Autor Thema: Moskau 1941/42  (Gelesen 715 mal)

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Moskau 1941/42
« am: Mi, 09. Mai 2007, 21:28 »
Guderian hatte am 23. August im Führerhauptquartier gegen eine Wand geredet: Hitler blieb dabei, Moskau links liegen zu lassen und zuerst die Ukraine, die Krim und das Donezbecken zu erobern.
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Guderian fand eine sehr gedrückte Stimmung vor, als er am 24. zu seinem Stab in Schumjatschi, einem Dorf an der Straße nach Moskau, zurückkehrte. Kein Offizier, der Hitlers Entscheidung nicht für falsch hielt. Nicht nur im Stab von Guderians Panzergruppe. Der Oberbefehlshaber des Mittelabschnitts, v. Bock, dachte nicht anders, und der Heeresgeneralstab mit Halder an der Spitze auch nicht.
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Sie alle hatten recht; die Entscheidung war falsch, wie die spätere Entwicklung erwies. Zunächst hatte sie jedoch keine erkennbar bösen Folgen, ganz im Gegenteil.
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Denn der weit vorgetriebene Frontbogen am Oberlauf der Desna, mit der östlichen Spitze bei dem hart erkämpften Städtchen Jelnja, knapp 300 Kilometer von Moskau entfernt, war nicht nur als Ausgangsposition für den Sturm auf Stalins Hauptstadt geeignet, sondern ließ sich ebenso gut als Ausgangsstellung für einen Stoß nach Süden nutzen, in den Rücken der sowjetischen Südwestfront unter Marschall Budjonny, die am Dnjepr die Ukraine verteidigte.
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Noch einen Vorteil bot die Situation: Der Gegner hielt es für ganz selbstverständlich, daß alle deutschen Aktionen auf Moskau zielen. Bestärkt wurde Stalin in dieser Meinung durch Meldungen seines Meisterspions Alexander Rado aus der Schweiz. Die waren so falsch nicht, denn bis zu Hitlers Entscheidung, Moskau zunächst nicht anzugreifen, sah der Operationsplan des Heeresgeneralstabs ja in der Tat vor, über Brjansk nach Moskau zu stoßen.
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Genau dies wurde dem General Jeremenko erklärt, der mit knapper Not dem Kessel von Smolensk entkommen und zur Übernahme eines neuen Kommandos nach Moskau befohlen worden war. Jeremenko berichtet darüber in seinen Memoiren:
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„Ich kam nachts in Moskau an, und wurde sofort im Oberkommando von Stalin und Marschall Schaposchnikow, dem Chef des Generalstabs, empfangen. Schaposchnikow legte kurz die Lage an den Fronten dar. Sein Fazit ... lautete: im mittleren Frontabschnitt steht aus dem Raum Mogilew- Gomel ein Angriff über Brjansk auf Moskau bevor ...
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Stalin erklärte, es müsse schnell eine neue starke Verteidigungsfront im Raume Brjansk geschaffen werden, um Moskau zu schützen ... Dann fragte Stalin mich, wo ich eingesetzt werden möchte. Ich antwortete: Ich bin bereit, dorthin zu gehen, wohin Sie mich schicken! ` Stalin blickte mich aufmerksam an, und ein Ausdruck der Unzufriedenheit huschte über sein Gesicht. Sehr kurz fragte er: Aber schließlich?'
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,Dorthin', antwortete ich schnell, wo die Situation am schwersten ist.`
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,Sie ist überall gleich kompliziert und gleich schwer, war die Antwort.
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Ich sagte: Genosse Stalin, senden Sie mich dorthin, wo der Feind mit motorisierten Einheiten kommen wird. Ich glaube, ich werde dort am nützlichsten sein. Ich kenne die Art und die Taktik des deutschen Panzerkampfes.
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,Gut! sagte Stalin zufrieden."
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Und dann schickte er Jeremenko nach Brjansk, wo er den Stoß von Guderians Panzergruppe 2 erwartete.
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Darauf warteten Stalin und mit ihm Jeremenko auch dann noch, als Guderians Panzergruppe 2 schon nach Süden marschierte. Jeremenko blieb das nicht verborgen. Er berichtet: „Wir machten Ende August Gefangene, die aussagten, daß die deutsche 3. Panzerdivision ... die Aufgabe habe, zur Vereinigung mit der Panzergruppe Kleist nach Süden zu marschieren ... Diese Aussagen wurden am 25. Augustdurch unsere Luftaufklärung erhärtet, die eine mächtige motorisierte Kolonne des Gegners entdeckte,die sich nach Süden bewegte."
« Letzte Änderung: Do, 01. Juli 2010, 23:11 von Ulla »

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Moskau 1941/42
« Antwort #1 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:30 »
Damit war eigentlich ziemlich klar, was sich anbahnte, aber Stalin und sein Oberkommando in Moskau waren dermaßen verrannt in ihrer Überzeugung, nur Moskau könne das Ziel des deutschen Angriffs sein, daß sie Guderians Marsch nach Süden für den Ansatz einer weiträumigen Umgehung von Brjansk hielten.

In diesem Glauben machte Stalin einen nachgerade abenteuerlichen Fehler: Er löste die sogenannte sowjetische Zentralfront, die aus der 21. und der 3. Armee bestand und die Ukraine gegen einen Angriff aus dem Norden abdeckte, kurzerhand auf und unterstellte diese Divisionen Jeremenkos Heeresgruppe (Front) - zur Verteidigung Moskaus im Raum Brjansk.

Das machte Jeremenko stark, er konnte einigermaßen beruhigt den deutschen Angriff erwarten. Nur - er wartete vergebens. Mißmutig notiert er: „Aber unsere Annahme (deutscher Stoß Brjansk - Moskau) verwirklichte sich nicht. Der Feind griff im Süden an und streifte unseren rechten Flügel nur. Wir . . . verfügten über keine Unterlagen, daß die Angriffsrichtung der deutschen Heeresgruppe Mitte geändert und nach Süden gelenkt worden sei. Dieser Fehler des Generalstabs brachte uns im Süden in eine äußerst schlimme Situation."

In der Tat. Und noch schlimmer dadurch, daß die Unterlagen ja eigentlich da waren, nur beharrlich falsch gedeutet wurden. Stalin und Hitler- beide pfuschten sie ihren Generalen ins Handwerk. Die fatalen Folgen bekam zuerst Stalin zu spüren.

Denn Guderians Panzergruppe kann, da sie woanders erwartet wird, verhältnismäßig ungehemmt nach Süden rollen. Am weitesten südlich steht am 25. 8. die 3. Panzerdivision unter Generalleutnant Model. Der Vormarsch auf der Straße nach Nowgorod-Sewersk geht flott voran, ist aber alles andere als angenehm. Es ist glühend heiß, mehlfeiner Staub hängt wie ein Wolkenband über den Vormarschwegen, durchdringt alles, und die Landser fluchen ingrimmig, wenn Models Stabskolonne - ein Panzerspähwagen, ein Funkwagen, ein gutes Dutzend Kübelwagen und ebensoviele Kradmelder- an ihnen vorbeibraust und den Staub zu noch dickeren Wolken aufwirbelt.

Die Stabskolonne schert nach links aus, auf ein Stoppelfeld; die Karten werden auf dem nackten Boden ausgebreitet. „Wie weit noch?" fragt Model. Sein Ic greift zum Zirkel, mißt, sagt „35 Kilometer, Herr General." Der Funkwagen hat die Antenne hochgekurbelt, erste Meldungen kommen. „Starker Widerstand vor Nowgorod-Sewersk."

Model nickt. „War zu erwarten!" Das Desnatal bei Nowgorod-Sewersk, eine fast einen Kilometer breite, versumpfte Flußniederung, ist eine gute natürliche Barriere. Wie immer bei schnellem Vormarsch kommt es darauf an, sich Brükken über solche Hindernisse zu sichern. In Nowgorod-Sewersk sind es zwei, eine 700 Meter lange Straßenbrücke, und eine etwas kürzere Fußgängerbrücke, beide aus Holz und beide sind noch unzerstört, wie die Luftaufklärung ergeben hat.

„Eine von diesen Brücken müssen wir heil in die Hand bekommen", sagt Model zum Kommandeur des Panzerregiments 6, Oberstleutnant von Lewinski, „sonst brauchen wir Tage, wenn nicht länger, um über den verfluchten Fluß zu kommen!"

„Wir werden's versuchen, Herr General", erwidert Lewinski.

Am Abend stehen das Panzerrregiment 6 und ein Kradschützenbataillon vor der Stadt. Sie versuchen zu stürmen. Doch da ist ein breiter Panzergraben mit eingerammten Baumstämmen, an dem sich der Angriff festfährt. In der Nacht ist da nichts mehr zu machen, man muß bis zum Morgen warten.

Dann schießt schwere Artillerie die Panzerhindernisse zusammen, und los geht's. Der Widerstand der Russen ist unterschiedlich. Wo kampferprobte Verbände stehen, muß hart gefochten werden. Aber es gibt auch schlechte Verbände, mit älteren Männern um 45, zum Teil nur ein paar Tage ausgebildet. Kein Wunder, daß sie dem Angriffsdruck nicht standhalten können. Sobald solche weichen Stellen erkannt sind, wird der Angriff auf sie konzentriert, und dann läuft es.

Weit vor der Masse der Angreifer jagt ein kleines Panzerrudel auf die Stadt zu; ein Dutzend Panzer und mitten dazwischen zwei Schützenpanzerwagen. In denen hockt ein Pionierstoßtrupp unter Leutnant Störk. Diese Pioniere zur großen Brücke zu bringen, das ist derAuftrag der kleinen Kampfgruppe, die Oberleutnant Butterkirch führt.

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Moskau 1941/42
« Antwort #2 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:33 »
Sie fahren drauflos, schießen sich durch verdutzte russische Gruppen hindurch, sind im nächsten Augenblick wie ein Spuk schon wieder verschwunden. Frech reihen sie sich, im Schutz der alles verhüllenden Staubwolken, in zurückflutende russische Kolonnen ein. So kommen sie in die Stadt, und hindurch - zur Brücke.

„Mensch, sie steht noch!" brüllt Butterkirch, „nichts wie drauf!" Störks Pioniere springen von den Schützenpanzern, hetzen auf die Brücke, überwältigen die sichernden Russen, zerreißen die Zündkabel, die am Brückengeländer entlanglaufen, schmeißen die Sprengstoffpakete hinunter in den Fluß. Hetzen weiter - 700 Meter sind verdammt lang, vor allem unter Beschuß. Und inzwischen haben die Russen am anderen Ende der Brücke auch kapiert, was los ist. Im Gebälk der Brücke hängen überall Benzinkanister. Auch ins Wasser damit. Und dann verschlägt's dem Leutnant Störk für einen Moment den Atem: mitten auf der Brücke liegt eine riesige Fliegerbombe, offenbar scharf. Ruhig, als wär's ein Übungsgerät, schraubt Störk den Zünder heraus.

Butterkirch ist unterdessen, mehr instinktiv als vorbedacht, mit seinem Panzer die Böschung hinunter und unter die Brücke gefahren. Das ist gut, denn nun kommen die Russen mit Sprengtrupps, klettern mit Benzinkanistern und geballten Ladungen von unten ins Gebälk. Butterkirchs MG treibt sie zurück. Ein paar Benzinkanister geraten dabei in Brand, aber oben auf der Brücke steht genügend Löschmaterial bereit; die Pioniere können die kleinen Brände rasch löschen.

Und dann zischt die weiße Leuchtkugel hoch, das Signal „Brücke frei". Wenig später ist die Masse des Panzerregiments heran, rollt über die Brücke. Der Weg nach Süden, in den Rücken von Budjonnys Südwestfront ist frei. Nun muß nur noch Kleists Panzergruppe 1 in der Gegenrichtung von Süden nach Norden stoßen, und es entsteht ein Kessel von wahrhaft gigantischen Ausmaßen.

Wo aber war Kleist? Wie stand es bei der Heeresgruppe Süd unter Generalfeldmarschall von Rundstedt? Was geschah an der Südfront, als im Mittelabschnitt die großen Vernichtungsschlachten von Bialystok, Minsk, Smolensk, Roslawl und Gomel geschlagen wurden?

Rundstedts großes Ziel war Kiew, die Hauptstadt der Ukraine, am Ufer des Dnjepr. Schon bei der Planung hatte es Schwierigkeiten gegeben. Der 400, Kilometer lange rumänische Karpatenraum mußte aus politischen Gründen als Bereitstellungsraum ausgespart werden. Der Angriffsschwerpunkt mußte deshalb auf dem Nordflügel der Heeresgruppe liegen. Hier sollten die 6. Armee unter Generalfeldmarschall von Reichenau und die 17. Armee von General von Stülpnagel die Grenzstellungen durchbrechen und weit nach Südosten vorstoßen. Dann sollten sie, mit der Panzergruppe von Kleist voraus, nach Süden eindrehen und die Sowjets umfassen. Dieser geplanten weiträumigen Zangenbewegung stand nur ein wesentlich kürzerer Zangenarm von Süden her entgegen, der von der weit im rumänischen Süden stehenden 11. Armee des Generaloberst Ritter von Schobert gebildet werden sollte. Die ungleiche Aufgabenstellung für die beiden Angriffsflügel hatte einen gewichtigen Grund: die Heeresgruppe Süd verfügte im Gegensatz zur Heeresgruppe Mitte nur über eine Panzergruppe und das reichte nicht aus, um den Kessel hinter der eine Million Mann starken Heeresgruppe (Front) des Sowjetmarschalls Budjonny zu schließen.

Budjonny konnte 2400 Panzerkampfwagen, darunter zahlreiche vom Typ KW und T 34 den 600 Panzern von Kleist entgegenstellen. Im Süden wie im Norden der Ostfront machte sich das Fehlen einer zweiarmigen Panzerzange bemerkbar. Die Ziele wurden nicht planmäßig erreicht. Für eine so weiträumige, rasche Operation gegen ein so stark verteidigtes Gebiet wie die Ukraine war eben eine Panzergruppe zu wenig. Der enorme Erfolg im Mittelabschnitt beruhte wesentlich darauf, daß Bock zwei starke Panzergruppen als Stoßteile und Zangenarme zur Verfügung hatte. Rundstedt im Süden und Leeb im Norden dagegen hatten nur je eine Panzergruppe, und das allein ist die Erklärung dafür, daß sie mit dem Vormarschtempo des Mittelabschnitts nicht mithalten konnten.

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Moskau 1941/42
« Antwort #3 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:39 »
Erst am 7. Juli gelang es der Panzergruppe Kleist im Morgengrauen, bei Zwiahel durch die sogenannte Stalin-Linie zu brechen. Nach weiteren 10 Tagen härtester Kämpfe erreichte Kleist dann Belaja-Zerkow, südwestlich von Kiew - und nun bot sich endlich auch im Süden die Gelegenheit zu einer Kesselschlacht: über Pruth und Dnjestr kam jetzt auch die 11. Armee heran.

Am 1. August ist Kleists Panzergruppe bis Nowoarchangelsk vorgedrungen, drei Tage später trifft sie bei Perwomaisk mit den Spitzen der 11. Armee zusammen - der Kessel ist zu. Kleists Panzer haben 3 Russische Armeen mit 23 Divisionen umfahren, die sie nun auf die  deutsche Infanteriemauer aus Teilen der 11., 17. und 6. Armee drücken.

Die im Raum um Uman eingekesselten Russen wehren sich verzweifelt, einigen Verbänden gelingt auch der Ausbruch, aber die Masse der drei Armeen wird geschlagen, 100. 000 Mann gehen in Gefangenschaft, darunter zwei Armee Oberbefehlshaber.

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Moskau 1941/42
« Antwort #4 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:45 »
Aber nicht die Zahl der Gefangenen ist wichtig, entscheidend ist, daß nun Kleists Panzergruppe weiter am Westufer des Dnjepr auf Tscherkassy und Krementschug vorstoßen kann, und sich damit die Chance eröffnet, Budjonnys Millionenarmee im Dnjepr-Bogen beiderseits Kiew festzunageln.

Generaloberst Guderians Laune ist nicht gerade gut, als er am 29. August gegen Abend von einem Inspektionsflug zu seinen Verbänden in sein Stabsquartier bei Unetscha zurückkehrt. Die Lage ist ziemlich bedrohlich. Sicher, man hat einen Brückenkopf am Ostufer der Desna, bei Nowgorod-Sewersk, aber der Angriff kommt nicht weiter, Jeremenko versucht mit aller Kraft, den Brückenkopf einzudrücken. Auch weiter hinten, an der langen linken Flanke, müssen sich die 17. und 18. Panzerdivision mühsam der unentwegt anrennenden Russen erwehren.

„Wenn es ihm gelingt, uns weiter aufzuhalten, und wenn sie erkennen, was wir vorhaben- dann kann der ganze schöne Plan ein Schlag ins Wasser werden!" überlegt Guderian düster.

„Leider", stimmt sein la, Oberstleutnant i. G. Bayerlein zu. „Von der 2. Armee liegen schon Meldungen vor, daß die Russen sich südlich Kiew aus dem Dnjepr- Bogen abzusetzen beginnen. Und am Donez sind Schanzarbeiten im Gange." „Da haben wir's!" schimpft Guderian, „Budjonny hat aus Uman gelernt!

" Guderian hat den schnauzbärtigen Sowjetmarschall durchaus richtig eingeschätzt: Er trifft tatsächlich Vorbereitungen, aus der Umklammerung zu weichen und sich auf eine Stellung am Donez zurückzuziehen.

Aber Stalin ist da anderer Meinung. „Keinen Schritt zurück. Halten und notfalls sterben!" lautet sein unerbittlicher Befehl. Und er schickt alles, was er an Truppen, Panzern und schweren Waffen aufbringen kann, noch zusätzlich in den Dnjepr-Bogen.

Zugleich nimmt der Druck auf Guderians Brückenkopf zu, tagelang können sich  die beiden Panzerdivisionen buchstäblich nur meterweise vorankämpfen.

Und dann, am 3. September, holt eine Zwillingsflak eine sowjetische Kuriermaschine vom Himmel. In den Trümmern wird, leicht angekohlt, der Kuriersack mit Befehlen gefunden. Als der Kommandierende General des XXIV. Panzerkorps, Geyr von Schweppenburg, die Übersetzung dieser Befehle liest, erkennt er, wo zwischen der 13. und der 21. sowjetischen Armee eine Lücke klafft. Geyr zögert keinen Augenblick; sofort setzt er Models 3. Panzerdivision auf die erkannte weiche Stelle an- und das klappt. Model bricht durch, schlägt den nachfolgenden Schützenregimentern eine Gasse, geht am 7. September mit seiner Vorausabteilung über den Seim, jagt weiter südwärts, an Konotop vorbei, in Richtung Romny.

Inzwischen macht sich im Süden, bei Krementschug die Panzergruppe Kleist bereit. Sie soll nicht zu früh starten, um die Umklammerungsabsicht nicht zu schnell deutlich zu machen. Am 11. September ist es soweit: auf einer Kriegsbrücke gehen die 16. und die 9. Panzerdivision über den Dnjepr, am Abend des 12. hat sich die 16. Division bereits 70 Kilometer vorgekämpft, am 13. wird Lubny gestürmt - nach erbittertem Straßenkampf.

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Moskau 1941/42
« Antwort #5 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:50 »
Nun merken auch die Russen, was sich anbahnt: die deutsche Luftaufklärung meldet starke sowjetische Verbände im Anmarsch auf Guderians und Kleists Stoßkeile. Sie zielen auf die Lücke, die noch zwischen den beiden Panzergruppen klafft, wollen sie offenhalten.

Am 14. September ist diese Lücke noch 50 Kilometer breit. Models 3. Panzerdivision hat sich recht mühsam bis Lochwiza gequält-wilde Spätsommergewitter haben die Wege grundlos gemacht. Mittags schickt das Panzerregiment 6, das die Spitze bildet, einen starken Spähtrupp, ein paar Panzer und Panzerspähwagen unter Oberleutnant Wartmann los. Auftrag: „Kampf meiden, Verbindung mit Vorausabteilung der Panzergruppe Kleist suchen."

Doch ganz ohne Kampf geht's nicht, ab und zu muß sich die kleine Gruppe ihren Weg durch zurückflutende russische Kolonnen schießen. Und dann, um 18.20 Uhr, sieht Oberleutnant Wartmann nicht erdbraune, sondern feldgraue Soldaten vor sich: Er hat Kleists Spitze gefunden! Es ist die 2. Kompanie vom Panzerpionierbataillon 16 unter Oberleutnant Rinschen, auf die Wartmann da trifft. Die Männer brüllen vor Freude - es ist gelungen, 200 Kilometer im Rücken von Kiew schnappt die riesige Falle zu! Vorerst allerdings nur symbolisch. Doch am nächsten Tag ist das Loch dann wirklich gestopft, das mörderische Kesseltreiben beginnt.

Erbittert rennen die Russen, von innen wie von außen, gegen den Einschließungsring an, mehr als einmal noch wird es für die vielfach beängstigend dünnen deutschen Linien kritisch - aber sie halten. Am 19. September fällt Kiew, am 26. September ist die große Schlacht zuende. Eine Schlacht, wie es sie noch nie gegeben hat.

Fünf sowjetische Armeen sind zerschlagen! Eine Million Mann hat Stalins „Stehen und Sterben"-Befehl gekostet, 665 000 davon marschieren in trostlosen Kolonnen in Gefangenschaft, 3718 Geschütze, fast 900 Panzer werden erbeutet.

Aber noch andere Folgen hat diese Schlacht. Hitler hält den Feind für demoralisiert, glaubt ihn wankend. Er glaubt, daß ihm eine strategische Überraschung gelungen ist - irrig, Budjonny hatte die deutsche Absicht durchaus richtig erkannt, nur Stalin hatte ihn an der richtigen Gegenmaßnahme gehindert.

Und so befiehlt Hitler am letzten Tag der großen Schlacht: „Donezbecken und Don sind noch vor Eintritt des Winters zu erreichen." Das war noch folgerichtig. Aber gleichzeitig entschließt sich Hitler, berauscht vom Kiewer Sieg, zu wagen, wozu er sich vier Wochen früher nicht entschließen konnte: zum Sturm auf Moskau -Angriffstag: 2. Oktober, Deckname: „Taifun".

Diesmal widerspricht ihm keiner. Auch die Frontkommandeure sind von den ungeheuren Erfolgen geblendet, wähnen sich unbesiegbar. Verdrängen die Sorgen, die sie schon eine ganze Zeit plagen: ihre Truppen sind nach neun Wochen ununterbrochenen Kampfes nicht mehr die frischesten, sind dezimiert, auch das Material gibt unter der übergroßen Belastung nach, und der Nachschub lässt entschieden zu wünschen übrig. Das alles scheint vergessen, als der Befehl kommt: nach Moskau.

Nur eine Woche ist Zeit, „die letzte große Entscheidungsschlacht" (so Hitler) zu planen. Erstaunlich genug - die Zeit reicht. Nach einem sorgsam ausgeklügelten Plan setzen sich um den 30. September herum drei Infanterie-Armeen und drei Panzergruppen in Bewegung. Der Plan: 9. und 4. Armee sollen nördlich und südlich der Autobahn Smolensk -Moskau vorstoßen, mit den Panzergruppen 4 (Hoepner) und 3 (Hoth) als Zangenarme die vor der Front stehenden russischen Armeen umfassen und vernichten. Guderians Panzergruppe 2 soll, aus der Nordukraine kommend, wieder nach Norden rollen, Brjansk umfassen, Jeremenkos Armeen auf den mittleren Stoßkeil drücken.
Es ist eine raffiniert angelegte Doppelkesselschlacht mit drei Stoßkeilen - und , sie gelingt! Es dauert nicht ganz eine I Woche, dann sind zwischen Wjasma und Smolensk 6 russische Armeen unter Marschall Timoschenko sowie beiderseits Brjansk drei weitere Armeen unter General Jeromenko umzingelt, und abermals - nur drei Wochen nach der russischen Katastrophe von Kiew - schicken sich die Infanteriedivisionen an, das von den Panzern eingeleitete Vernichtungswerk zu vollenden.
Zehn Tage dauert die Schlacht noch, dann sind Timoschenkos sechs und Jeremenkos drei Armeen mit 70-80 Divisionen zerschlagen. Zuletzt kapitulieren die Russen regimenterweise, 663 000 Soldaten und Offiziere gehen in Gefangenschaft, 1242 Panzer und 5412 Geschütze bleiben auf dem Schlachtfeld zurück, teils zerstört, teils willkommene Beute.


Gruß
Josef
« Letzte Änderung: Fr, 01. Juni 2007, 23:18 von md11 »

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Moskau 1941/42
« Antwort #6 am: Mi, 09. Mai 2007, 21:58 »
Lage am 1.12.1941

Quelle-Die Deutschen vor Moskau 1941/42 (W.Haupt)

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Josef
« Letzte Änderung: Do, 01. Juli 2010, 23:09 von Ulla »

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Re: Moskau 1941/42
« Antwort #7 am: Do, 10. Mai 2007, 15:17 »
Karten-

Karte 1."Taifun" 2.10.1941

Karte 2.Die deutsche Front am 5.12.1941-Ende März 1942

Quelle-Die deutschen vor Moskau 1941/42 (W.Haupt)

Gruß
Josef
« Letzte Änderung: Do, 01. Juli 2010, 23:10 von Ulla »

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Re: Moskau 1941/42
« Antwort #8 am: Fr, 01. Juni 2007, 23:10 »
Der Weg nach Moskau scheint offen

Nach den Armeen, die die Ukraine schützen sollten, hatte Stalin nun auch die Armeen eingebüßt, die seine Hauptstadt decken sollten. Der Weg nach Moskau, so schien es, war für die deutschen Panzer offen: Zeit für den zweiten Teil des Angriffsplans, den eigentlichen Sturm auf Moskau.

Doch es wurde kein Sturm. Die Wege nach Moskau waren auch in einem fatalen, nichtmilitärischen Sinn offen: sie waren durch den Herbstregen grundlos geworden, verschlammt.

Elend langsam quälen sich die Fahrzeuge durch die Schlammbäder, wühlen sich fest; Kradschützen bauen sich hölzerne Kufen unter die Maschinen und ziehen sie; oft müssen kilometerlange Knüppeldämme angelegt werden.

Hinzu kommt auch ein taktisches Erschwernis: Nachdem schon die Straßen grundlos sind, ist erst recht das freie Gelände unbefahrbar - da bleiben auch Panzer und andere Kettenfahrzeuge liegen. So konzentriert sich der Kampf zwangsläufig auf die Straßen.

Noch während der Kampf in den Kesseln Wjasma/Brjansk tobt, haben sich die Panzer weitergewühlt. Am 12. Oktober wird Kaluga eingenommen, 160 Kilometer südwestlich von Moskau. Einen Tag später erreicht die Vorausabteilung der 1. Panzerdivision Kalinin, 150 Kilometer nordwestlich von Moskau, nimmt die Stadt, die Wolgabrücken, und unterbricht die Bahnlinie Leningrad - Moskau. Damit ist der nördliche Eckpfeiler der 1. Moskauer Schutzstellung eingedrückt.

Doch das Kernstück dieses Riegels liegt weiter südlich, an der einzigen einigermaßen gut befahrbaren Straße, der Autobahn Smolensk - Moskau. 100 Kilometer vor der Hauptstadt, bei Borodino, steht dieser Riegel - und wer geglaubt hat, Rußland sei nach den schrecklichen Kesselschlachten von Kiew und Wjasma-Brjansk am Ende seiner Kraft, sieht sich getäuscht.


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Re: Moskau 1941/42
« Antwort #9 am: Fr, 01. Juni 2007, 23:15 »
Die Sibirier kommen

Stalin hat inzwischen aus Sibirien die 32. Schützendivision herangeholt, eine Elite-Einheit, lauter baumlange Kerle, die keinen Schritt weichen, zudem überreichlich ausgestattet sind mit Pak, Flak und Ratsch-Bumm, dem überaus wirksamen 7,62-cm-Mehrzweckgeschütz. Stalin kann es sich leisten, Sibirien zu entblößen, denn er weiß, daß ihm im fernen Osten keine Gefahr von den Japanern droht. Sein Spion Dr. Sorge hat ihm gemeldet, daß Japan sich zum Angriff auf die USA, auf Peari Harbor bereitmachtund diesmal, anders als vor Beginn des Rußland-Krieges, glaubt Stalin seinem Meisterspion.

Auch zwei neue Panzerbrigaden mit T 34 und KW 2 kann Stalin in die Schlacht werden; erstmals greifen bei Borodino T34 in geschlossenen Verbänden an. Sie können das, denn sie rollen noch: der T34 erweist sich auf seinen überbreiten Ketten als ziemlich schlammgängig.

So wird die Schlacht bei Borodino mörderisch. Die Waffen-SS-Division „Das Reich", das Panzerregiment 7, das Artillerieregiment (mot) 90 und das Kradschützenbataillon 10 rennen hier gegen die Sibirier, gegen Bunker, ferngesteuerte Flammenwerferstände, Drahtverhause an. Die Verluste sind entsetzlich, bei der SS-Division muß ein Regiment aufgelöst, der geringe Rest auf die anderen Regimenter verteilt werden.

Und dann wühlen sie sich doch irgendwie durch, reiben nach und nach die Sibirier auf, schlagen ein Loch in den Riegel, nehmen am 19. Oktober Moschaisk, kämpfen sich beiderseits und auf der Autobahn voran.

Die 10. Pz. Div. unter General Fischer hat das starkbefestigte Straßenkreuz Schelkowka genommen und ist über die Moskwa in den Raum nördlich Rusa vorgestoßen. Hier hat sie nicht der Russe, sondern der Schlamm gestoppt. Bis zu den Knieen im Schlamm watend baut das Pz. Pionierbataillon 49 einen 15 Kilometer langen Knüppeldamm, um wenigstens die vorderen Einheiten untereinander beweglich zu erhalten. Nachschub kommt nicht mehr heran. Die Pioniere schuften tagsüber mit einer Hungerration im Leib, für zehn Mann gibt es ein Kommissbrot. Nachts schießen sie sich mit angreifenden Russen herum. Als der Knüppeldamm endlich fertig ist, kommt Frost. Der Knüppeldamm wäre nicht mehr notwendig. Aber jetzt hat sich der Russe in einem Waldstück darauf festgesetzt und blockiert die Verbindung zur Divisionsspitze. Wieder müssen die erschöpften Pioniere nachts raus und die Verbindung freikämpfen. Dreißig Mann kostet sie das Unternehmen gegen die Sibirier, die wahre Meister im Waldkampf sind. Dann ist es geschafft.

Auch südlich und nördlich der Autobahn schieben sich die Angriffsspitzen immer näher an die Stadt heran, noch 80 Kilometer, noch 60. Doch dann können sie nicht mehr. Der Schlamm hält sie fest, nicht nur die Kampftruppe vorne, sondern vor allem den Nachschub hinten. Sprit kommt nur noch kanisterweise nach vorn, Granaten werden stückweise zugeteilt, auch die Verpflegung wird knapp - so kann man nicht kämpfen, so kann keine Armee der Welt kämpfen. Während sich in Moskau der Schreckensruf verbreitet: „Die Deutschen kommen!", siegt Ende Oktober, Anfang November vor den Toren der Stadt endgültig der Schlamm. Bewegungskrieg, wenn man unbeweglich ist - das geht nicht. Jetzt fehlen die 5 Wochen, die zwischen dem 24. August - als der Angriff auf Moskau (statt auf Kiew) hätte gestartet werden können-und dem 2. Oktober liegen, als er gestartet wurde. Diese Zeitspanne macht den Unterschied zwischen Fahren und Festliegen, zwischen Staub und Schlamm, zwischen schwierig und unmöglich.

General J. F. C. Fuller, britischer Kriegshistoriker von Rang, schreibt: „Aller Wahrscheinlichkeit nach war es nicht so sehr der Widerstand der Russen - so groß er auch war - oder der Einfluß des Wetters auf die Luftwaffe, als vielmehr das Im-Schlamm-Versinken der Transportfahrzeuge der deutschen Front, wodurch Moskau gerettet wurde."

So ist es. Jedenfalls in den letzten Oktobertagen. Überall in dem Halbkreis vor Moskau, hier ein paar Tage früher, da ein paar Tage später, heißt es nun: „Das ganze halt". Man muß warten, bis der Frost kommt, der Boden hart wird, bis man wieder fahren kann.

Gruß
Josef

 


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