Autor Thema: KZ-Gedenkstätte Flossenbürg  (Gelesen 3570 mal)

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Offline Hubert

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Wie Flossenbürg mit dem KZ lebte
« Antwort #30 am: Sa, 05. Mai 2012, 16:10 »
Als Kind sah Franz Gruber die Verbrechen der Nazis in seinem Heimatort. Heute kämpft er gegen rechte Tendenzen in der Gesellschaft.

FLOSSENBÜRG

Die versteckten Kartoffeln und Zwetschgen für die hungernden Häftlinge, die schlagenden Kapos bei den Appellen am Bahnhofsplatz und die sechs gehängten KZ-Insassen unter den beleuchtenden Christbaum: Wie Lichtblitze knipsen sich die Erinnerungen bei Franz Gruber (Name geändert) an. Franz war ein kleiner Bub, als er das alles gesehen hat. Er wohnte gleich neben den Bahnhof in Flossenbürg. Als die NS-Schreckensherrschaft endete, war er elf Jahre alt und geprägt von Eindrücken, die ihn den Rest seines Lebens nicht mehr loslassen sollten. Heute kämpft er gegen rechtsextremistische Tendenzen in der Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum er seinen Name in der Zeitung nicht lesen möchte. Er hat bittere Erfahrungen mit Neonazis gemacht und nun Angst vor weiteren Angriffen.

"Natürlich haben viele weggeschaut"
Denn Franz Gruber scheut sich nicht, das, was zwischen 1938 und 1945 in seiner Heimatstadt Flossenbürg passiert ist, in Worte zu fassen. "Natürlich haben viele in Flossenbürg einfach weggeschaut. Andre haben versucht zu helfen, aber das war gefährlich." Unmöglich sei es aber gewesen, gar nichts mitzubekommen, ist sich Franz Huber sicher. "Die Häftlinge wurden jeden Tag durchs Dorf ins KZ getrieben, das muss doch jeder gesehen haben." In der Familie des heute 78-Jährigen nahm man das Unrecht an den Menschen genau so war. Noch heute kommen Gruber die Tränen, wenn er darüber spricht, wie seine Eltern versuchten, den bis auf die Knochen abgemagerten KZ-Insassen ein bisschen Essen zu zustecken und sich dabei in Lebensgefahr gebracht. "Meine Mutter legte Kartoffeln und Obst zwischen die Holzlatten, auf denen die Granitsteine am Bahnhof verladen wurden. Das wussten die Häftlinge und suchten natürlich danach." Wenn es ihr gelungen sei, etwas Hilfe zu leisten, sei sie immer sehr glücklich gewesen, sagt Franz Gruber. Doch die Gefahr, dabei erwischt zu werden, war groß. "Alles war verspitzelt, man musste sehr vorsichtig sein in dem, was man tat und sagte", erinnert er sich. Gruber, der heute nicht mehr in der Oberpfalz lebt, kann sich erinnern, wie ein SS-Mann einigen Flossenbürgern drohte: "Ihr steht alle auf der schwarzen Liste, nach dem Krieg kommt Ihr weg." Am Bahnhof seien Häftlinge mit schwerer Arbeit betraut gewesen. Fast täglich verließen Züge mit Granit den Ort. Auch an die Häftlingstransporte kann sich Gruber erinnern. "Einmal stiegen nur Frauen aus einem der Züge aus. Sie waren sehr geschwächt, weinten und wimmerten. "Es ging einem durch und durch." Doch die Kapos zeigten keine Spur von Mitleid. Sie ließen sie zwei Stunden am Bahnhofsplatz zum Appell stehen und lachten sie aus, als sie ihre Notdurft nicht mehr unterdrücken konnten. "Ich war noch ein Kind, aber das zu sehen, tat mir weh", sagte er. Gesehen hat er auch, wie Tote aus den angelieferten Waggons fielen, wenn die Türen geöffnet wurden. "Man hat sie dann auf Truhenwagen geworfen und weggebracht." Einmal sah Gruber, wie sich ein für tot gehaltenen Häftlich auf dem Pferdewagen aufrichtete. "Da ließen ihm die Kapos den Deckel der Truhe auf den Kopf fallen."
 Das Schicksal des jüdischen Jungen Gerhard Hoffman aus Hamburg ist Franz Gruber besonders in Erinnerung geblieben. Er hat den 15-jährigen Buben oft getroffen, wenn er auf dem Weg zur Schule war. "Ich habe ihm immer ein Stück Brot gegeben", erzählt Gruber. Doch irgendwann sei der Junge nicht mehr aufgetaucht und er habe sich Sorgen gemacht. "Mein Vater hat ihn an seiner Arbeitsstelle wiedergefunden. Die Nazis hatten seine Intelligenz erkannt und ihn zum Arbeiten in die Messerschmitt-Hallen im Nachbarort geschickt." Von da an habe sich sein Vater um ihn gekümmert und Gerhard Hoffmann mit Brot und Eiern versorgt. Der Junge überlebte den Nazi-Terror und ging nach Israel. Jahrzehnte später erfuhr Gruber, dass sein Freund 1964 in Israel gestorben war. Umso größter war die Freude, als sich dessen Tochter aus Chicago meldete und Franz Gruber 2011 in Deutschland besuchte. Gemeinsam reisten sie zur Gedenkstätte Flossenbürg.

Sechs Gehängte unterm Christbaum

Seine schlimmste Kindheitserinnerung hat der gebürtige Oberpfälzer an eine Weihnachtsnacht. Nach dem Besuch der Christmette habe er auf dem KZ-Gelände sechs gehängte Häftlinge unter einem beleuchteten Christbaum gesehen, sagt Gruber. Doch in Flossenbürg habe ihm dieses Erlebnis jahrelang niemand geglaubt. "Im Ort wird das bis heute abgestritten." Doch Gruber sieht sich in seiner Erinnerung mittlerweile gestärkt, denn bei einem Überlebendentreffen im Konzentrationslager war die Zeichnung eines Häftling mit genau dieser Szene ausgestellt. "Dieses Bild hat mich total geschockt",sagt Gruber.
   Für den 78-Jährigen ist es wichtig, die Erinnerungen an diese Zeit in Flossenbürg aufrecht zu erhalten. Gerade in Zeiten, in denen Neonazis wieder ihre braunen Parolen verbreiten. "Die NPD ist unbelehrbar, mein einziger Wunsch wäre, sie zu verbieten", sagt Gruber. Denn das, was sich zwischen 1938 und 1945 in Flossenbürg zugetragen habe, dürfte nie mehr passieren.


Quelle: MZ-Regensburg, 06.April 2012
Grüße Hubert
« Letzte Änderung: Sa, 05. Mai 2012, 16:24 von Hubert »
MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"

Offline Hubert

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Sechs Kilometer Gleis
« Antwort #31 am: So, 06. Mai 2012, 13:42 »
Auf der Eisenbahn-Nebenstrecke von Floß nach Flossenbürg wurden Nazi-Gefangene ins Konzentrationslager transportiert. Für viele war es eine Reise in den Tod.

Flossenbürg.Es ist der Geruch des Todes. Eine Mischung aus Körperausdünstungen und Angstschweiß. Er durchdringt jede Ritze in dem völlig überfüllten Eisenbahnwaggon. Die Menschen wimmern, stöhnen, weinen. Der beißende Gestank trübt die Sinne, nimmt dem Körper die letzte Kraft. Ist das nun das Ende?
   Bis heute trägt Jakob Garfein diese Bilder in sich. 14 Jahre war er damals alt, als er in dem Zug nach Flossenbürg saß. Er hat es geschaft, das KZ Auschwitz zu überleben, auch den folgenden Todesmarsch. Er wusste nicht, wohin er jetzt gebracht wurde. "Mein Gefühl sagte mir, dass die Erwachsenen mit den Tod rechneten." Doch er wollte nicht sterben. "Meine Gedanken in Flossenbürg kreisten darum, jeden Tag zu überstehen, ja nicht zu tun, wodurch ich aufgefallen wäre." Das sei damals seine größte schauspielerische Leistung gewesen. Seine Fahrt nach Flossenbürg führte nicht in den Tod. Aus Jakob wurde Jack Garfein, ein gefeierter Regisseur.

Im Zug ins Arbeitslager

Es ist das dunkelste Kapitel in der oberpfälzer Eisenbahngeschichte; Auf der sechs Kilometer langen Nebenstrecke zwischen Floß und Flossenbürg wurden zwischen 1938 und 1945 Gefangene des Nazi-Regimes mit Zügen der Deutschen Reichsbahn ins Konzentrationslager gebracht. Flossenbürg galt als Arbeitslager. Es sollte nicht allein dazu dienen, politische Gegner der Nationalsozialismus zu internieren und zu terrorisieren. Die SS wollte auch wirtschaftlichen Profit aus der Häftlingsarbeit ziehen, heißt es in einer Dokumentation der Gedenkstätte Flossenbürg. In dem Lager wurden anfangs politisch Andersdenkende, Homosexuelle und Obdachlose ausgebeutet. Später kamen jüdische Häftlinge sowie polnische und russische Gefangene dazu.
  Jack Garfein ist ein Jude. Im Mai 1944 wurde er zunächst nach Auschwitz deportiert. "Mein Weg nach Flossenbürg begann mit dem Todesmarsch von Schlesien in Richtung Reichsmitte", erinnerte er sich im MZ-Interview. Während der Deportation musste der in Mukatschewe (damals Tschechoslowakei, heute Ukraine) geborene Jakob Todesangst durchleben. So bückte sich der entkräftete Junge auf dem Marsch, um aus einer Pfütze zu trinken. Ein SS-Mann hielt ihm eine Waffe an den Kopf und befahl ihm, sofort wieder aufzustehen, sonst würde er abdrücken. "Bis heute weiß ich exakt die Stelle, wo der Lauf der Waffe den Kopf berührte". Irgendwann erreichten sie einen Bahnhof und Garfein stieg mit den anderen Gefangenen in den Waggons. Dann setzte sich der Zug in bewegung - für die Reise ins Ungewisse.
   Die Deutsche Reichsbahn erhielt vom Reichssicherheitshauptamt unter Führung von Adolf Eichmann die Aufträge für die Transporte in die Konzentrationslager. Die Massentransporte in den Tod wurden als "Reisesonderzüge" unter einem großen bürokratischen Aufwand abgewickelt . Im Juli 1941 wurden für die Beförderung von "Juden und fremdvölkischen Personen zur Aussiedlung aus dem Deutschen Reich" ein Tarif von zwei Reichspfennig je Kilometer, "der halbe Fahrpreis der 3.Klasse" , erhoben. Zunächst kamen Personenwagen zum Einsatz, später auch spezielle gedeckte Güterwagen, die eigentlich für Militärtransporte vorgesehen waren.

"Er wollte mich umbringen" 

In so einem Waggon saß vermutlich auch Jack Garfein. Er beschreibt ihn als "Viehwaggon, der mit 80 bis 100 Menschen besetzt war." Es sei unmöglich gewesen, die Beine auszustrecken. "Ich setzte mich auf den Boden" - mit den Knien angezogen bis zur Brust." In seiner Hosentasche bewahrte Jack Garfein auf seiner Fahrt nach Flossenbürg noch ein Stückchen Brot auf. Ein Erwachsener bemerkte das fasste den Entschluss, den Jungen für diese kleine Essensration zu töten. "Er setzte sich mit aller Gewalt auf mich . Er versuchte mich umzubringen", schildert Garfein die Geschehnisse. " Ich biss so fest in seinen Oberschenkel, dass er schrie und von mir abließ."
   Die Ankunft in Flossenbürg kann der heute 81-jährige nur noch vage beschreiben. "Ich erinnere mich an frische Luft und was für eine Befreiung das war, nach dem entsetzlichen Gestank im Viehwaggon". Er habe auch sowas wie Hoffnung gefühlt, sagte Garfein. "Die zivilisierte Atmosphäre der Gebäude und Straßen gaben mir ein sicheres Gefühl - anders, als wenn wir in einem Lager oder auf einem Feld angekommen wären." Doch der schein trügte, wie der 14-jährige erkennen muste. Flossenbürg diente Hitler als Materialliferant für seine mächtigen Bauwerke. Granit für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und später für die geplante Welthauptstadt Germania. "Ohne Sicherheitsvorkehrungen, schlecht bekleidet und bei jeder Wetter mussten sie Erde abtragen, Granitblöcke absprengen, Loren schieben und Steine schleppen. Unfälle waren an der Tagesordnung.
   Kälte, harte Arbeit, völlig unzureichende Ernährung und die willkürliche Gewalt von SS-Männern und Kapos führten von zum Tod vieler Häftlinge, heißt es in der Dokumentation der Gedenkstätte. Täglich verließen bis 1943 Züge mit dem Granit den Bahnhof. Später wurden die Häftlinge in die Kriegsmaschinerie eingesetzt. Für Messerschmitt bauten sie Nahe Flossenbürg das Jagtflugzeug Me 109.
   Für Garfein waren in der Oberpfalz die grausamsten Kapos. Am Ende als über 15 000 Menschen unter menschenunwürdigen Bedingungen in dem Lager untergebracht waren - gab es 3000 Wachposten, darunter 500 Frauen "Ihre Peitschen waren mit Leder umwickelt und sie schlugen die Menschen ins Gesicht und auf den Kopf."

Schikaniert, ausgebeutet, getötet

Daran kann sich Alexander Laks erinnern, ein Flossenbürg-Überlebender, der heute in Brasilien zu Hause ist. Am MZ-Telefon schildert er den Alptraum, der ihn bis zum Ende seines Lebens begleiten wird. "In Flossenbürg wurde mein Vater ermordet. Ich war 16 Jahre alt und musste mit ansehen, wie er erschlagen und auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurde." Flossenbürg beschreibt der 83-jährige als schlimmstes Konzentrationslager-noch brutaler als Auschwitz, wo seine Mutter vergast wurde. "Es gab fast kein Essen, Schläge und ständig Appelle, Appelle, Appelle."
   Im KZ Flossenbürg und seinen Außenlagern verloren 30 000 Menschen ihr Leben. 100 000 Menschen wurden inhaftiert. Solange sie Arbeitskraft dienten, wurden die Gefangenen schikaniert und ausgebeutet, dann getötet. Es habe auch Kapos gegeben, die die Jungen zu homosexuellen Handlungen zwangen, erinnerte sich Jack Garfein. "Mein Onkel riet mir, mich krank und schwach zu stellen, um sie abzuschrecken. Ich glaube, das war einer meiner besten ersten Schauspielversuche" , sagt der 81 jährige, der später mit Stars wie James Dean und Marilyn Monroe arbeitete.
     Irgendwann spürten die Gefangenen in Flossenbürg, dass der Krieg bald zu Ende gehen würde, sagte Garfein. "Die russischen Kriegsgefangenen fürchteten die kommende Befreiung. Sie hatten Angst davor, von der Sowjetunion bestraft zu werden, weil sie kapituliert hatten." Garfein wurde noch vor der Einnahme der Amerikaner von Flossenbürg ins Arbeitslager Ohrdruf gebracht und von dort ins KZ Bergen Belsen, wo er am 15.April 1945 von den Briten befreit wurde. Der heute in Paris und Los Angeles lebende Garfein, der mit der Schauspielerin Carroll Bakker zwei Kinder hat, verlor durch den Holocaust seine gesamte Familie.
     Auch Alexander Laks blieb alleine zurück. Als Flossenbürg am 16.April 1945 von der SS geräumt wurde, wurde er mit anderen Häftlingen in einen Zug Richtung Bodensee gebracht. An Details kann er sich kaum erinnern. Aber er sei sicher gewesen, dass es eine Fahrt in den Tod werden würde. "Ich wog nur noch 28 Kilo. Eigentlich hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen", schilderte er die letzten Tage vor der Kapitulation. "Ich war ohne Eltern, ohne Freunde, ohne Perspektive, ohne Zukunft." Doch Laks überlebte und hielt das Versprechen an seinen Vater , der Welt von den Verbrechen zu erzählen.
  Jack Garfein und Alexander Laks haben die Gedenkstätte besucht. Laks will im Juni wieder kommen. Die Holocaust-Überlebenden blicken nicht in Zorn zurück. Doch sie wollen, dass künftige Generationen wissen, wofür Flossenbürg sieben Jahre Stand.



Quelle : MZ-Regensburg,6.April 2012
Grüße Hubert
« Letzte Änderung: So, 06. Mai 2012, 14:57 von Hubert »
MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"

 


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