Autor Thema: Minenoffensive gegen England 1939/40  (Gelesen 430 mal)

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Minenoffensive gegen England 1939/40
« am: Sa, 09. Februar 2008, 20:32 »
Am 13. November 1939 läuft der britische Zerstörer Blanche beim Tongue-Feuerschiff auf eine Mine und sinkt. Am 21. November läuft der Zerstörer Gipsy dicht vor Harwich auf eine Mine. Oben im Norden, im Firth of Forth, reißt eine Mine dem brandneuen Kreuzer Belfast den Kiel weg. Am 26. November sinkt bei den Outer-Dowsing-Bänken vor dem Humber das 14 294 , BRT große polnische Passagierschiff Pilsudski: Minentreffer. Am 4. Dezember erwischt es die Nelson. Das 34 000 tSchlachtschiff läuft im schottischen Loch  Ewe auf eine Mine und wird schwer beschädigt.   

Von der Themsemündung bis zum Firth of Forth kracht es. 67 Handelsschiffe mit 252 237 BRT gehen unter; 3 britische Zerstörer und 6 Hilfsschiffe sinken. England, die Admiralität ist entsetzt. Wie  kommen die Minen in die britischen Schiffahrtswege? Direkt vor die englische Haustür?

Die britischen Seeleute auf den Minenräumbooten kommen in diesen Wochen aus dem Ölzeug nicht heraus. Sie reißen hunderte Ankertauminen los, vernichter sie. Und melden: „Fahrwasser ist frei!" Solche Funksprüche werden nicht alt; es scheppert schon wieder!

Für die alliierte Schiffahrt werden in diesem ersten Kriegswinter die deutschen Minen zu einer heimtückischen Gefahr ersten Ranges. Sie drohen den Lebensnerv der Insel zu kappen. Die Räumflottillen leisten Schwerarbeit. Kreuzer, Zerstörer, Korvetten wühlen durch die winterliche See und suchen den „eierlegenden Jerry". Nirgendwo fassen sie ihn. Es kracht und kracht. Feuerfontänen schießen hoch. Stahl und Eisen kreischen. Seeleute werden zerfetzt; hängen im eiskalten Wasser stumm und steif in ihren Schwimmwesten. Bis zum März 1940 sinken vor Englands Küste 128 Handelsschiffe mit 429 899 BRT durch Minen. Die Geheimwaffe der deutschen Marine funktioniert präzise und tödlich. Die Nacht ist kalt. Über der See liegen flache Nebelschleier. Der deutsche Zerstörer Hans Lody schleicht mit abgeblendeten Lampen am Cromer-KnollFeuerschiff vorbei. In seinem Kielwasser folgt das Schwesterboot, der Zerstörer Erich Giese; vollbeladen mit 76 Minen. Hans Lody ist Führungs- und Sicherungsboot und hat deshalb keine „Eier" an Bord.

Um 2.05 Uhr kommt backbord voraus das Haisborough-Feuerschiff in Sicht. Die Zerstörer sind jetzt in der schmalen Fahrrinne zwischen der Küste der Grafschaft Norfolk und den vorgelagerten Sandbänken. Um 2.12 Uhr erreicht der schwerbeladene Erich Giese seinen Einsatzpunkt. Hier ist der Cromer Leuchtturm 4,2 sm entfernt und peilt in 271 Grad.

Der Zerstörer stoppt. Auf dem Achterdeck machen die Minen-Spezialisten die Ablaufschlitten klar. Zwei Schienen führen zum Heck. Schwarz, drohend stehen in zwei langen Reihen die wuchtigen „Eier" klar zum Wurf.   

Es sind immer zwei EMC-Minen (Einheitsmine Typ C), die an einem Ankertau nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche hängen bleiben und nur detonieren, wenn ein Schiff dagegen stößt. Aber zwei EMC-Minen folgt auf den Ablaufschienen jeweils eine RMA, eine Grundmine mit Magnetzündung.

Die RMA-Mine hängt an keinem Ankertau und kann somit auch nicht vom Geschirr der Räumboote abgeschnitten werden. Eine RMA sinkt nach dem Wurf auf den Meeresgrund und wartet darauf, daß sie von einem Schiff überlaufen wird. Der vertikale Eigenmagnetismus des Schiffes löst dann die Magnetzündung aus, und die Mine explodiert. Das Schiff braucht also das „Ei" nicht mehr, wie bei den konventionellen Minen, anzustoßen, um es zur Explosion zu bringen.

Lediglich die Wassertiefe setzt der Grundmine Grenzen. Die RMA-Mine ist ideal für 20 bis 30 Meter tiefe Küstengewässer, Flußmündungen und Hafeneinfahrten. Hier hat sie eine verheerende Wirkung.

Außer der RMA haben die Deutschen in den dreißiger Jahren noch zwei andere Grundminen-Typen entwickelt: Zum einen die TMB. Sie kann aus den Torpedoroh ren der U-Boote ausgestoßen werden. Zum andern die LMA, eine Flugzeugmine zum Abwurf. Mit Bremsfallschirm, damit sie nicht zu hart auf das Wasser schlägt, sondern sanft hineingleitet.

Damit besitzt die deutsche Marine 1939   eine Geheimwaffe, der mit den herkömmlichen Minenräum-Verfahren nicht beizukommen ist. Leider lagern bei Ausbruch des Krieges in den Marinedepots kaum mehr als 1000. Grundminen aller Typen. Die monatliche Produktion ist geradezu lachhaft, ein Masseneinsatz nicht möglich.

Die deutsche Seekriegsleitung hatte nicht mit einem Krieg gegen England gerechnet.
Die Magnetminen haben die Engländer erfunden. 1918 besaß die Royal Navy etwa 500 Magnetminen. Die XX. Destroyer-Flotilla legte damals die „Teufelseier" an der flandrischen Küste aus. Nur, die britischen Magnetminen hatten ihre Mucken. Statt unter einem Schiff zu detonieren, platzten sie neben oder hinter dem Schiff. Die deutschen kaiserlichen Matrosen wunderten sich, rätselten, was das sollte?

Beim Sperrkommando der Reichskriegsmarine in der Kieler Wik kam man dahinter - und machte es besser. Aufbauend auf eigenen Versuchen mit Magnetzündungen für Torpedos, entwickelten der Marineoberbaurat Bauermeister und der Physiker Bestelmeyer eine zuverlässige, magnetische Zündung für Minen. 1930 legte die Reichsmarine die ersten 50 geheimen Grundminen ins ebenso geheime Marinedepot.

Auf dem Zerstörer Erich Giese packen fünf, sechs Männer einen Ablaufschlitten, auf dem beinahe mannshoch eine Grundmine liegt. „Hauruck!" Der Ablaufschlitten wird angeschoben, kommt in Schwung und kippt mit Karacho über das Heck.

Harte Knochenarbeit.
Als die 61. Mine ins Wasser klatscht, krepiert sie mit gewaltigem Donnerschlag und gelb-rotem Feuerball. Der Zerstörer bockt. Halb Norfolk wird von dem Krach aus den Betten gescheucht. Scheinwerfer flammen an Land auf, suchen den Himmel ab. „Gottverdammter Jerryi" Weil's so schön war, das Ganze gleich noch einmal. Um 2.36 Uhr bumst es wieder. Eine ' EMC-Mine geht hoch. Auf dem Haisborough-Feuerschiff läutet die Schiffsglocke. An Land heulen Luftschutzsirenen. Scheinwerfer fummeln am Himmel herum. Auf die Idee, daß die Deutschen fast unmittelbar vor der Strandpromenade auf und abfahren, kommt kein Engländer.

Auf Erich Giese kippen die Männer mit „Beeilung Leute!" die letzten Minen über das Heck. Dann nimmt der Zerstörer Fahrt auf. Zusammen mit Hans Lody, der nördlich gesichert hat, jagen die Boote was die Maschinen hergeben durch die Nacht; nordwärts mit 36 Knoten über den englischen Schiffahrtsweg.

Bei dem Affenzahn, den die Zerstörer drauf haben, überholen sie zwei britische Boote, die hier herumschnüffeln. Bevor die Engländer merken, wen sie vor sich haben, gibt der Kommandant der Erich Giese, Korvettenkapitän Smidt, Feuererlaubnis. Oberleutnant Kray, der Torpedooffizier, schießt einen Viererfächer. Und zum drittenmal rumst es in dieser Nacht. Eine Feuersäule schießt hoch. Munition explodiert. Es ist der britische Zerstörer Jersey, erst im April in den Dienst gestellt, den es erwischt hat. Die englische Admiralität meint: Von einem deutschen U-Boot torpediert. Daß deutsche Zerstörer in ihren Küstengewässern herumfuhrwerken, können sich die Seelords nicht vorstellen.
Mittags laufen die Boote wieder in Wilhelmshaven ein.

Die Seekriegsleitung wird übermütig

In den langen, dunklen Neumondnächten des ersten Kriegswinters verminten die deutschen Zerstörer allein viermal die Themsemündung, dreimal das Seegebiet vor Cromer, zweimal die Humbermündung und den River Tyne bei Newcastle. 288 Grundminen klatschten in den South-Channel, in den Edinburgh-Channel, in den Sunk-Channel. Die deutschen Boote kehrten von allen Fahrten unbehelligt und ohne Verluste zurück. Ihre Erfolge machen die Seekriegsleitung übermütig. Nun will sie auch die vorrätigen 120 Luftminen den Briten vor die Haustüre schmeißen.

Am 20. November 1939 abends fliegen neun He 59-Schwimmerflugzeuge von der Küstenstaffel 906 zum ersten Luftmineneinsatz über der Themsemündung. Aber nur vier Maschinen erreichen das Ziel. Die anderen Schwimmerflugzeuge kehren wegen fehlerhafter Navigation um. Diese Heinkel's sind veraltete Vögel. Als Aufklärer zu lahm, und für den Luftmineneinsatz zu schwach. Eine He 59 kann nur zwei Grundminen laden. Gegen die 76 Minen auf einem Zerstörer ist dieser Lufteinsatz nicht einmal seinen Sprit wert. Göring hat recht, wenn er sagt: „Wenn fünftausend magnetische Luftminen bereitliegen, erst dann ist die Luftwaffe voll dabei."

Für die Seekriegsleitung sind fünftausend Luftminen reine Utopie. Also werfen die Flieger von der Küstenstaffel 906 am ersten Abend 7 Grundminen in die Themse. Am zweiten Abend sind es 10 Grundminen. Am dritten Abend klatschen 24 „Eier" in die Themsemündung und in die Kordsee vor Harwich.

Es ist der 22. November 1939 gegen 22 Uhr. Auf dem Nordufer der Themsemündung, bei Shoeburyness bepeilen die Tommys von der Küstenwache eine He 59, die über dem Wasser herumkurvt und scheinbar nicht so recht weiß, was sie will. Da schweben zwei Fallschirme herab; schwarze Kugeln unten dran. Die Luftminen fallen aber nicht ins Tiefwasser, sondern in das Watt. Um Mitternacht ist das Wasser mit der Ebbe abgelaufen - und die Magnetminen, die deutsche Geheimwaffe, liegen sichtbar im Schlick.

Noch in der Nacht kommen zwei Sperrwaffenoffiziere der Royal Navy nach Shoeburyness; die Kapitänleutnante Ouvry und Lewis. Am Nachmittag des 23. November werden die beiden „Jerry' Eier" an Land geholt und untersucht. Nur die Kriegslage hindert die beiden britischen Offiziere, dem deutschen Marinechef, Großadmiral Raeder, ein Danktelegramm zu senden.

Denn das Geheimnis der deutschen Magnetminen ist gelöst. Und die Grundminen verlieren schnell ihren Schrecken. Magnetzündungen von Minen und Torpedos unwirksam zu machen, ist ziemlich einfach. Man legt einen Magnet-Eigenschutz, ein elektrisches Kabel, um das Schiff und leitet Strom hindurch. Das ist der ganze Trick.

Am Abend des 22. Februar tritt dann ein Ereignis ein, das auch den Minenunternehmen der Zerstörer ein Ende setzt. Sechs Boote laufen von Wilhelmshaven aus. Ihr Ziel: Englische Vorpostenboote im Seegebiet der Doggerbank kapern. Das Unternehmen heißt „Wikinger", ursprünglich sogar „Störtebeker". Die frisch-fröhliche Seeräuberei findet ein vorzeitiges Ende, als ein deutscher He 111 Bomber am Himmel auftaucht. Die Bomberbesatzung weiß nicht, wen sie vor sicht hat, wirft ihre Bomben und verschwindet. Die Zerstörer Leberecht Maaß und Max Schultz werden getroffen und gehen unter.

Die Katastrophe vom 22. Februar 1940 veranlaßt die Seekriegsleitung, vorerst keine Zersörer in die Nordsee zu schikken. Damit sind auch die Minenoperationen zu Ende.

Quelle:Der zweite Wetkrieg (1968)

Bilder:Unter den englischen Kriegsschiffen,die auf Minen liefen,waren der Kreuzer Belfast (Bild 1) und das Schlachtschiff Nelson (Bild 2).

mfg
Josef
« Letzte Änderung: Fr, 02. Juli 2010, 20:07 von Ulla »

 


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