Autor Thema: Bericht des Stabsarzt Dr.Blass in englischer Gefangenschaft 1917  (Gelesen 2186 mal)

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Hier ist ein Bericht vom Stabarzt Blass er war im bayerishen Infanterie-Regiment 9 der 4.bayerischen Infanterie-Division.

Die Gefangennahme erfolgte am 15. September 1916 bei Flers durch Neuseeländer. Gleich nach der Gefangennahme wurde den unverwundeten und leichtverwundeten Offizieren und Mannschaften durch Winken die Richtung angegeben, in der sie sich in Marsch setzen mussten. Trotzdem sich niemand widersetzte, schossen die Neuseeländer aus Mutwillen oder Mordlust auf die einzeln oder gruppenweise zurückgehenden Gefangenen und Verwundeten und töteten viele. Zeugen dieses Vorgangs sind unter anderen Hauptmann Biermer III. Bataillon/9. Infanterieregiment, Gefreiter Rügemer 9. Kompanie/9. Infanterieregiment, die beide Rückenschüsse erhielten, und Oberleutnant Golpert und Leutnant Wohlfahrt III/9, die mit knapper Not dem gleichen Schicksal entgingen.

Meine eigenen Verwundeten, Sanitätsmannschaften und unverwundete Unteroffiziere und Mannschaften, die bei mir Zuflucht gesucht hatten, wurden vor dem Schicksal ihrer Kameraden dadurch bewahrt, dass ich erfolgreich auf der Forderung eines Geleits durch eine englische Begleitmannschaft bestand.

Mehrfach wurden Offiziere nach der Gefangennahme ausgeplündert. Hauptmann Rubner aus Bayreuth wurde unter den Augen der englischen Offiziere Uhr und Bargeld, Leutnant Bloch, 14. Infanterieregiment, die Uhr weggenommen. Feldunterarzt Egerer aus Wunsiedel erhielt nach der Gefangennahme, ohne dass der dabeistehende englische Offizier auch nur den Versuch gemacht hätte, die Misshandlung zu verhindern, einen Boxstoß unters Kinn, worauf er rücklings in ein Granatloch stürzte. Ein Krankenträger vom 5. Infanterieregiment, der nach der Einnahme von Flers mit Stabsarzt Kliensberger aus dem dortigen Verbandsplatz herauskam, um sich gefangen zu geben, wurde trotz seiner deutlich sichtbaren Genfer Binde durch Kopfschuss niedergestreckt.

Misshandlungen von verwundeten Gefangenen habe ich nicht wahrgenommen, ihrer Wertsachen wurden aber die meisten entledigt, stets unter dem Deckmantel „Souvenir", eines Wunsches im Befehlston, den man von Offizieren und Mannschaften immer wieder zu hören bekam.

Beim Abtransport vom Schlachtfeld wurden die englischen Verwundeten bevorzugt. Trotz der Zusage des englischen Truppenarztes, mich beim Abtransport derjenigen deutschen Schwerverwundeten, bei denen ein sofortiger Eingriff notwendig war, durch Überlassung von Tragbahren zu unterstützen, und trotzdem ich genügend Träger zur Verfügung stellte, wurden meine Leute immer wieder gezwungen, zuerst die englischen Verwundeten fortzuschaffen. So kam es, dass deutsche Verwundete 4 Tage lang auf dem Schlachtfelde allen Witterungseinflüssen ausgesetzt waren und dann verstümmelnde Eingriffe erdulden mussten, die nach schnellerem Abtransport durch konservative Behandlung geheilt worden wären.

Jeder Verwundete bekam einen Notizblock, ähnlich den Scheckblocks, ein Blatt (ohne Bindfaden) mit seinem Namen und der Art der Verwundung über einen Knopf seines Waffenrockes gestülpt. Auf dem zugehörigen 4 cm breiten Blockblatt machte der Arzt den gleichen Vermerk, sodass er ohne Krankenbuch eine ebenso einfache wie sichere Kontrolle hatte. Er zeigte sich durchaus entgegenkommend und kollegial. Er war aber so ziemlich der einzige englische Arzt, dessen ärztliche Tätigkeit uneingeschränkte Anerkennung verdient.

In den Feldlazaretten, Zelten, die mit Instrumenten und Verbandmaterial gut ausgestattet waren, aber keine Lagerstätten für Verwundete enthielten, arbeiteten 3 Stabsärzte, darunter auch Inder (Sikhs). Ein Oberstabsarzt leitete den Abtransport durch Sanitätskraftwagen. Die Behandlung war im großen Ganzen sachgemäß, abgesehen von der stark hervortretenden Neigung für verstümmelnde Eingriffe.
Durchaus unzureichend war die Zahl der Ärzte, sodass mehrfach der Ruf nach deutscher Unterstützung laut wurde
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Beim Sanitätspersonal fiel die große Zahl indischer Krankenträger und Hilfskrankenträger auf. Letztere tragen ein eingesticktes S. B. (stretcher bearer) auf dem Oberarm.

Das erste Lager (division camp), das uns aufnahm, war ein offenes Viereck, von mehrfachem Stacheldrahtzaun umgeben, ein richtiger Hottentotten-Kraal, ohne jeden Schutz gegen Kälte und Nässe. Nur für Offiziere war ein 2 qm großer Platz überdacht, an den Seiten jedoch ebenfalls offen.

Eigene Mäntel hatten nur wenige, Decken oder Stroh gab es nicht. An Schlaf war daher bei der Kälte nicht zu denken. Wer aber infolge von Übermüdung einschlief, war am nächsten Morgen halb erstarrt.

Die Verpflegung bestand am 1. Tage aus Schiffszwieback und Tee; an den beiden nächsten Tagen gab es Mannschaftskost, die gut und ausreichend war.

Beim Verhör wurde ein Zwang nicht ausgeübt. Doch war auch hier die Nachfrage nach „Souvenirs" sehr rege.

Stabsarzt Kliensberger wurde gefragt, ob er nicht ein „Eisernes Kreuz" als Souvenir abgeben könnte.

Die Mannschaften wurden sehr geschickt im Vorbeigehen im harmlosen Gesprächston befragt.

Besonders begierig war der Nachrichtenoffizier zu erfahren, welche Wirkung die neuen Panzerautos, die Tanks, die an diesem Tage zum ersten Male auf dem Plan erschienen, auf uns ausgeübt hätten. Als wir ihm aber erklärten, deren Existenz wäre für uns nichts Neues gewesen, konnte er seine Enttäuschung kaum verbergen.

Weniger glimpflich wurden die Artilleristen, Offiziere wie Mannschaften, behandelt und verhört. Auf sie übte man einen starken Druck aus und suchte, sie mit allen möglichen Mitteln mürbe zu machen, um etwas über die Artillerie-Stellungen zu erfahren.

Im Lager Albert wurden wir, insgesamt 11 Offiziere, in einem kleinen runden Zelt auf blanker Erde untergebracht. Auch hier gab's weder Decken noch Stroh. Ein tüchtiger Landregen, der 2 Tage lang anhielt, setzte das unsachgemäß gebaute Zelt unter Wasser, sodass bei der Kälte und Nässe an Schlaf nicht zu denken war. Dem kranken Justinus gab jeder, was er entbehren konnte.

Der Lagerarzt, der sich für einen Augenblick sehen ließ, zuckte die Achseln, als wir ihn baten, Justinus in ein Lazarett aufnehmen zu lassen.

„Die englischen Verwundeten hätten es auch nicht besser, sie müssten bis zum Abtransport mit dem Lazarettzug tagelang unter freiem Himmel liegen."

Ein denkwürdiges Zeugnis für die starken englischen Verluste, wie für die durchaus ungenügende Verwundetenfürsorge.

Ein Mann, dessen blutige Durchfälle zweifellos Ruhr bedeuteten, musste bei seinen Kameraden im Mannschaftslager verbleiben, obschon er allein wegen seiner großen Schwäche der Aufnahme in ein Lazarett bedurft hätte.

Der unzulänglichen sanitären Fürsorge entsprach das militärische Durcheinander hinter der Front.

Hatten am ersten Tage die exakte planmäßige Arbeit der Stoßtrupps, die Tanks, der stattliche Kraftwagenpark (Nummern über 50.000 waren keine Seltenheit), die bereitgestellte indische Kavallerie, deren Pferde, entsprechend ihrer Aufstellung vor den Geschützen, sich wohl an den Abschuss gewöhnen sollten, ferner die zahlreichen, nicht eingebauten, nur mit einer Sandsackwehr umgebenen leichten und schweren Geschütze, deren damalige Stellung mir noch genau erinnerlich ist, und endlich die riesigen Mengen aufgestapelter Munition uns eine innere Achtung vor dieser Organisation abgenötigt: für den krausen Wirrwarr hinter der Front konnten wir nur ein Lächeln haben.

Überall herrschte planlose, nervöse Geschäftigkeit, die nichts schaffte. Trotz des Überflusses an Arbeitskräften, unter denen sehr viele Neger waren, faulte auf den Feldern das überständige Getreide.

Die einzigen, die etwas leisteten, waren deutsche Gefangene, die in Arbeitskompanien zusammengestellt, zum Wegebau verwandt wurden. Diese Straßen, meist 3 nebeneinander, waren sehr gut unterhalten und führten bis dicht hinter die vorderste Linie. Der Schienenstrang war bis an die Ancre herangeführt. Der Bahnkörper der Linie Amiens-Rouen war durch Anbau von 2 neuen Gleispaaren erweitert worden. Trotzdem wuchsen ihnen die Transportschwierigkeiten über den Kopf.

Zwischen Mametz und Meaulte waren infolge der Verwüstung der Ortschaften Zeltstätte als Mannschaftsquartiere entstanden, die gegen Fliegersicht mit Bäumen bemalt waren. Nachts aber leuchteten sie ohne Rücksicht auf deutsche Flieger weithin.

Die Stimmung der Fronttruppen war recht ernst infolge der schweren Verluste, die der abgelösten, mit Musik marschierenden Kompanien teilweise recht übermütig. ' Wir mussten manchen Spott hinnehmen: „Hallo Fritz kaputt?", einmal auch „Captain Cöpenick" wurde uns zugerufen. Gröbere Beleidigungen verhinderte die Begleitmannschaft, während die Offiziere gelassen und mit einer gewissen Schadenfreude zusahen. Die Disziplin schien recht locker zu sein. Ehrenbezeugungen wurden zuweilen erwiesen, meist aber nicht. Gegen die Kanadier wagte, wie mir ein preußischer Offizier mitteilte, kein englischer Offizier einzuschreiten, als sie das Ausplündern in großem Stil betrieben. Dagegen war die Stimmung der Truppen hinter der Front sehr siegesgewiss. Das zeigte sich besonders kurz vor Albert, wo die englischen Soldaten mit der französischen Bevölkerung in Beschimpfungen wetteiferten.
Quelle:Die Somme-Schlacht von 1916

mfg
Josef
« Letzte Änderung: Fr, 18. Juni 2010, 22:46 von Adjutant »

 


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