Autor Thema: "Stalingradkämpfer" und die Gefangenschaft aus der Sicht eines Überlebenden  (Gelesen 6587 mal)

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Offline adrian

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Hallo Forumer,

hier ist mal eine ganz kurze Beschreibung der Situation der Soldaten der in Stalingrad untergegangenen 6. Armee und angehöriger Verbündeter, die Fritz Wöss in seinem Buch „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“. Fritz Wöss hat Stalingrad erlebt und auch die Gefangenschaft überlebt.

... Dies ist das allgemeine Schicksal der kämpfenden Truppe. Offiziere und Mannschaften, soweit sie nicht gefallen sind, sterben an ihren Verwundungen und Erfrierungen, an Entkräftung, an Ruhr, Typhus und Lungenentzündung usw., Krankheiten, die ihr Organismus nicht bewältigt. Die nach Wisses Schätzungen (Name des Hptm. Fritz Wöss in dem Buch)  höchstens dreihundert Offiziere der Kampftruppe, die Stalingrad und die Gefangenschaft überlebten, sind Ausnahmen. Auch von sich kann Wisse später nur sagen, dass er es allein günstigen Umständen, mehrmals an Wunder grenzenden Glücksfällen und der Hilfe guter Menschen verdankt, dass er Stalingrad und die schlimmste Zeit der Gefangenschaft überleben und heimkehren durfte. Die ungefähr Fünftausend, die aus Stalingrad heimkamen, waren fast ausschließlich Offiziere und Soldaten der rückwärtigen Dienste, Generale, Stabsoffiziere, Zahlmeister, Ärzte, Veterinäre, Trossleute, Feldgendarmen usw. Auch sie hatten Furchtbares erleben und durchstehen müssen und waren Zeugen der Tragödie. Dass sie durchhalten konnten, verdanken sie vor allem ihrer besseren körperlichen Verfassung, dass sie besser verpflegt und untergebracht, nicht den unnennbaren Leiden, Strapazen und Entbehrungen des Kampfes preisgegeben waren.
Warum ich das sage? Nicht um sie herabzusetzen! Sie haben einen Bund der „Stalingradkämpfer“ gebildet. Wenn sie darunter einen Bund von Männern verstehen, die den Wahnsinn des Krieges anprangern und für den Frieden kämpfen, gegen ein neues Stalingrad, so bin ich mit jedem von ihnen, der es so meint, eines Sinnes und bereit, mit ihm diesen Kampf auszufechten.. Wenn sie jedoch sich selbst als „Stalingradkämpfer“ bezeichnen, um sich Lorbeerkränze zu flechten und in einem Veteranenverein an ihren Heldentaten zu begeilen, so kann ich sie nur bemitleiden. Sie haben aus ihren Erfahrungen nichts gelernt, und ich muss an ihr Gewissen pochen und sie jeden einzelnen fragen: „Hast du nicht anderen zuviel weggegessen, hast du dir nicht auf ihre Kosten Vorteile verschafft, warst du nicht zu feige? Wie viele deiner Kameraden sind für dich gefallen, erfroren, verhungert und gestorben, damit du lebst? Und ich muss die Jugend davor warnen, in solchen Männern Vorbilder zu sehen. In Stalingrad gewesen zu sein war kein Glanz- oder Heldenstück! Es war ein bitteres Schicksal, wie es gleich oder ähnlich viele hunderttausend Soldaten, vor allem an der Ostfront, ertragen mussten. Sooft ich an ihre Leiden denke, ist mir zum Weinen und nicht zum Feiern. Reden wir deshalb von uns nicht als „Stalingradkämpfern“. Die Kämpfer und Opfer sind in Stalingrad, sowie an den anderen Fronten, auf den Märschen in die Gefangenschaft und in den Lagern vor und hinter dem Ural geblieben. Danken wir Gott, dass er uns weiter bestehen ließ, und unseren Kameraden, indem wir ihr Vermächtnis erfüllen und für den Frieden, die Freiheit und Würde des Menschen kämpfen, damit ihr Sterben durch unser Leben und Wirken einen Sinn erhalte.

Der Autor hat die Situation und den Wahnsinn so hautnah beschrieben, wie er es seinen in Stalingrad gebliebenen Kameraden versprochen hatte, grausam, schonungslos und mit einer Offenheit, dass einem manchmal die Luft wegbleibt und Tränen in den Augen stehen. Ich glaube, niemand, der die Zeit ab Dezember in Stalingrad mitmachen musste und den Weg in die und die Gefangenschaft überleben konnte, hatte soviel Glück, wie man es in seinem Leben nur ein Mal bekommt. 1% der Truppe hat dieses Inferno nur überlebt. Wie die anderen 99% zu Tode kamen, wird in den drei Teilen des Buches beschrieben.
Soll es allen, die sich mit dieser Zeit beschäftigen, eine Mahnung sein, damit wir nie wieder so etwas erleben müssen.

Gruß Werner
« Letzte Änderung: So, 04. Juli 2010, 11:49 von Adjutant »
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Offline adrian

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Hallo Kurt,

immer und immer wieder habe ich dieses Problem gewälzt. Selbst eine Kapitulation zu früherer Zeit hätte
die gleichen Probleme gehabt. Wer verwundet war, hatte doch so gut wie keine Chance zu überleben. Dies
furchtbare Kälte und der Hunger, dazu die völlig von der Situation überrumpelte russische Seite, das alles war
wahrscheinlich der Todesstoß für die meisten der nach den Kämpfen noch lebenden Soldaten.

Nach allen Berichten war die Chance für Offiziere wirklich größer, diese Gefangenschaft zu überleben. Man kann
es auch an den Heimkehreraussagen ablesen, dazu kamen die Rückwärtigen Einheiten, die in der Regel nicht
solchen Strapazen ausgesetzt waren, wie die Männer in den vordersten Zone. Außerdem waren sie nicht so ausgezehrt.

Die Situation nach der Kapitulation muss für uns unvorstellbar gewesen sein. Das Hungern in der Gefangenschaft mit der
völligen Isolation von Nachrichten, keine verbindung mehr zur Heimat. Grausam und nicht vorstellbar und das über Jahre.

Gruß Werner
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