Autor Thema: Als er Krieg zum Tangrintel kam...  (Gelesen 121 mal)

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Offline Hubert

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Als er Krieg zum Tangrintel kam...
« am: Mi, 25. März 2015, 18:30 »

Habe einen Berichtgefunden in der MZ:


Grüße Hubert

Als der Weltkrieg auf den Tangrintel kam

Altbürgermeister Schuster erinnert sich gut ans Kriegsende. Die Ereignisse haben tiefe Spuren im Gedächtnis hinterlassen.
 


Hemau.„Im für uns letzten Kriegsmonat im April 1945 überschlugen sich die Ereignisse“, erzählt Hans Schuster. Jagdbomber beherrschten die unsichere Szenerie des zu Ende gehen Krieges. Mal auf der Dietfurter-, andermal auf der Kelheimer- oder Nürnberger Straße wurden Ross- bzw. Ochsenfuhrwerke angegriffen, die Tiere erschossen. Die Hemauer Bauern suchten Deckung im Wald hinter Hecken und Böschungen. Die Feldbewirtschaftung wurde problematisch, das Kartoffellegen in den Frühstunden nach dem Sonnenaufgang durchgeführt.

In seinen „Erinnerungen aus Hemau – Kriegsjahre 39/45“ hat der Altbürgermeister auch ein Kapitel dieser schweren Zeit gewidmet. Der heute 86-Jährige schildert darin die heimatlichen Geschehnisse aus der Sicht eines Heranwachsenden.
Rückzug der deutschen Soldaten

Der Rückzug deutscher Soldaten verdichtete sich. Auf Autos, vielen zivilen Fahrzeugen, Ross- und Ochsenfuhrwerken kamen auffallend viele Rückzügler aus Richtung Dietfurt auf den Tangrintel. Auch die Nürnberger Straße war stark belastet. Wehrmachtspolizei, sogenannte „Kettenhunde“, kontrollierten sporadisch sich zurückziehende Wehrmachtsangehörige. Wie Schuster mitteilt, bewegten sich an einem Abend Anfang April einige Züge müder Menschen über die Beratzhausener Straße in Richtung Stadtplatz. Niemand konnte diese, von Soldaten schwer bewachten, Menschenprozessionen einordnen. Der Versuch, den bemitleidenswerten Menschen näherzukommen, verhinderte sofort das Wachpersonal. Die zerschlissene Bekleidung wies weiß-blaue Längsstreifen auf und deutete auf Häftlingskleidung hin.

Erst lange nach dem Kriegsende wurde bekannt, dass diese Menschenkolonnen Juden waren. Von Flossenbürg kommend wurden sie zum Konzentrationslager nach Dachau getrieben, und mussten auf diesem Weg unzählige Opfer durch Erschießen, Verhungern oder Erschöpfung beklagen. Tote, die zwischen Hemau und Kelheim starben, wurden am Ortsausgang von Painten begraben. Ein kleiner Friedhof erinnert an die Toten dieses Leidenszugs, berichtet Schuster.
Der Kanonendonner wurde lauter

Von Tag zu Tag steigerte sich der zurückflutende Militärverkehr. Soldaten, in Mehrzahl zu Fuß, führten Leiterwagen und sogar Kinderwagen mit Tornister beladen mit – während der Kanonendonner aus Richtung Neumarkt immer lauter wurde. Ein amerikanischer Jagdbomber musste bei Herrnried nahe der Hauptstraße notlanden und die heutige Bundesstraße 8 wurde permanent angegriffen.

Die Nervosität der Bevölkerung wuchs ständig. Mit Armbinden gekennzeichnete Volkssturmmänner, von SS-Leuten bewacht, mussten widerwillig Panzersperren auf allen Durchgangsstraßen Hemaus errichten. Hindernisse, wie Dreschmaschinen, wurden als Hindernisse aufgebaut und Saateggen mit den Zacken nach oben auf die Hauptstraße gelegt, sie sollten Panzern Paroli bieten.

Viele Hemauer Familien zogen mit Kind und Kegel in umliegende Dörfer und suchten Schutz vor Bomben und Artilleriegeschossen und der nahenden Front. In Luftschutzkellern, zum Beispiel dem Leibl-Tannenbaumkeller an der Dietfurter Straße, richteten sich mehrere Familien notdürftig ein. Die Tiefe und enorme Mauerstärke der Kelleranlage vermittelte Sicherheit und Schutz, so Schuster.

Am Sonntag, 22. April 1945, um 6 Uhr morgens ratterten Raupenschlepper mit 8,8-Zentimeter Flakgeschützen der Wehrmacht über die Nürnberger Straße in die Stadt. Drei bis vier Kanonen bogen nach Kollersried ab, die Mehrzahl fuhr weiter, um bei Klingen, Pöpplhof, Haag und Laufenthal in Stellung zu gehen. An der Spitalgasse und am Wasserturm waren zahlreiche Panzerfäuste angehäuft – die Stadt Hemau wurde zur Verteidigung vorbereitet.

Einen Tag später am Nachmittag begannen die Flakgeschütze fast zeitgleich zu feuern, das Ziel war das Gebiet zwischen Beratzhausen und Pfraundorf. Aber nur wenige Stunden später, gegen 2 Uhr nachts, verstummte das Geschützfeuer schlagartig. Am frühen Morgen des 24. Aprils besuchte auch Hans Schuster die Stellungen.

Die Plätze waren geräumt, besonders fiel dem damals 17-Jährigen der desolate Zustand der Stellungen auf. Gasmasken, Kochgeschirre, kaputte Fernrohre und allerlei Ausrüstungsgegenstände lagen verstreut im Gras. Wie später bekannt wurde, mussten die Geschützstellungen wegen der angeordneten Brückensprengungen in Kelheim und Neustadt an der Donau geräumt werden. „Welch ein großes Glück für die Stadt“, sagt Schuster.

In Hemau musste er damals zahlreiche Streitgespräche zwischen Volkssturmleuten und SS-Soldaten erleben. Das Beseitigen der Panzersperren war das Thema, einige bezahlten ihren Widerspruch sogar mit dem Leben. Als von einem Moment auf den anderen die gefürchteten SS-Soldaten zumeist per Fahrrad gegen 11 Uhr vormittags die Stadt verließen, wurden von der Bevölkerung eiligst alle Hindernisse weggeräumt. Gegen 13 Uhr hörten die Hemauer Granatfeuer. Wie sich später herausstellte, wollten Kettenfahrzeuge der Amerikaner eine Panzersperre im Neukirchener Wald durch Schüsse aus dem Weg räumen – was aber misslang. Schließlich umkurvten die Panzer das Hindernis.


Dieser Vorgang und der Einmarsch in Hemau wurde von einem amerikanischen Filmreporter auf Zelluloid festgehalten. Augenzeugen berichteten dem Altbürgermeister, dass amerikanische Panzerkanonen auf bestimmte Straßendecken feuerten, um die Gegenwehr zu testen. Diese blieb aus und so rasselten die Panzer vor die Tore Hemaus. Gegen 13.30 Uhr erreichten die Kriegskolosse das Stadtinnere.

Überall sah man weiße Fahnen. Augenzeugen erzählten, dass auch die Faber Resl (Frau Semmler) aus der Maigasse mit einem weißen Betttuch ihre Kapitulation bemerkbar machte. Ein amerikanischer Soldat stieg vom Jeep, ging zur Resl und meinte: „Geh nach Hause Mutter, ist schon okay.“ Die Übergabe der Stadt erfolgte durch Bürgermeister Eugen Hagen im Rathaus.

Auch draußen in den umliegenden Dörfern am Tangrintel erfuhren die Bürger von der kampflosen Übergabe an die Amerikaner. Noch am Dienstag, 24. April, zogen deshalb viele Familien mit Ross, Ochsen, Kuh und Wagen zurück in ihr Zuhause. Der Durchmarsch der Besatzer fand kein Ende, tage- und nächtelang folgten Panzer an Panzer, Waffen, Fahrzeuge und Soldaten, bestens ausgerüstet. Dies versetzte alle in Staunen. „Und von einem Moment auf den anderen spürten wir plötzlich keine Angst mehr – der Krieg war zu Ende“, erinnert sich Schuster.
 

MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"

 


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