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Ein Riss durch das deutsche Geistesleben

Begonnen von md11, Sa, 10. Mai 2008, 19:51

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md11

V.Weidermann erinnert mit seinem Buch der verbrannten Bücher an vergessene Schriftsteller.

Am 10. Mai 1933, wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung, wurden in vielen deutschen Städten Scheiterhaufen errichtet und die Bücher von jüdischen Schriftstellern und missliebigen Autoren öffentlich verbrannt. Rechtzeitig zum 75. Jahrestag ist ,,Das Buch der verbrannten Bücher" von Volker Weidermann erschienen.

Viele tausend Menschen haben sich an dem regnerischen Mai-Abend auf dem Berliner Opernplatz versammelt, um ein makaberes Spektakel zu beobachten. Auf acht großen Holzstapeln lodern die Flammen meterhoch in den nächtlichen Himmel. Die von der Deutschen Studentenschaft mit Eifer organisierte Bücherhinrichtung richtet sich gegen Autoren, die aus der Sicht der Nationalsozialisten den falschen Glauben oder die falsche Gesinnung (oder beides) hatten. Mit pathetischen Sprüchen attackiert man ,,Dekadenz und moralischen Verfall" und übergibt die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Erich Kästner den Flammen. ,,Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!" Gegen Mitternacht tritt Propagandaminister Joseph Goebbels, ein studierter Germanist, auf und hält eine flammende Rede gegen ,,die Pest des Weltjudentums".

Bücher auf Scheiterhaufen
Nicht nur in der Hauptstadt zog die geplante Geistesvernichtung die Massen an, auch auf dem Nürnberger Hauptmarkt und auf dem Erlanger Schlossplatz drängten sich die Zuschauer um die Scheiterhaufen. Im Feuer verkohlte unter vielen anderen der Roman ,,Ein ausschweifender Mensch" des aus Nürnberg stammenden jüdischen Schriftstellers Hermann Kesten. Sein Name stand auf der Liste des 29-jährigen Bibliothekars und NSDAP-Mitgliedes Wolfgang Hermann, der die Auswahl für die Bücherverbrennung getroffen hatte. Die Auflistung war ebenso fragwürdig wie skandalös. Die entsprechenden Titel wurden in Bibliotheken, Buchhandlungen und Antiquariaten beschlagnahmt. Ein Fanal mit verheerenden Folgen.

Auf Hermanns Liste stützt sich auch Volker Weidermann, der mit dem ,,Buch der verbrannten Bücher" mehr als eine literarische Ehrenrettung der verfemten Autoren versucht. Der Berliner Journalist hat keine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben, sondern ein ebenso kenntnisreiches wie faszinierendes Lesebuch. ,,Diese Nacht ging wie ein Riss durch das Leben der 131 Autoren, die auf der Liste des undeutschen Geistes standen. Ein Riss durch ihr Leben, ihr Werk. Ein Riss durch die Geschichte dieses Landes."

Weidermann erinnert in kurzen, prägnanten Porträts an die verbrannten und oftmals vergessenen Dichter, deren Werke für immer vernichtet werden sollten. Dabei stellt er geschickt kulturpolitische, literarische und historische Zusammenhänge her. Es finden sich nicht nur bekannte Namen wie Erich Maria Remarque, Oskar Maria Graf, Joachim Ringelnatz, Bertolt Brecht oder Stefan Zweig. Wer kennt heute noch Karl Grünberg, Gina Kaus, Georg Hermann oder Rudolf Geist? Mag sein, dass manches Werk auch ohne die Vernichtungsaktion der Nazis in Vergessenheit geraten wäre. Aber darum geht es nicht.

Es geht darum, an eine kulturelle Barbarei und ihre Opfer zu erinnern, damit die nationalsozialistischen Frevler nicht recht behalten. In der Folge wurden zahllose Schriftstellerexistenzen vernichtet, Menschen ins Exil oder in den Tod getrieben. Auch nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches hatten es die überlebenden Exil Autoren schwer, in Deutschland wieder Fuß zu fassen. Jürgen Serke hat vor dreißig Jahren mit seinem Standardwerk ,,Die verbrannten Dichter" die Diskussion erstmals in Gang gebracht.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, an die verbrannten Dichter und ihre Bücher zu erinnern. Die äußerst lesenswerte Sammlung von Lebensgeschichten, die Volker Weidermann aufgeschrieben hat, ist eine Möglichkeit. Eine andere ist die Wiederveröffentlichung der betreffenden Werke: Das Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam stellt nun die ersten zehn Bände der ,,Bibliothek verbrannter Bücher" vor, die im Olms-Verlag erscheint und vor allem für Schulen gedacht ist.

Einen anderen Ansatz hat Georg P. Salzmann, der seit Jahren die Originalausgaben der von den Nazis geächteten Bücher sammelt und diese Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen will.

Nicht zu vergessen all die Rezitatoren und Autoren, die mit ihren Lesungen aus den Werken der verfemten Autoren die Erinnerung wach halten. Denn am besten wäre es natürlich, wenn die Bücher der vergessenen, exilierten, verbrannten und verfolgten Dichter immer wieder gelesen würden.

In Nürnberg finden zum 75. Jahrestag der Bücherverbrennung am 10. Mai zwei Veranstaltungen statt: Um 15.15 Uhr beginnt im Literaturhaus (Luitpoldstr. 6) eine musikalische Lesung mit Max Göbel, Wolfgang Senft, Adeline Schebesch, Bernd Regenauer und Brigitte Döring; um 19.30 Uhr hält Gerd Berghofer eine Lesung im Dokumentationszentrum (Bayernstraße 110

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Kiepen-heuer & Witsch, Köln. 253 Seiten, 18,95 Eurö.
Quelle:Nürnberger Nachrichten 10.Mai 2008

Grüße
Josef