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Der Elendsmarsch von Hainsacker

Begonnen von Hubert, Do, 16. April 2015, 15:03

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Hubert

Heute Abend ist eine Erzählung über den Marsch und ich werde natürlich dabei sein. Habe schon im Vorfeld einiges gehört.

Hier der Artikel zum Vortrag aus der MZ vom 15.04.2015

Grüße Hubert

Der Elendsmarsch von Hainsacker

Das Tagebuch des Hans-Friedrich Lenz ist entziffert: Es beweist, dass das KZ-Grauen 1945 auch Lappersdorf gestreift hat.

Lappersdorf.Am Donnerstag um 19.30 Uhr wird im Prössl-Saal von Hainsacker den Zuhörern schon etwas abverlangt, wenn Erwin Hadwiger erzählt, dass ,,genau heute vor 70 Jahren keine 50 Meter von hier entfernt an die 600 KZ-Häftlinge auf den Weitermarsch nach Dachau warteten. Sie lagerten auf der Prössl-Wiese, davon8o Kranke in der Scheune." 40 SS-ler bewachten sie mit Schäferhunden. Neugierige Kinder wurden vor den Häftlingen gewarnt. ,,Das sind Menschenfresser."

Der 71-Jährige wird sie als abgemagerte Gestalten in grau-blau gestreifter Häftlingskleidung und Holzschuhen beschreiben. Auch Buben um die 14 Jahre alt schleppen sich. Sie kommen von Kallmünz durch Schwaighausen und lagern am Schönsteinerhof in Unterkaulhausen.
Kohlhäufl knackte Kurzschrift

Hauptscharführer Fritz Samigk, der SS-Arbeitsdienstführer des Außenlagers von Flossenbürg, erschießt einen Eier-Dieb. Ein Elender, den der Schäferhund niederreißt, wird zu Tode getreten. Insgesamt zehn Tote gibt es. Der Bauer schickt seine damals 14-Jährige Tochter Maria mit, dass sie sich kümmert, dass sie Spaten und Pickel, das Werkzeug, das man heute nicht mehr kaufen kann, wieder bekommt. Die SS hat sie sich zur Bestattung ,,ausgeliehen". ,,Moidl, drah di um" sagt der SS-ler, dann wirft er nackte Männer in die flache Grube.

Was man bislang vom Hörensagen kannte, erhärten Fakten. Die ,,Hersbrucker Notizen" des Zeitzeugen Hans-Friedrich Lenz bestätigen, dass der Evakuierungsmarsch des KZ-Außenlagers Hersbruck in der heutigen Großgemeinde Lappersdorf Station machte. Lenz hatte sie in einer heute unbenutzten Kurzschrift, der Stolze-Schrey-Schrift, verfasst.

Die Notizen machten ihren Weg aus dem Kriegsgefangenen-Lager in Miesbach schließlich ins Zentralarchiv der evangelischen Kirche in Darmstadt. Der in Lappersdorf ansässige Stenografie-Papst und ehemalige Kirchenmusik-Professor Josef Kohlhäufl hat sie ,,geknackt" und in Langschrift übertragen.
Pastor und Oberscharführer

Gerade das macht den Abend im Prösslsaal zu einer Entdeckung: Tagebuchautor Lenz ist eine widersprüchlichsten Persönlichkeiten, die das Dritte Reich hervorbrachte. Lenz, geboren 1902, war bis 1933 überzeugter Nationalsozialist, schloss sich aber bereits 1934 der ,,Bekennenden Kirche" unter Martin Niemöller an. Lenz vereinte das Unvereinbare: Er war Oberscharführer der SS-Totenkopfverbände und Pastor. Er war das Lamm im Wolfspelz.

,,Montagfrüh mit dem Rad bis nach Hainsacker. Schwere Fahrt und Riesenaufstieg." Zwei Marschgruppen des Hersbrucker KZ-Außenlagers nahmen den Weg über Schwaighausen und Hainsacker. Der Montag, 16. April, vor 70 Jahren war ein warmer Frühlingstag. Ein schlimmer Tag unserer Geschichte. 300 Bomben gingen auf Regensburg nieder und zerstörten das Schienennetz. Lenz schrieb in sein Tagebuch: ,,Umgingen Regensburg an der Donau westlich". Beim Elendsmarsch war Oberscharführer Lenz für das Gepäck, die medizinische Versorgung und die Verpflegung der SS-Offiziere zuständig. Wie der polnische Häftling Kowalecki bestätigte, gehörte Lenz zur Widerstandsgruppe der ,,Spitzköpfe". Nicht zuletzt durch seinen Einfluss wurde verhindert, dass die 3000 Häftlinge im Außenlager Hersbruck ordentlich evakuiert und nicht, wie vorgesehen, im Messerschmitt-Stollen eingemauert und gesprengt wurden. Für den Elendsmarsch gab es ein Schießverbot des Lagerkommandanten Ludwig Schwarz, an das sich die Wachmannschaften allerdings nicht hielten. Lenz berichtet in seinen Hersbrucker Notizen vom Besuch eines katholischen Gottesdienstes in der Oberpfalz. ,,Evangelium vom guten Hirten. Wie bewegt mich das." Danach ging er zum Pfarrer. ,,Wurst!!!", notiert er. Lenz sah sich tatsächlich als guten Hirten, der seine Schafe nicht verlässt. Der gute Hirte heulte mit den Wölfen.

Diese Spannung hätte jeden anderen Menschen zerrissen. Er konnte sie auch nur mit Drogen aushalten. Erwin Hadwiger weiß aus den Akten: ,,Lenz nahm Phanodorm, ein heute verbotenes, extrem wirksames Schlafmittel."

Seit der Gymnasiallehrer für Deutsch und Geschichte in Rente ist, kann er die Themen aufgreifen, die ihm unter den Nägeln brennen. Zum ,,Elendsmarsch" kam er zwangsläufig. Für den Lappersdorf-Band der Gemeinde, der im Herbst erscheint, hat er den politischen Teil übernommen. Dazu gehört für ihn auch Erinnerungskultur. Den Todesmarsch wollte Hadwiger nicht ausklammern.

Vier Jahre ist der Historiker schon am Thema dran. Durch Zufall stieß er auf die entscheidende Literatur. Janusz Krasinski ,,Der Karren" ist eine 1966 im Suhrkamp-Verlag erschienene Erzählung eines Überlebenden, der auf ebendiesem ,,Elendsmarsch" 200 Kilometer weit die Verpflegung der SS-Offiziere zog. Und im christlichen Brunnenverlag stieß er auf das Bekenntnisbuch von Hans-Friedrich Lenz mit dem Titel ,,Sagen Sie Herr Pfarrer, wie kommen Sie zur SS?"

Hadwiger hat übrigens mit Bedacht den 16. April als Datum seines Gedächtnisses beim Prössl gewählt. ,,Es ist auch der 70. Todestag meines Vaters." Er wurde im österreichischen Weinviertel von Rotarmisten erschlagen. Hadwiger hat ihn nie gesehen.
Elendsmarsch Hersbruck-Dachau

    Der SPD-Ortsverein Hainsacker veranstaltet am Donnerstag um 19.30 Uhr im Landgasthof Prössl die Gedenkveranstaltung ,,Elendsmärsche Hersbruck-Dachau. Stationen Hainsacker - Schwaighausen."


Der Abend ist als Vortrag und Podiumsgespräch angelegt. Referent ist Erwin Hadwiger. Als Gäste haben sich interessante Menschen angekündigt: Der Sohn und der Enkel des Autors der ,,Hersbrucker Notizen", Hans-Friedrich Lenz, werden aus Kaiserslautern anreisen. Im Saal ist auch Maria Schönsteiner, die als 14-Jährige in Unterkaulhausen Zeuge der schlimmsten Brutalitäten wurde. Hans Gassner, Möbelhändler aus Kelheim, war als zehnjähriger Bub Zeitzeuge des Elendsmarsches in Saal a. d. Donau. Die Gesprächsleitung hat der Museumsleiter von Abensberg und Stadtrat Tobias Hammerl (M.A.).



MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"