noch einmal die Eroberung der Tschechoslowakei, Polens, Jugoslawiens und der Sowjetunion. Für große Aufregung sorgte der sowjetische Hauptankläger als er Generalfeldmarschall Friedrich Paulus in den Zeugenstand rief. Paulus hatte im September 1940 den Auftrag erhalten, den Operationsplan für den Angriff auf die Sowjetunion durch eine deutsche Armee von etwa 130 bis 140 Divisionen auszuarbeiten, mit dem Ziel, die in Westrußland befindlichen Teile der sowjetischen Streitkräfte zu vernichten und eine Linie zu erreichen, die von Archangelsk entlang der Wolga bis zum Kaspischen Meer verlief. Paulus arbeitete einen derartigen Plan aus und übernahm in der Folge noch zahlreiche weitere ähnliche Aufgaben. Über diese Tätigkeiten sollte er in Nürnberg aussagen. Sensationell war sein Erscheinen im Zeugenstand aber vor allem aus folgendem Grund: Ende 1941 hatte Paulus den Oberbefehl über die Sechste Armee erhalten, die zu dieser Zeit gerade in Südrußland kämpfte. Es kam zur berühmten Schlacht von Stalingrad, in deren Verlauf die Sechste Armee eingekesselt wurde. Hitler befahl Paulus, bis zum letzten Mann auszuhalten, und beförderte ihn zum Generalfeldmarschall. Aber zur tiefsten Empörung von Hitler ergab sich Paulus schließlich mit den Überresten seiner Truppe den sowjetischen Streitkräften. In der Gefangenschaft bildete Paulus' Untergebener General Walther von Seydlitz-Kurzbach eine Gruppe, die sich "Nationalkomitee Freies Deutschland" nannte, und die aus emigrierten deutschen Kommunisten sowie aus einer großen Zahl deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion bestand. Paulus selbst schwor öffentlich dem Hitler-Regime ab. Die angeklagten Militärs sahen der Aussage von Paulus neugierig, angespannt und feindselig entgegen. Paulus selbst gab nichts sensationell neues von sich. Aus Aldermanns Dokumenten und Erklärungen war bereits unstrittig hervorgegangen, daß der deutsche Überfall auf die Sowjetunion vorsätzlich erfolgt war, und keinesfalls als Verteidigungsreaktion auf sowjetische Initiativen. Paulus Zeugenaussage lieferte nun das "Fleisch zu den dokumentarischen Knochen" (21). Nachfolgend ein kurzer Auszug aus Rudenkos Verhör von Paulus:Rudenko: "Unter welchen Umständen wurde der bewaffnete Überfall auf die UdSSR durchgeführt?" Paulus: " Der Angriff auf die Sowjetunion erfolgte, wie ich ausgeführt habe, nach einem von langer Hand vorbereiteten und sorgsam getarnten Plan. Ein großes Täuschungsunternehmen, das von Norwegen und von der französischen Küste organisiert wurde, sollte die Absicht einer Landung in England im Juni 1941 vortäuschen und die Aufmerksamkeit vom Osten ablenken." Rudenko: "Wie würden Sie die Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem Überfall auf die Sowjetunion verfolgte?" Paulus: "Die Zielsetzung Wolga-Archangelsk, die weit über die deutsche Kraft ging, charakterisiert an sich schon die Maßlosigkeit der Eroberungspolitik Hitlers und der nationalsozialistischen Staatsführung. Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele die Zerschlagung der Streitkräfte der Sowjetunion bedeutet. Wie sehr es Hitler auf die Gewinnung wirtschaftlicher Ziele in diesem Krieg ankam, dafür kann ich ein Beispiel anführen, das ich persönlich erlebt habe. Am 1. Juni 1942, gelegentlich einer Oberbefehlshaber-Besprechung im Bereich der Heeresgruppe Süd in Poltawa, erklärte Hitler: "Wenn ich das Öl von Maikop und Grozny nicht bekomme, dann muß ich diesen Krieg liquidieren." Zusammenfassend möchte ich sagen: Die gesamte Zielsetzung bedeutete die Eroberung zwecks Kolonisierung der russischen Gebiete, unter deren Ausnutzung und Ausbeutung und mit deren Hilfsmitteln der Krieg im Westen zu Ende geführt werden sollte, mit dem Ziele der endgültigen Aufrichtung der Herrschaft über Europa." ... Rudenko:" Wer von den Angeklagten war aktiver Teilnehmer an der Entwicklung des Angriffskrieges gegen die Sowjetunion?" Paulus: "Von den Angeklagten, soweit sie in meinem Blickfeld lagen, die ersten militärischen Berater Hitlers. Das ist der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, der Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Jodl, und Göring in seiner Eigenschaft als Reichsmarschall, als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als Bevollmächtigter auf dem rüstungswirtschaftlichen Gebiet."

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Die anschließend von der sowjetischen Anklagevertretung vorgelegten Dokumente über Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen berichteten von entsetzlichen Vorfällen. General Kurt von Oesterreich, der Kommandant der Kriegsgefangenen des Danziger Wehrkreises, bestätigte in seiner eidesstattlichen Versicherung, er habe den Befehl bekommen, daß "Kriegsgefangenenlager ... einfach unter freiem Himmel durch Absperrung mit Stacheldrahtzäunen errichtet werden müßten", und daß es keine Barackenlager für die russischen Gefangenen gegeben habe. In diesen ungeschützten Internierungslagern verhungerten und erfroren Millionen sowjetischer Gefangener. In Generalfeldmarschall von Reichenaus Befehl über das "Verhalten der Truppe im Ostraum" hieß es: "Das Verpflegen von ... Kriegsgefangenen ist eine ... mißverstandene Menschlichkeit." Tausende von Gefangenen wurden in Sachsenhausen, Majdanek und anderen Konzentrationslagern umgebracht. Gefangene deutsche Soldaten sagten aus, daß die Generäle Walter Model und Walther Nehring, beides Kommandeure von Panzerdivisionen, den Befehl erteilt hätten, daß keine Gefangenen gemacht werden sollten - vermutlich um das Vordringen ihrer Truppen zu beschleunigen. Besonders abscheulich waren die von den Deutschen errichteten Großlazarette für Gefangene, in denen infolge von vorsätzlicher Überfüllung, Schmutz, Infektionskrankheiten und Hunger täglich Hunderte von "Patienten" starben.

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Zum Beweismaterial, das der sowjetische Hauptankläger Roman Rudenko dem Gericht vorlegte, gehörten auch die Erinnerungen des ehemaligen nationalsozialistischen Senatspräsidenten von Danzig, Hermann Rauschning. Dieser berichtete, was Adolf Hitler einmal zu ihm sagte, und Rudenko las die ungeheuerliche Stelle im Gerichtssaal vor: ""Wir müssen eine Technik der Entvölkerung schaffen. Wenn Sie mich fragen, was ich unter Entvölkerung verstehe, so werde ich ihnen sagen, daß ich die Vernichtung ganzer rassischer Einheiten im Auge habe, und dies werde ich tun, ich sehe darin, grob ausgedrückt, meine Aufgabe. Die Natur ist grausam, daher dürfen auch wir grausam sein. Wenn ich die Blüte des deutschen Volkes ohne jedes Bedauern über das Vergießen kostbaren deutschen Blutes in die Hölle des Krieges schicken kann, so habe ich natürlich das Recht, Millionen von Menschen niederer Rasse zu vernichten, die sich wie Ungeziefer vermehren."

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Im weiteren Verlauf legte Oberjustizrat Smirnow Beweismaterial für deutsche Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete der UdSSR, Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei vor. Dieses Beweismaterial basierte auf eidesstattlichen Aussagen von Augenzeugen deutscher Greueltaten, die der "Außerordentlichen Staatlichen Kommission der Sowjetunion" vorgelegt worden waren. Wenn man an den Charakter und an die große Zahl der Dokumente dachte, die zuvor von den amerikanischen und französischen Anwälten vorgelegt worden waren, dann konnte es scheinbar gar nichts Schlimmeres mehr geben; aber tatsächlich verblaßten diese früheren Präsentationen im Vergleich zu dem, was Smirnow aufbot. Es stellte sich heraus, warum dies so war: Den Naziführern war es durch Befehle, Einschüchterungen und die Vorführung von Beispielen gelungen, ihre Gefolgsleute davon zu überzeugen, daß Slawen tatsächlich "Untermenschen" seien und daß sie - abgesehen von denen, die einer nützlichen Sklavenarbeit zugeführt werden könnten - auf derartig bestialische Weise umgebracht werden sollten, daß im ganzen Land nur noch Angst und Schrecken regierten. Dazu war eine entsprechende Indoktrinierung und Ausbildung erforderlich, wie Smirnow erläuterte: "Es ist selbstverständlich, daß es nicht genügte, chemische Rezepte für "Zyklon A" (ein Giftgas) auszuarbeiten, Gaskammern und Krematoriumsöfen zu konstruieren oder Spezialverfahren der Massenerschießung in allen Einzelheiten festzulegen, um Millionen unschuldiger und hilfloser Menschen zu vernichten, sondern man mußte zu diesem Zwecke viele Tausende von Befehlsvollstreckern ausbilden, die diese Politik nicht "ihrer Form, sondern ihrem Geiste nach", wie sich Himmler einst ausdrückte, ausführten. Man mußte Menschen ohne Herz und Gewissen, mit perversen Neigungen, solche die mit den Grundsätzen der Moral und des Rechts bewußt gebrochen hatten, erziehen."

 Als Beleg dafür legte Smirnow ein Dokument vor, das den Titel trug "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen im Osten und die Behandlung der Russen", unterzeichnet von Herbert Backe, dem ehemaligen Ernährungsminister, der seine Leser ermahnte: " Ihr müßt Euch bewußt sein, daß Ihr Repräsentanten Großdeutschlands und Bannerträger der nationalsozialistischen Revolution und des neuen Europa für Jahrhunderte seid. Ihr müßt daher auch die härtesten und rücksichtslosesten Maßnahmen, die aus Staatsnotwendigkeiten gefordert werden, mit Würde durchführen. Charaktermängel des Einzelnen werden grundsätzlich zu seiner Abberufung führen."

 Anschließend veranschaulichte Smirnow die Ergebnisse derartiger Anweisungen durch eine lange Abfolge von Augenzeugenbeschreibungen, die teils von Gefangenen, teils von deutschen Soldaten oder Zivilisten stammten. Beispielsweise sagte ein Gefangener aus, der Leichen verbrennen mußte: " Um das Janovskylager herum war ein Stacheldraht angebracht ... Dahin brachte man Menschen, die dort vor Kälte und Hunger umkamen, da sie sich von dort nicht retten konnten ... Ein Mensch wurde am Hals, an den Händen oder Füßen aufgehängt, dann wurden die Hunde auf ihn gehetzt und rissen ihn in Stücke. Der Mensch wurde als Zielwand bei Schießübungen verwendet. Mit diesen Dingen beschäftigten sich am meisten die Gestapoleute Heine, Müller, Blum, der Chef des Lagers, Willhaus, und andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere. ... Die Menschen wurden an den Beinen angefaßt und auseinandergerissen; Kinder im Alter von einem Monat bis zu drei Jahren wurden in Fässern, die mit Wasser gefüllt waren ertränkt. ... Die Frauen wurden an den Haaren aufgehängt, dabei wurden sie ausgezogen, hin und her geschaukelt, und so hingen sie, bis sie starben."

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Vier Tage lang erklangen im Gerichtssaal Berichte von unvorstellbaren und zahllosen Tötungen in allen von den Deutschen besetzten Gebieten in der Sowjetunion, Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Als sich Smirnow mit der Tschechoslowakei befaßte, berichtete er von der Vernichtung von Lidice, einem Dorf in der Nähe von Prag , einer Greueltat, die damals überall in Europa und den USA bekannt war. Viele Sowjetdörfer, so Smirnow, hätten dasselbe Schicksal wie Lidice erlitten. Er nannte die Zahlen der Toten in mehreren Städten.
Waren diese Zahlen überzogen? Waren die Greueltaten erfunden oder übertrieben? Abgesehen vielleicht von Göring ist keiner der Richter, Verteidiger oder sonstigen Beobachter zu der Schlußfolgerung gelangt, daß man der sowjetischen Beweisführung im Grunde nicht trauen könne. Aber selbst Göring mußte gegenüber Dr. Gilbert zugeben, daß "es genügt, wenn nur 5 Prozent all dieser Greuelgeschichten wahr sind".  Am 19. Februar wandte sich Smirnow den Massenhinrichtungen in Auschwitz, Majdanek, Chelmno, Treblinka, Sobibor und Belsec zu. Die Glaubwürdigkeit der Beweisführung wurde durch sichergestellte deutsche Fotografien erhöht. Die abgelichteten Szenen stimmten mit dem Inhalt der Beweisdokumente überein. Smirnow schloß diesen Teil der sowjetischen Anklage mit einem Dokumentarfilm über "Die Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eindringlinge" ab. Ausgenommen von Göring, für den dieser Film kein Beweis war, stellten die anderen Angeklagten die Glaubwürdigkeit des Films nicht in Frage. Daran anschließend wurden die Naziplünderungen und die Zerstörung von Eigentum geschildert.

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Am 25. Februar präsentierte Smirnow das Beweismaterial für den Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diese Verbrechen unterschieden sich kaum von den Kriegsverbrechen gegen militärische und zivile Opfer. Als Unterscheidungsmerkmal wurde angegeben, daß sie sich gegen bestimmte nationale oder religiöse Gruppen richteten. Beim Beweismaterial über die Judenverfolgung stützte sich Smirnow weitgehend auf die von den Amerikanern sichergestellten Dokumente über die Einsatzgruppen sowie auf Berichte der sowjetischen und polnischen Regierungen über die Todeslager.
 Severina Schmaglewskaja, eine Frau die in Auschwitz gewesen war, sagte aus: Neugeborene Babys jüdischer Mütter wurden sofort umgebracht, und bei ihrer Ankunft zur Vernichtung bestimmte Kinder wurden oft in die Verbrennungsöfen geworfen, ohne daß man sie vorher in den Gaskammern erstickte. Andere Kinder wurden mit unbekanntem Ziel weggebracht. "Im Namen aller Frauen, die im Konzentrationslager zu Müttern geworden sind", sagte die Zeugin, "möchte ich heute die Deutschen fragen: "Wo sind diese Kinder?" Dr. Gilbert sah, wie einige Angeklagte und ihre Anwälte den Kopf senkten oder sich auf die Lippen bissen. Dr. Kranzbühler, der Anwalt von Dönitz, fragte seinen Klienten: "Hat denn niemand irgend etwas von diesen Dingen gewußt?" Dönitz schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. "Natürlich, jemand wußte davon", sagte Jodl ruhig. Der Angeklagte Jodl hatte selbstverständlich recht. Wenn niemand von "diesen Dingen" gewußt hätte, dann wären sie auch nicht passiert.

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Am 4.3.1946 kamen die Verteidiger der Angeklagten an die Reihe. In aller Form wurde ihre Seite des Verfahrens vor dem Internationalen Militärgerichtshof eröffnet. Gemäß Artikel 16 und 23 des Londoner Statuts wurden die Verteidiger entweder von den in Haft befindlichen Angeklagten selbst gewählt oder auf deren Verlangen vom Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Verteidiger und bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der angeklagten Gruppen und Organisationen. Das Generalsekretariat des Tribunals hatte seit Anfang November 1945 Dokumente und Zeugen, die die Verteidigung haben wollte, ausfindig gemacht und beschafft. Insgesamt legte die Verteidigung dem Gerichtshof 2.700 Dokumente vor.

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Gleich zu Prozeßbeginn legten alle Verteidiger eine gemeinsame Petition vor, die die juristischen Grundlagen des Prozesses in Frage stellten. Insbesondere ging es um die Strafbarkeit "der Entfesselung des ungerechten Krieges". Die Verteidigung machte geltend, daß "soweit es sich um Verbrechen gegen den Frieden handelt, ... der gegenwärtige Prozeß keine gesetzliche Grundlage im internationalen Recht (hat), sondern ein Verfahren (ist), das auf einem neuen Strafrecht basiert, einem Strafrecht, das erst nach der Tat geschaffen wurde". (29) Der Vorsitzende Richter des Internationalen Militärgerichtshofs, Sir Geoffrey Lawrence lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, im Kellog-Briand-Pakt von 1928 hätten sich 15 Staaten, darunter auch Deutschland, dafür ausgesprochen, den Krieg als "Werkzeug nationaler Politik" zu ächten und zwischenstaatliche Konflikte nur "durch friedliche Mittel" beizulegen. Allerdings waren zur Einhaltung dieses Paktes keine Zwangsmittel vorgesehen

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Mehrfach versuchte die Verteidigung in Nürnberg vom "tu quoque" Argument ( d.h. gleiches Maß für gleichen Tatbestand; der Feind habe sich genauso verhalten) Gebrauch zu machen. Die Richter reagierten darauf mit dem Hinweis, daß das Londoner Statut die Zuständigkeit des Gerichts darauf beschränke, über deutsche Kriegsverbrechen zu urteilen, nicht aber über völkerrechtswidrige Handlungen der Siegermächte.

Die Reihenfolge der Verteidigung entsprach der Anklageschrift. Als erster war Görings Verteidiger an der Reihe . Während die Verteidigung Görings 12 Tage in Anspruch nahm, dauerte die der übrigen 20 Angeklagten etwa 4 Tage pro Angeklagter. Insgesamt vergingen darüber 78 Prozeßtage. Außer Heß betraten alle Angeklagten den Zeugenstand. Die Mehrzahl von ihnen gab zu, daß grauenhafte Verbrechen begangen worden waren, behauptete aber, daß sie persönlich in gutem Glauben gehandelt hätten. Die Generale hatten nur Befehle befolgt; die Admirale hatten nichts anderes als andere Admirale getan; die Politiker hatten nur für das Vaterland gearbeitet, und die Finanzleute hatten sich nur mit Geschäften befaßt.  Die Fülle der Beweisanträge der Verteidiger richtete sich kaum gegen das der Anklage zugrundeliegende Tatgeschehen. Den Beweisdokumenten der Anklagevertretung wurde nicht widersprochen. Ebensowenig wurde die Prozeßführung angegriffen. Sie wurde als sachlich, korrekt und fair bewertet. Vielmehr wurde immer wieder die Zuständigkeit des Gerichts generell in Frage gestellt.