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Relikte aus dem 2.Weltkrieg
« am: Sa, 16. Januar 2010, 22:11 »
Sächsische Zeitung vom 17.10.2009 von Thomas Brey


Neuer Ärger mit alten Pötten

1944 versenkte die Wehrmacht auf der Donau ihre Schwarzmeerflotte. Klimabedingtes Niedrigwasser macht die Wracks immer mehr zur Gefahr.

Vojislav Jankovic lebt schon immer in dem serbischen Ort Prahovo an der Donau und kann sich an die Szenerie genau erinnern. "Das halbe Dorf hat dem Spektakel am Ufer zugesehen. Die haben sicher 200 Schiffe versenkt", beschreibt der 79-Jährige die Ereignisse vor 64 Jahren. "Die Deutschen haben die Schiffe ineinander verkeilt, geflutet und im Inneren Explosionen hochgehen lassen", erzäählt er. "Einige von ihnen haben wir später mit dem Schiffskran Sutjeska aus der Fahrrinne geräumt, damit überhaupt Schiffe passieren konnten".

64 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg bereiten die rostigen Wracks alter deutscher Kriegsschiffe der Donauschifffahrt immer mehr Probleme. Der Klimawandel lässt den Donauspiegel hier im Dreiländereck zwischen Serbien, Rumänien und Bulgarien jetzt regelmäßig auf Rekord-Niedrigmarken sinken, sodass die alten Wracks mehr und mehr zu einer gefahr für die internationale Schifffahrt werden.
Damals hatte die deutsche Marine ihre Schwarzmeerflotte beim Rückzug in der Donau versenkt, um den zweitgrößten europäischen Wasserweg unpassierbar zu machen. Das Niedrigwasser am Ende fast jeden Sommers bringt die vergessenen Wracks wieder ans Licht. Lastkähne und Passagierschiffe auf der Route von Passau zum Schwarzen Meer und zurück müssen mehr denn je navigieren um nicht mit dem unrühmlichen Erbe zu kollidieren.
Es war eine Verzweiflungstat, als am 6.und 7.September 1944 die deutsche Schwarzmeerflotte bei Prahovo im Donner explodierender Bomben und Granaten in der Donau versank. Konteradmiral Paul-Willy Zieb hatte den Befehl dazu erteilt, weil die Lage aussichtslos war. Schätzungsweise 150 bis 200 Schiffe auf bis zu 20 Kilometern Länge war der Rückzug über die Donau abgeschnitten. Die Rote Armee kontroliierte bereits das "Eiserne Tor", jenes Nadelöhr, wo sich der Fluss durchs Gebirge quält. Die russen waren bis ans rumänische Ufer vorgestoßen. Aber sie konnten die meist kleineren deutsche Schiffe wegen einer Insel und der davorgelagerten Sümpfe nicht angreifen.
Die Wehrmacht beherrschte zwar noch das serbische Ufer, doch angesichts der vorrückenden jugoslawischen Partisanen war das Ende auch hier absehbar.
Vor der Verzweiflungstat des deutschen Admirals erhielten die Einwohner von Prahovo die Erlaubnis, alles was nicht niet-und nagelfest war, von den Schiffen zu plündern. "Kleidung, Teppiche, Wanduhren, Werkzeug, Besteck und Geschirr", beschreibt der frühere Polizeichef der Kreisstadt Negotin, Ljubisa Stojanovic, die Ereignisse. "Die vielen Kähne der Einwohner hatten nur sehr begrenzt Zeit, das Inventar der Schiffe wegzuschleppen. Viele dieser Dinge waren noch Jahrzehnte später in Gebrauch", sagt er.


Roberto Zanetti von der niederländischen Beratungsfirma Witteveen-Bass hat sechs Jahre lang die Lage der Wracks erforscht. Jetzt liegt ein genauer Plan vor. Mithilfe einer serbischen Taucherin seien die rostigen Pötte vermessen worden. "Wenigstens 21 Schiffe liegen in oder nahe der Fahrrinne", sagt der Experte. Die wird neben Frachtschiffen vor allem von Hunderten ausländischen Passagierschiffe befahren, die ihre Gäste meist von Passau bis zur Donau-Mündung ins Schwarze Meer schippern. Bis zu 30 Millionen Euro müssen für die Bergung aufgebracht werden. Die Europäische Bank für Wiederaufbau (EBRD) hält einen Kredit bereit, aber die serbische Regierung zeige wenig Interesse, sagt Zanetti. Er kehrte vor Kurzem wieder in seine Heimat zurück.
Vlastimir Prvujkic, ebenfalls in dem 2.000-Seelen-Dorf Prahovo zu Hause, hat am Steilhang gegenüber dem Schiffsfriedhof ein schmuckes Sommerhaus gebaut. "Mein Vater Zivojin hat von den Schiffen damals 100 Kilo Bonbons weggeschleppt", berichtet der Rentner. "Die hat er auf dem Markt in Negotin verkauft und sich davon sein erstes Paar Rinder gekauft". Der Mann vermutet noch Reichtümer in den Wracks auf dem Grund der Doanu. "Da war doch die gesamte Kriegsbeute aus Südrussland und Rumänien drauf", meint er.
Die Spekulationen um wahre Kriegsschätze halten sich hartnäckig im Dorf. Doch andere Zeitzeugen entlarven sie als Fantasie. Sie berichten, dass zuerst die Rote Armee und Jahre später die Kommunisten aus Belgrad die Wracks nach Reichtümern abgesucht hätten. Die jugoslawische Regierung habe nach Kriegsende auch einen Bergungstrupp geschickt, der einige der Wracks hob, andere beiseiteschob und wieder andere auseinanderschnitt, damit die Handelsschiffe halbwegs passieren konnten. Seit die Kapitäne im Niedrigwasser nun immer häufiger Probleme bei der Navigation haben, rückt der alte Schifffriedhof wieder ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Bergungsexperte Zanetti weist auf eine weitere Gefahr hin: "Da liegen auch immer noch viele nicht explodierte Fliegerbomben herum, weil auch die deutsche Luftwaffe den Schiffskonvoi vor der Versenkung bombariert hatte." Eine zusätzliches Problem seien neuere Bomben auf dem Donaugrund aus dem Jahr 1999, als die NATO gegen das damalige Jugoslawien monatelang Angriffe flog, sagt der Gemeindebeamte Slobodan Jeremic. "Ziel damals waren ein Benzinlager und die benachbarte Chemiefabrik". Das geringe Interesse der Serben an der Bergung erklärt Zanetti so: "Den größten Nutzen von der Hebung der Wracks hätte der internationale Verkehr". Nur 40 Prozent der Schiffe seien serbisch. Durch das Verbot für Belgrad, auf der Donau Druchfahrtsgebühren zu erheben, werde das Desinteresse noch verstärkt. Die Donau ist wie der Rhein ein "freier Fluss", so der Experte.

Weil die Schiffe auch in absehbarer Zeit wohl nicht aus dem Weg geräumt werden, will der Gemeindebeamte Slobodan Jeremic aus ihnen eine "Touristenattraktion" machen. "Wir könnten den vielen Touristen auf den Kreuzfahrtschiffen plastisch darstellen, was sich hier abgespielt hat", sagt er. Denn die Gegend ist arm.
Große Teile der Bevölkerung haben schon vor Jahrzehnten ihr Glück als Gastarbeiter in Österreich und Deutschland gesucht. Davon zeugen prächtige Häuder in Prahovo, die aber nur in den Sommerferien von ihren Besitzern bewohnt werden, die dazu aus den beiden Ländern anreisen. Arbeit gibt es für sie in ihrer alten Heimat schon lange nicht mehr.
Dennoch bleiben die alten Wracks Politikum. Die Grenzpolizei, die Polizeiwache in Negotin, die Hafenbehörden in Prahovo sowie das in Sichtweite gelegene Kraftwerk "Djerdap 2" müssen ihr Einverständnis geben, damit Ausländer die Wracks bei Niedrigwasser besichtigen dürfen. Kraftwerksdirektor Zoran Krsenkovic ist sich sicher, dass alle Gerüchte über noch unentdeckte Reichtümer in den Wracks "Märchen" sind. Kein Märchen sei jedoch, dass Taucher vor vier Jahren Glühbirnen aus den Wracks geholt haben: "Und es war wie ein Wunder: Sie funktionierten noch immer". (dpa)
« Letzte Änderung: Do, 17. Juni 2010, 11:07 von Ulla »
Gruß Ulla

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