Autor Thema: Lviv/Lemberg "Stadt der verwischten Grenzen"  (Gelesen 292 mal)

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Lviv/Lemberg "Stadt der verwischten Grenzen"
« am: Sa, 22. Dezember 2007, 17:55 »
Lwiw heißt die Stadt auf Ukrainisch, Lwow auf Polnisch. Der lateinische Name ist Leopolis, der deutsche Lemberg. Viele bezeichnen die Stadt am Fluss Poltwa, etwa 80 Kilometer von der heutigen Grenze Polens entfernt, als „heimliche Hauptstadt der Ukraine". Lemberg trug in seiner wechselvollen Geschichte noch mehr Ehrentitel. „Paris des Ostens", „Klein Wien" oder „Hauptstadt Galiziens" nannte man den Ort, der mal zu Österreich-Ungarn, mal zu Polen gehörte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte Lemberg neben Wien, Budapest, Prag und Triest zu den fünf wichtigsten Städten der Donaumonarchie.

Noch vor zwei Generationen sprach man in den Gassen der Altstadt Deutsch, Jiddisch, Rumänisch, Polnisch, Ukrainisch, Russisch und Armenisch. Menschen verschiedenster Kulturen lebten über die Jahrhunderte hinweg meist friedlich zusammen. Für Juden bedeutete die Stadt Zuflucht vor Verfolgung und Ausbruch aus der Enge des „Schtetl". Lemberg hatte mit 110. 000 Juden in den dreißiger Jahren die drittgrößte Gemeinde Polens, mit sieben Synagogen, 150 Bethäusern, jüdischen Gymnasien, Tageszeitungen, Theatern und Sportvereinen.


Mit dem Kriegsausbruch 1939 besetzte die Rote Armee den östlichen Teil Polens, nach
Hitlers Überfall auf die Sowjetunion wurden die meisten jüdischen Bewohner im Ghetto interniert und später ermordet.

Als die Stadt dann 1944 wieder unter sowjetische Herrschaft kam, mussten die meisten der noch verbliebenen Polen Lemberg verlassen. Viele Ukrainer starben im Gulag oder verbrachten Jahrzehnte in der Verbannung. Die heutige Gesellschaftsstruktur hat daher mit dem alten Lemberg nicht mehr viel gemein. Nach dem Krieg kamen Zuzügler aus der gesamten Ukraine und auch aus Russland, und die Wahrheit über die Geschichte Lembergs war zu Sowjetzeiten ein Tabu. Mit dem Kampf um demokratische Verhältnisse in der Ukraine haben die jetzigen Bewohner jetzt begonnen, sich mit der Geschichte ihrer Stadt zu beschäftigen.

Mit der Ausstellung „Wo ist Lemberg?" im Centrum Judaicum laden die Jüdischen Kulturtage zur Begegnung mit einem Ort ein, an dem sich einst visionäre Wissenschaftler, internationale Bühnenstars und viele heute vergessene Künstler trafen. Entstanden sind „12 Bausteine einer Stadt": Dieses Prinzip ermöglicht den Besuchern einen virtuellen Stadtrundgang mit ganz unterschiedlichen Einblicken. So werden die beliebten Radiokabarettisten Szcepko und Tonko in Ton und Filmdokumenten präsentiert, wird der Salon der Opernsängerin Salomea Kruschelnytska als Modell nachgebaut. Die Ausstellung stellt das Werk der avantgardistischen jiddischen Dichter Melech Rawitsch und Debora Vogel vor und würdigt den Lemberger Arzt und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck. Auch die Lebensläufe von Josef Roth, der Lemberg als eine „Stadt der verwischten Grenzen" bezeichnete, von Bruno Schulz, Stanislaw Lem, Karl Radek oder Leopold von Sacher-Masoch sind mit dieser Stadtverbunden.

Mit Bildern, Texten, Tondokumenten, Filmen, Installationen, erzählt die Ausstellung Geschichten aus dem multikulturellen Leben einer Stadt, die ähnlich wie Odessa, Wilna und Czernowitz in der jüdischen Erinnerung zum Mythos -wurde. Mehr als zwei Jahre lang haben die Kuratoren Irene Stratenwerth und Roland Hinrichs eng mit Künstlern, Publizisten und Wissenschaftlern im heutigen Lwiw zusammengearbeitet. Außerdem präsentieren Künstler, Fotografen, Besucher und ehemalige Bewohner, die jetzt in Berlin leben, ihren ganz persönlichen Blick auf Lemberg.

Quelle:Berliner Morgenpost (Aug./September 2007)

mfg
Josef
« Letzte Änderung: Fr, 02. Juli 2010, 00:09 von Ulla »

 


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