Autor Thema: Vor Verdun  (Gelesen 1621 mal)

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Vor Verdun
« am: So, 08. Juni 2008, 16:29 »
Toten Mannes Ostern

Vor Verdun
Die Kanonen läuten Ostern ein. Zum Fest ein großer französischer Angriff. Gründonnerstag fingen sie an am Toten Mann. Da läuten die Kanonen Tag und Nacht.

Das Herz schwingt mit, rasch und träge, wie der Donner anschwillt oder verebbt. Bald froh und stark, bald bang in zitternder Sorge, wie die Schlacht sieht. Wenn das französische Feuer schlecht liegt oder auf einem Graben mit tiefen Stollen und starken Unterständen, dann bleibt das Herz ruhig und stark. Aber wenn die Granaten einen Graben pflügen, der erst vor wenig Tagen oder Stunden entstand oder wenn schwere Kaliber eine Batterie zudecken, dann geht das Herz so bangen Schlag. Zusehen müssen, wie Schuß auf Schuß in einen Graben fährt, oder eine Batterie eingedeckt wird; man sieht es von ferne und zählt: fünfzig, hundert, zweihundert Schuß, auf engem Raum. Oder man ist ganz tot und stumpf. So klingt das Herz mit dem Donnern der Geschütze.

Wenn die Beschießung einem selber gilt, so kann das gleiche Feuer am gleichen Ort einen stark und sicher finden, übermütig in gewisser Lebenszuversicht, entschlossen, fatalistisch, gleichgültig, stumpf, verzagt, in banger Sorge oder blasser Furcht. Das kann so rasch wechseln, daß, wer eben noch ein Held war, im nächsten Augenblick ein Feigling sein kann. Allen Gefühlen bietet unsre Seele Raum, und viel zu kompliziert ist ihr Gefüge, als daß man ihre Regungen mit so kategorischen Worten abtun könnte wie: gut und böse, feig und tapfer.

Hängt doch die herrschende Gemütsstimmung in so hohem Maße vom Wetter ab. Das haben wir zu Hause freilich längst verlernt und vergessen. Was kümmert einen das Wetter, wenn man sein sicheres Dach hat und seinen warmen Ofen. Aber hier leben wir ja wie vor tausend und tausend Jahren in Gräben und Höhlen und Hütten.

Bei künstlichem Licht und künstlicher Wärme sehen wir nicht mehr, daß all unser Leben von der Sonne abhängt,daß kein Leben ist außer durch sie. Ein bißchen warme helle Sonne, und die schwerste Beschießung, der härteste Sturm ist überwunden und vergessen. Aber sie scheint nicht mehr. Wie lange schon? Wochen? Monate? ---- Das Maß der Zeit ist vergessen. Regen, Regen: jeder Tag trüb und grau. Die Wolken tief und wasserschwer.

Ostern! Auferstehung! Hier ist kein Grün. Kein neues Leben. Der Wald zerschossen, das Feld zerwühlt, zerstampft. Nässe, Schlamm. Und der Regen rinnt und rinnt.

Die Gräben stehen voll Wasser, knöcheltief, knietief. An manchen Stellen geht die trübe gelbe Flut his an den Leib, dazwischen zäher, dicker Schlamm.

Die Erdwände fallen ein, die Faschinen brechen zusammen. Die Unterstände und Stollen tropfen vor Nässe und füllen sich langsam mit Wasser. Eintönig geht der Tropfenfall. Trotz aufgehängter Konservenbüchsen und Rinnen aus Dachpappe wird man seiner nicht völlig Herr. De Abends ist die Pritsche so gerückt, daß man wenigstens leidlich trocken liegt. Ein Tropfen fällt auf das Fußende. Der macht nichts. Ein andrer plantscht neben dem Kopfe herunter. Man legt sich etwas zur Seite. Da spritzt das fallende Wasser nur leicht das Gesicht. Man schläft darüber ein.

Am Abend war es ruhig. --- Von plötzlichem schwerem Feuern schreckt man auf. Unruhig geht das Herz. Wo liegt das Feuer? Ist es ein nervöses Schießen? Ein Angriff? Soll man wieder schießen? Draußen strömt der Regen. Der Leuchtkugelwächter auf der Grabenböschung meldet: „Rote Leuchtkugeln. Zwei weiße. Eine grüne am Waldeck." Die alarmierten Batterien geben rasches, starkes Sperrfeuer ab. Wie eine losgelassene Meute bellen die Geschütze. Auch drüben steigert sich das Feuer. Gewehrschüsse knattern auf wie ängstliche Schreie in der Nacht. Ein tolles Ge schieße. Wieder steigen Leuchtkugeln in allen Farben. Dann flaut es langsam ab, bis nur mehr die regelmüßigen Schläge des allnächtlichen Beunruhigungsfeuers fallen. In der Nähe ein schwerer Einschlag. Die Decke des Stollens zittert. Lehm bröckelt zwischen den Ritzen herunter. Man legt sich wieder schlafen. Das Kopfkissen ist patschnaß. Das Telephon quäkt einen in Schlaf.

Das fahle Morgendämmern  kriecht in den dunklen Stollen. Das fallende Wasser plantscht jetzt hell auf. Handhoch steht im Unterstand das Wasser. Der Uniformrock ist in den Schlamm gefallen. Ein Kanonier müht sich, mit nassem Holz im Ofen Feuer zu machen. Beizender Rauch legt sich auf die Lungen. Dicht über dem Kopf lastet die niedere Decke. Nur gebückt kann man auf der Bank hocken. -

Karfreitag ist. Einer sagt es. Zufällig las er's im Kalender. Woher sollte man es auch wissen! Es gibt nicht Wochen- noch Sonntag mehr  Vorbereitung . Angriff. Gegenangritf. Das ist unser Kalender.

Karfreitag. Der Regen rinnt. Auf der Beobachtungsstelle steht man in Wasser und Schlamm. Verwundete werden auf Tragen zurückgebracht. Der Nebel deckt den Weg. Trotzdem, die Straße liegt unter Feuer. Die Träger gehen gleichen Schritt. Leicht wiegen die Tragen.

Hunderte sterben heute den Kreuzestod. Hunderte sterben ihn Tag für Tag. Unendlich scheint das Leid unter dem lastenden trüben Grau des regenschweren Himmels. Vorne liegt die Infanterie in flachen, ungeschützten Gräben. Keine Unterstände, keinen Stollen. Die alte, gut ausgebaute Stellung liegt ja längst hinter ihr. Die eroberten französischen sind zerstört, bieten nur Teilen Unterkunft. Die übrigen haben sich eine Höhlung in der Grabenwand geschaufelt. Eine Zeltbahn darüber. Das ist das Nachtquartier. Bei gutem Wetter geht's. Jetzt liegen die Leute buchstäblich im Wasser. Wenn man's nur ein paar Stunden mitgemacht hat, fliegen einem in zitterndem Frost alle Glieder. Naß bis auf die Haut, kein warmes Essen, oft überhaupt keins, dazu Tag und Nacht schweres Feuer. Härteren Tod als am Kreuz starb mancher Schwerverwundete, der nicht zurückgeschafft werden konnte.

Um den Toten Mann ziehen schwere Rauchwolken. In den Gräben mischt sich Blut mit Wasser. Und Regen, Regen. So ohne alle Hoffnung ist das. Und doch, doch, doch, in all dem Leid wird eine Kraft geboren, die all dies tragen läßt, was unerträglich schien. Etwas davon steht auf dem Gesicht eines jeden, die müd und blaß, durchnäßt und lehmüberkrustet aus den Gräben kommen, aus dieser Hölle von Feuer und Wasser.

Auch Leiden ist eine Form von Leben, eine schwere, bittere, aber doch Leben, Erkennen. Durch Leiden stark, durch Mitleid wissend. In allem Leid und Tode liegt ein Quell von Glück, das nie gefühlt, wer stets in satter Ruhe saß. Fern ist die Sorge um das täglich Brot, und aller Alltagsjammer ist entflohn; denn Seite an Seite mit dem Leben sitzt der Tod.
Osterpredigt! Wer diesen Männern predigen will, darf keine Worte setzen, die er nicht im innersten Herzen erfühlt, deren Wahrheit und Gewißheit er nicht im schwersten inneren Kampfe erfühlt und erlebt hat.

Fast ein Heiland muß sein, wer vor die Männer treten will, die von der blutigsten Front kommen, denn sie haben das Höchste und Tiefste erlebt. Nicht jedem freilich wurde das Geschaute innerlich bewußt, aber ein Hauch des Ewigen hat doch einen jeden gestreift. Und darum traben und ertragen sie auch diesen Krieg, auch wenn kein Ende abzusehen wäre und es so weiter gehen müßte in dieser schwersten Form noch Jahre und Jahre. Vaterlandsliebe, Soldatentreue. Es sind nur andre Worte. Im Grunde ist es das gleiche, was Christus tat. Sich hingeben, sich opfern für andre. Schwere Rauchwolken ziehen um die Bergkuppen. Im Herzen hallt der Donner nach. Der Regen rinnt. Blut und Wasser steht in den Gräben, Auf dem Toten Mann ist Ostern.

Ein Bericht vom Kriegsberichterstatter C.Ross

mfg
Josef
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:29 von Adjutant »

 


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