Autor Thema: Winterkampf November 1914 in den Karpaten  (Gelesen 1744 mal)

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Offline md11

  • Global Moderator
  • Dauerschreiber
  • *****
  • Beiträge: 4.743
  • Country: 00
  • Geschlecht: Männlich
Winterkampf November 1914 in den Karpaten
« am: Sa, 06. Januar 2007, 16:34 »
Der Augenzeugenbericht eines rumänischen Offiziers in Diensten der k.u.k.Armee schildert die Strapazen des Krieges in den winterlichen Karpaten im November 1914,als die Russen in das Waldgebirge an der ungarische Grenze eindrangen und die Soldaten der Donaumonarchie in harte,verlustreiche Kämpfe verwickelten.
<p>
... Um halb elf kam der Befehl zum Rückzug, zwei Stunden zu spät. Wir kamen durch Tarnawa und marschierten nach Serednie, das wir um sechs Uhr morgens erreichten. Das ging übers Menschenmögliche hinaus. Wir marschierten wie die Schlafwandler, die Truppen gerieten durcheinander. Einige fielen um und schliefen, wo sie hingefallen waren. Tote Pferde und schlafende Männer lagen im Straßengraben. In einem Wald fanden wir Männer, gegen die Bäume gelehnt, schlafend. Kein Karikaturist hätte groteskere Stellungen erfinden können. Und was zur Müdigkeit hinzukam, war der Hunger. Seit drei Tagen hatten wir kein Brot gesehen, nur Kartoffeln.
<p>
Der Kampf in den Karpaten verlangte wegen der Schwierigkeiten des Geländes und der bitterkalten Jahreszeit den höchsten Einsatz und die höchste Leidensfähigkeit, die unsere Armee jemals hatte erbringen müssen. Wer nicht dabei war, wird keine Vorstellung davon haben können, wozu der Mensch imstande ist. Die Lebenskraft ist schier unerschöpflich. Vor allem unsere rumänischen Soldaten wurden bewundert wegen ihrer Zähigkeit.
Das machte sie in diesem winterlichen Bergland zu erstklassigen Truppen. Der große Napoleon sagte: »Die beste Eigenschaft des Soldaten ist Standhaftigkeit gegen Müdigkeit und Entbehrung. Armut, Entbehrung und Elend sind die richtige Schule für den Soldaten. «
<p>
Am Nachmittag nahm ich fünfzig Mann, um einen Abhang, bedeckt mit Wacholder-Bäumen, zu besetzen. Die Männer gruben hastig Löcher, und ich bastelte einen Schutz aus Wacholder und Zweigen. Es schneite `   wieder, an Feuermachen war nicht zu denken.
<p>
Alles war in einen Schneemantel gehüllt, dessen jungfräuliches Weiß uns an den Tod denken ließ, den wir mehr denn je ersehnten. Die Männer gruben sich Löcher in Sargform, und als ich sie beim abendlichen Rundgang bedeckt mit dem Wacholder darinliegen sah, kamen sie mir vor wie lebendig begraben.
<p>
Trotz der Kälte gingen die Männer sofort daran, ihre Wäsche zu wechseln. Da sah ich menschliche Körper, die nichts als ein großer Schorf waren, vom Hals bis zum Bauch. Sie waren regelrecht von Läusen aufgefressen. Zum erstenmal verstand ich die volkstümliche Redewendung »Dich sollen die Läuse fressen!« Einer der Männer, der sein Hemd auszog, riß dabei ganze Streifen verkrusteten Blutes ab, und das Ungeziefer saß in schmutzigen Schwärmen auf seiner Kleidung. Der arme Bauer war davon dünn geworden. Die vorstehenden Kiefer und eingesunkenen Augen gaben beredtes Zeugnis davon. Die Offiziere werden genauso heimgesucht. Fothi zählte gestern 50. Er zog sie eine nach der anderen aus den Kragennähten. Er zählte sie, warf sie ins Feuer, und während wir Tee tranken und rauchten, kratzten wir uns und lachten.
<p>
Halt in Polena. Aber Österreichs Bürokratie ließ uns nicht in Ruhe: Wir sollten eine Aufstellung machen von allem, was den Männern verloren gegangen war. Was fehlte den armen Kerlen denn nicht? Alles, was sie am Leib trugen, war in Fetzen gerissen, unsagbar schmutzig. Läuse krabbelten auf ihnen herum wie Bienen um den Korb. Viele waren barfuß, hatten sich Lumpen um die Füße gebunden. Ihre Füße waren zerrissen und schorfig, aber es hatte für sie keinen Sinn, zum Doktor zu gehen. Ein strikter Befehl lautete, daß nur Halbtote ins Lazarett durften. Einer unserer Männer war zwei Wochen im Einsatz mit einem gebrochenen Arm. Aber er dachte nicht daran, zu einem Arzt zu gehen. Nachtkampf im Wald, wo man auch bei Tage wenig sehen kann, hat etwas ganz Unwirkliches an sich. Konfusion herrscht, die Furcht ist allgegenwärtig. Man sieht nur Mündungsfeuer und sonst nichts vom Feind. Gruppe kämpft gegen Gruppe. Oft genug begegnet man dem Feind nicht frontal, sondern von hinten, ohne daß man es gewußt hat. Einmal traf ich einen Leutnant, dessen Mütze hinten abgeschnitten war. Er war durch die russischen Linien gebrochen, auf allen vieren. Kugeln hatten seine Kleidung zerrissen, aber indem er sich an tiefhängenden Ästen entlangzog, hatte er es bis zu uns zurückgeschafft.
<p>
Gruß
Josef
« Letzte Änderung: Mo, 21. Juni 2010, 15:00 von Adjutant »

 


SimplePortal 2.3.2 © 2008-2010, SimplePortal